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Torsten Kleinz

Breitbandsteuer für Digitalkonzerne Soll das Silicon Valley für europäische Netze zahlen?

Torsten Kleinz
Ein Newsletter von Torsten Kleinz

Liebe Leserin, lieber Leser,

europäische Provider verlangen 15 Milliarden Euro pro Jahr von den Digitalkonzernen, weil deren Dienste so viele Daten verbrauchen. Moment mal: Hatten wir die Diskussion nicht bereits?

Wenn EU-Kommissare lustig sein wollen, ist Vorsicht geboten. Der für den EU-Binnenmarkt zuständige Kommissar Thierry Breton twitterte  vergangene Woche eine holprig zusammengestellte Playlist von Streaming-Videos, deren Titel in etwa den Wortlaut ergaben: »Heute beginnt die Konsultation, welcher Anteil wirklich fair ist. Sie finden den Link unten, klicken Sie jetzt darauf.«

Darunter postete er einen Link zu einer offiziellen Konsultation , bei der sich Bürger wie Firmen und Verbände beteiligen können. Die Frage ist: Wer soll die milliardenschweren Ausbaukosten für die nächste Generation des Internets in Europa zahlen? Für Breton, früher einmal Chef der France Telecom, steht die Antwort offenbar bereits fest. Schon seit dem vergangenen Jahr wirbt er offensiv dafür, die internationalen IT-Konzerne für die europäischen Datenleitungen und Funktürme zur Kasse zu bitten.

Thierry Breton beginnt eine offizielle Konsultation mit einem Bildwitz

Thierry Breton beginnt eine offizielle Konsultation mit einem Bildwitz

Foto: twitter

Um wie viel Geld es geht, hat Christel Heydemann, Chefin des französischen Telekom-Konzerns Orange und damit Nachfolgerin von Breton, zum Auftakt des Mobile World Congress in Barcelona klargemacht. Das Datenvolumen der fünf größten Onlinedienste betrage rund 55 Prozent des Datenverkehrs, betonte sie zum Auftakt des wichtigsten Branchentreffs. Dafür fordert sie 15 Milliarden Euro für die europäischen Telekom-Konzerne – mit ostentativer Unterstützung aus Brüssel.

Wer das Internet kennengelernt hat, bevor TikTok seinen Siegeszug begann, wird sich vielleicht wundern: Hatten wir die Diskussion nicht bereits? Tatsächlich: Bereits vor mehr als zehn Jahren tobte die gleiche Debatte an den gleichen Schauplätzen. Ging es damals noch um DSL-Anbindung und das UMTS-Mobilfunknetz, geht es heute um Glasfaseranschlüsse und 5G. Aber ansonsten scheint die Argumention ganz die alte zu sein: Europäer verbringen einen großen Teil ihrer Onlinezeit auf den Servern außereuropäischer Konzerne, die damit Milliardeneinnahmen scheffeln. Also sollten diese Milliarden auch für den Netzausbau verwendet werden.

1:0 für die Digitalkonzerne

Bei der Erstauflage des Streits waren die IT-Konzerne die klaren Sieger: Die EU bekannte sich klar zum Prinzip der Netzneutralität. Dies bedeutete nicht nur, dass Telekom, Vodafone und Co. keine Rechnungen nach Amerika schicken konnten, sie mussten auch ihre Sondertarife einstampfen, mit denen sie bestimmte Dienste bevorzugten und nicht auf das Datenvolumen der Kundinnen und Kunden anrechneten. Tatsächlich enden diese Tarife offiziell erst Ende März , was den Endpunkt der Netzneutralitätsdebatte kennzeichnen könnte.

Warum versucht es Brüssel jetzt dennoch wieder? Ein großer Unterschied: Das Ansehen von Google, Amazon, Facebook und Apple hat stark gelitten. Jeder Konzern hat seine eigenen Probleme: Googles Datenhunger und Werbegeschäfte stehen auf dem Prüfstand, Amazons Arbeitsbedingungen sorgen immer wieder für Negativ-Schlagzeilen , Facebook kämpft mit dem Image als potenzieller Fake-News-Verbreiter , Apple musste sich Marktmissbrauch vorwerfen lassen. Und wenn EU-Kommissare etwa Elon Musk oder den TikTok-Chef Shou Zi Chew  in ihre Schranken weisen, können sie sich auf breiten Applaus verlassen.

Die nächste Lobbyschlacht beginnt

Was uns bevorsteht: Eine netzpolitische Lobbyschlacht gewaltigen Ausmaßes. Natürlich werden Plattformen wie YouTube und Instagram ihre Influencer vorschicken, die um ihren ungestörten Broterwerb fürchten. Auch ihre Lobbykräfte in Brüssel haben sie bereits verstärkt. Die Telekom-Konzerne hingegen können die nationalen Politiker einspannen, da diese ja bei den Wählern für den zügigen Netzausbau im Wort stehen.

Was wir weniger erwarten können: eine wirklich informierte Debatte. Damals wie heute sind die Argumente schwarz-weiß: Auf der einen Seite die Milliardenkonzerne aus dem Silicon Valley, auf der anderen Seite die wackeren Provider, die ihren Kunden nur den Internetzugang zur Verfügung stellen. Die Argumentation der Digitalkonzerne ist ebenfalls unterkomplex: Der Datenverkehr sei nur das Ergebnis von Angebot und Nachfrage. Nicht YouTube und TikTok verursachen den Datenverkehr, sondern die vielen Nutzerinnen und Nutzer.

Die Realität hingegen besteht aus vielen Grautönen. Denn die Provider versuchen schon lange einen Fuß in das Streaming-Geschäft zu bekommen. Die Telekom ist mit Magenta-TV sogar so erfolgreich damit, dass sich Netflix und Disney+ bereits auf der Plattform eingemietet haben. Mehr noch: Die Mobilfunkprovider haben bei der EU-Kommission ein Joint Venture angemeldet , um Werbeprofile ihrer Kunden zu erstellen und zu vermarkten. Kleine Netzbetreiber befürchten bereits, dass die EU-Kommission große europäische Telekom-Konzerne so weit bevorzugen könnte, dass diese nicht nur erfolgreich gegen die IT-Konzerne in den USA und China vorgehen, sondern nebenbei auch den heimischen Wettbewerb ersticken könnten.

Wer sich am Ende durchsetzen wird, ist wie beim ersten Durchgang offen. Hoffentlich ist das Ergebnis diesmal aber so überzeugend, dass die Debatte nicht noch ein drittes und viertes Mal wiederholt werden muss.

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Ich wünsche eine schöne und interessante Woche,
Torsten Kleinz

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