Drohnen für Hobby-Flieger Die neuen Überflieger
Steil schießt er in den Himmel, zieht ein paar Kurven über dem Potsdamer Platz in Berlin, dann jagt er im Sturzflug die Glasfassade eines Hochhauses hinab und treibt dabei einen Taubenschwarm vor sich her.
"Ich drehe noch eine Runde", sagt Raphael Pirker, seine Finger an der Steuerkonsole. Hoch oben kreist sein handgemachter Nurflügler aus Schaumstoff, von einem walnussgroßen Elektromotor mit Propeller angetrieben.
Doch Pirker schaut gar nicht hinauf zu seinem Flugzeug, seine Augen sind hinter einer verkabelten Skibrille verborgen, in die er zwei kleine Monitore montiert hat. Darauf spielt ihm eine Kamera aus dem Cockpit einen Videostream ein. So vermittelt ihm die Cyberbrille das Gefühl, als Pilot in dem Modellflugzeug zu sitzen. Und wenn dieses einen Looping fliegt, dann dreht sich auch ihm der Magen um: "Man fühlt sich wie Superman", sagt Pirker.
"Trappy" steht groß auf der Datenbrille des 26-jährigen Schweizers. Unter diesem Pseudonym wurde Pirker zu einem der umstrittensten Modellflugpiloten. Hier in Berlin wird er von zwei Fans begleitet, die den Meister herumchauffieren, um ihm beim Fliegen zusehen zu dürfen. Außerdem erfüllen sie damit die rechtlichen Vorschriften, die das Fliegen mit einer Datenbrille nur erlauben, wenn jemand zur Sicherheit die Drohne mit bloßem Auge verfolgt.
Millionen von Schaulustigen haben Trappys Videos auf YouTube und Vimeo verfolgt, seinen Sturzflug am Matterhorn, sein Hindurchschlüpfen zwischen zwei Kränen, seinen Flug unter der Karlsbrücke in Prag hindurch. Tausende diskutierten, ob sein Flug um die New Yorker Freiheitsstatue nicht den überfüllten Luftraum von New York verletzt und damit Menschenleben gefährdet. CNN berichtete.
Körperloser Geist in der Flugmaschine
Wo endet der Spaß, wo fängt der Unfug an? Schon wird der Ruf nach Verboten oder datenschutzrechtlichen Einschränkungen laut. "Ein Kameraausflug in Nachbars Garten wäre zumindest problematisch", warnt die deutsche Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner. Filmaufnahmen von Menschen, die sich in einer Wohnung aufhalten, seien "ohne deren Einwilligung sogar strafbar". Auch Bundesdatenschützer Peter Schaar beschäftigt das Thema.
Pirker gehört zu einer kleinen Szene von Modellflugpiloten, die derzeit das Bastlermilieu aufmischen, aus dem ihr Sport hervorgegangen ist. FPV heißt das Kürzel, "First Person View". Denn gesteuert wird nicht länger über Blickkontakt von unten, sondern durch die Ich-Perspektive von Funk-Kameras. Der Pilot steht scheinbar unbeteiligt auf dem Boden, doch mit Augen und Kopf ist er oben im Modellflugzeug, wie ein körperloser Geist in der Flugmaschine.
Die First-Person-Fliegerei ist einer langen militärischen Tradition entsprungen. Schon im Ersten Weltkrieg erprobten die USA erste ferngelenkte Doppeldecker. Im Zweiten Weltkrieg wurde in der Drohnenfabrik Radioplane eine junge Mitarbeiterin von einem Armeefotograf als Model entdeckt. Ihr später weltberühmter Künstlername: Marilyn Monroe. Und aus dem Krieg in Afghanistan sind die Aufklärungsdrohnen ohnehin nicht mehr wegzudenken.
"Ich kann uns sehen", sagt Pirker und steuert das Flugzeug von hinten auf sich selbst zu, ein bisschen so, wie man es aus der Schilderung von Nahtod-Erlebnissen kennt, wenn Verletzte glauben, ihren eigenen Körper von oben aus am Boden liegen zu sehen. Dann landet er "Zephyr", ein 2,2 Kilo leichtes Modellflugzeug, direkt hinter seinem eigenen Rücken. Ein Jogger bleibt stehen und applaudiert.
"Das war nicht schlecht, aber wir sollten jetzt gehen", sagt Pirker mit einem verschmitzten Lächeln, und zieht die Cyberbrille ab. Er will keinen Ärger mit dem Wachschutz.
Schon kommt ein Anwohner aus dem Haus gerannt, und stellt ihn zur Rede:"Was machen Sie denn da? Ich hole gleich die Polizei!" Pirker entschuldigt sich, nimmt sein Kunststoff-Flugzeug unter den Arm, und trollt sich.
Gefühlter Nervenkitzel ohne reale Gefahr
Wie Superman führt auch er ein Doppelleben. Unter der Woche studiert er Wirtschaftsinformatik in Zürich. An Wochenenden rast er als Trappy durch Häuserschluchten und stürzt sich an verschneiten Felswänden in die Tiefe. "Dabei habe ich eigentlich Höhenangst", gesteht er.
Die First-Person-Fliegerei wurde einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, als die Pariser Firma Parrot im August 2010 zum Preis von 300 Euro einen fertigmontierten Kamerahubschrauber namens "AR. Drone" herausbrachte, der von jedem Anfänger gesteuert werden kann, ganz einfach mit iPhone oder iPad. Eine winzige Kamera schaut dabei nach unten, eine nach vorne, die Videos landen über das W-Lan-Modul der Drohne auf dem Handy. Wenn man die Steuerung loslässt, übernimmt der Autopilot und lässt die Drohne einfach in der Luft stehen, wo man sie geparkt hat. Auch Start und Landungen sind automatisch.
Doch die iPhone-Drohne ist nicht mehr als ein Kinderspielzeug verglichen mit Pirkers Fluggerät. Er hat ganz andere Vorbilder. Den Stuntman Jeb Corliss zum Beispiel, der sich aus einem Hubschrauber stürzte, um mit einem speziellen Raketenantrieb im freien Fall über den Felsgrat des Matterhorns zu rasen. "Das wollte ich auch machen", sagt Pirker. Er nahm sein Modellflugzeug und rauschte denselben Felsgrat hinab, nur viel dichter an den Felsen als der menschliche Draufgänger.
Wozu sollte er sich selbst aus einem Hubschrauber stürzen, wenn er mit seiner Datenbrille genauso viel Spannung erzeugen konnte? Ganz ohne reale Gefahr leben Pirkers First-Person-Abenteuer vom gefühlten Nervenkitzel. Das Paradoxe ist: Der Drohnenfilm hat nicht nur eine höhere Bildqualität als der echte Stuntfilm, sondern wirkt auch spannender, weil das Modellflugzeug deutlich näher an den Felsen entlanggleitet.
Verstörende Raubvogelperspektive
Der Schockeffekt der rasenden Tiefflüge speist sich aus einem Überrumpeln der Sehkonventionen. Längst ist die Öffentlichkeit mit dem Blick aus Flugzeugen, Helikoptern oder gar Raumschiffen vertraut. Doch dabei wurde bislang eine Flughöhe von 50 Metern selten unterschritten. Nun tut sich der Blick in eine neue Zwischenwelt auf.
Die Flugdrohnen zischen oft zwischen Augen- und Firsthöhe durch die Straßenzüge. Die Kamera zeigt, wie Passanten sich umdrehen, Hunde aufschrecken und Kinder staunen, wenn der eigenartige Tiefflieger herbeischießt wie ein Falke. Diese Raubvogelperspektive ist ungewohnt und verstörend für die Zuschauer.
Pirker gehört dabei zu so etwas wie dem Modellsport-Adel, seit 1993 fliegt er mit Spielflugzeugen, damals war er acht Jahre alt. Sein Onkel Reinhard Hafele hatte ihn als Kind in den Modellsportverein Arlberger Adler in St. Anton geholt. Doch vor einem Jahr schmissen ihn die Arlberger Adler aus dem Nest, weil er die Modellfliegerei als Extremsport betrieb: Er flog zum Beispiel zwischen den Strängen einer Seilbahn hindurch - zum Entsetzen der anderen Clubmitglieder, die strengere Auflagen der Gemeinde fürchteten. Seinem Onkel Reinhard missfällt der "illegale touch". Er bewundert die Videoqualität, findet aber, dass sein Neffe sich zu sehr auf YouTube und Vimeo selbst inszeniert.
Nun rast Pirker eben als Einzelgänger durch enge Canyons oder zwischen den Kabeln von Telefonmasten hindurch, oft mit mehr als 100 Kilometern pro Stunde, während er selbst kilometerweit entfernt steht.
Monat für Monat erzählt Trappy neue Flugabenteuer
Immer wieder bricht er die inoffiziellen Weltrekorde für FPV-Weitflüge: Erst schaffte er die Steuerung über zehn Kilometer hinweg, dann sogar über 20 Kilometer. Im April stellte er dann seine Antennen auf, einen gemütlichen Campingstuhl, etwas zu essen und zu trinken. Dann flog er 40 Kilometer weit und wieder zurück: erneut Weltrekord. Ein Bodenteam verfolgte die Drohne dabei im Auto - das ist vorgeschrieben in vielen Ländern, auch in Deutschland.
Monat für Monat erzählt Trappy neue Flugabenteuer, und zwar im Internet, in Form von neuen Videos: Mal gerät sein Flugzeug in ein Gewitter, dann streift es einen Baum, oder er verfolgt einen Gleitschirm.
Auf einem Video jagt Trappy ein herkömmliches Modellflugzeug, und rammt es, bis es abstürzt und ausbrennt. Beim Versuch, die Eiger-Norwand hinabzufliegen, zerlegte es das Flugzeug bei 200 Kilometern pro Stunde, weil eine Windbö die Batterien hinausschleuderte. Das Wrack liegt noch irgendwo in der Wand. Lange Zeit lieferte sich Trappy eine Art transatlantisches Videoduell mit "Gabriel2584" um den Rang des kaltblütigsten FPV-Piloten. Gespannt verfolgt die Szene das Wettfliegen der beiden Rivalen.
Gabriels Spezialität ist es, die Flugzeuge auf sich selbst zuzusteuern, um sie dann aus der Luft zu fangen. Das gelingt sogar auf dem Dach eines Wohnwagens oder am offenen Fenster in einem Hochhaus. Dann legte Gabriel die Latte noch höher, und flog mit seinem ferngelenkten Flugzeug durch die Autotunnel von Rio de Janeiro, mitten im Feierabendverkehr.
"Gabriel2584", hinter diesem Pseudonym verbirgt sich Gabriel Klabin, ein Mittzwanziger aus Rio. Mittlerweile beliefert und trainiert er die brasilianische Armee und Mitarbeiter der Vereinten Nationen.
Gabriels Tunnelflug in Rio brachte Raphael unter Zugzwang. Als Antwort umkreiste er die Brooklyn Bridge und die Freiheitsstatue in New York. "Das Riskanteste waren nicht Hubschrauber oder Wind, sondern die vielen Sendemasten, die meine Funkverbindung stören könnten", erzählt er.
Als eine Polizeipatrouille stoppte, stöpselte er ihnen eine zweite Co-Piloten-Brille ein und ließ sie zuschauen, wie er im Sturzflug an Hochhauswänden entlangglitt. Sie waren so begeistert, dass sie ihn laufen ließen. Sein Video bekam über 1,1 Million Klicks.
"Das war kein Crash, das war ein...Ausweichmanöver"
Inzwischen versucht Trappy, seinen halblegalen Ruhm in eine Marke zu verwandeln. Unter dem Label "Team Blacksheep" verkauft er Flugzeugbausätze, der Preis einschließlich Kameras und Fernsteuerung liegt über 1500 Euro. Doch Pircher hat noch hochfliegendere Pläne. Als nächstes möchte er die Raubvogelperspektive noch spannender machen: durch 3-D-Kameras.
Pirker sagt, seine Flugmanöver seien nicht riskant - allerdings rät er auch jedem davon ab, sie nachzumachen, denn nur wenige haben so viele Flugstunden Erfahrung wie er. Und wenn er doch einmal einen Passanten mit seinem "Zephyr" rammt? "Nein, ich hab die mal auf die Rübe bekommen", sagt er, "das ist ungefähr wie ein Fußball bei einer hohen Flanke."
Sein "Zephyr" gleitet durch den Himmel über Berlin. Plötzlich, als er das Russische Ehrenmal am Brandenburger Tor überfliegt, krisselt sein Bild, er verliert die Kontrolle. Ob es daran liegt, dass am Adlon-Hotel gerade der Konvoi von Mahmud Abass aufbricht, der zum Staatsbesuch in Berlin ist? Möglicherweise setzen die Personenschützer Störsender ein, um das Zünden von Sprengfallen zu verhindern. Pirker kreist hilflos über dem Tiergarten, dann sucht er sich einen hohen Baum aus und rauscht beherzt ins Blätterwerk. Ganz entspannt streift er seine Cyberbrille ab. Man spürt, dies ist nicht sein erster Absturz - und nicht sein letzter.
"Das war kein Crash", sagt Pirker und lächelt unschuldig. "Das war ein...Ausweichmanöver."