Brian Bagnall "Volkscomputer"

"Volkscomputer": Aufstieg und Fall des Rechnerpioniers Commodore
Der Mann ist ein Urviech, ein Kapitalist alter Schule. Mit Zigarre, Wutanfällen, autokratischen Entscheidungen und sehr speziellen Vorstellungen darüber, wie man ein Geschäft zu führen hat. Er traf Entscheidungen, die unternehmerischer Knauserigkeit geschuldet waren und im Rückblick wie geniale Schachzüge aussehen. Er schuf aus dem Nichts ein Unternehmen von Weltgeltung - und wurde dort selbst hinausgeworfen, ausgerechnet auf Höhepunkt seines Erfolges. Als die Firma Commodore die heißeste in der ganzen IT-Welt war. Wichtiger als Apple, sexier als IBM, cooler als Atari.
Allein wegen der unglaublichen Biographie von Jack Tramiel, geboren in Polen als Jacek Trzmiel, lohnt es sich, "Volkscomputer" von Brian Bagnall zu lesen. Der Retrorechner-Experte Winfried "Winnie" Forster hat es gemeinsam mit dem Übersetzer Boris Kretzinger auf sich genommen, Bagnalls Standardwerk "On the edge" über die Geschichte Commodores in überarbeiteter Fassung auf Deutsch herauszubringen. Das Buch ist eine Freude, nicht nur für Menschen, die einmal einen Commodore 64 ihr eigen nannten.
Tramiel wuchs in Lodzs auf, lebte dort mit seiner Familie, bis die Nazis sie erst ins Ghetto sperrten und dann nach Auschwitz brachten. Er wurde 1945 von US-Truppen befreit, emigrierte in die USA, änderte seinen Namen. Mit der US-Army zog er in den Koreakrieg und gründete schließlich in Kanada eine Firma, die Schreibmaschinen herstellte. Auf dem Umweg über Büromöbel und Taschenrechner wurde aus Commodore schließlich das erste Unternehmen, das einen tatsächlich kommerziell erfolgreichen Heimcomputer herstellte: den PET. Der hatte ein Blechgehäuse, und zwar nur deshalb, weil Tramiel immer bemüht war, die eigenen Unternehmensteile möglichst effektiv zu verzahnen - und man ja nun mal schon eine Büromöbelfabrik hatte, die auf das Zurechtbieten von Blech in beliebige Formen spezialisiert war. Kuriose Details wie dieses bietet "Volkscomputer" im Überfluss.
Der PET war viel erfolgreicher als der erste Apple. Überhaupt war Commodore als Unternehmen bis in die Mitte der Achtziger hinein dem Rivalen mit dem Apfel weit voraus - das aber haben die Geschichtsklitterer im Silicon Valley im Rückblick ein bisschen zurechtgedoktert. In der großen TV-Dokumentation "Triumph of the Nerds" von 1996, in der die Anfänge der Computerbranche nachgezeichnet werden sollen, kommt Commodore nicht einmal vor, Steve Wozniak und Steve Jobs werden als die Erfinder der gesamten Branche gepriesen. Dabei war der Marktanteil des Commodore 64 1984 dreimal so groß wie der des Apple II.
In diesem erfolgreichsten Jahr der Firmengeschichte, 1984, flog Tramiel nach einem Streit mit seinen Investoren aus seinem eigenen Unternehmen - kurz darauf wurde er Chef des großen Konkurrenten Atari. Auch der dann beginnende langsame Abstieg Commodores wird in "Volkscomputer" liebevoll aber unerbittlich nachgezeichnet.
Das Buch ist nicht nur eine unglaublich präzise recherchierte Geschichte eines für die frühen Jahre der digitalen Revolution prägenden Unternehmens, es ist auch spannend, steckt voller bizarrer Anekdoten und erstaunlicher Einblicke in die Frühzeit dieser Branche, in der die Schaltkreise für neue Chips noch von Hand gezeichnet wurden. Bagnall hat mit Entwicklern und Managern gesprochen, stellt bei strittigen Ereignissen stets beide Seiten dar und analysiert en passant die wirtschaftlichen Strategien des einstigen Branchen-Superstars Commodore (die zum Teil äußerst ungewöhnlich waren).
Ganz nebenbei erfährt der Leser viel über die Anfänge von Microsoft. Wie die hübsche Anekdote, dass das Commodore-Basic einst von Bill Gates persönlich geschrieben wurde - und Tramiel es ihm für den Spottpreis von 10.000 Dollar abgeschwatzt haben soll.
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Brian Bagnall:
Volkscomputer.
Gameplan Verlag; 368 Seiten.