Optische Datenspeicher Was wurde aus der DVD?

In Spitzenzeiten verkauften sich in Deutschland mehr als 100 Millionen DVDs pro Jahr
Foto: CorbisEs war das Ende des Bandsalats und die wahre Geburtsstunde des Heimkinos: Im September 1995 erblickte die DVD das Licht der Öffentlichkeit. Innerhalb weniger Jahre verdrängte sie die Videokassette und krempelte den Unterhaltungsmarkt um.
Nun wird sie zwanzig Jahre alt - für Technikprodukte ein biblisches Alter. Und doch dreht sich die DVD, allen Prognosen zum Trotz, beharrlich weiter.
Am Anfang stand der Niedergang eines anderen Datenträgers, denn die neue Scheibe wurde auch deshalb ein so schneller Erfolg, weil sie ein unbeliebtes System ablöste. "Die VHS wurde stigmatisiert, galt als schmuddelig. Nach dem dritten oder vierten Abspielen machte sie durch den Qualitätsverlust häufig keinen Spaß mehr", erinnert sich Oliver Trettin, stellvertretender Geschäftsführer des Bundesverbandes Audiovisuelle Medien.
Im Vergleich dazu war die DVD eine Erlösung: Ton und Bild waren hervorragend und blieben es auch - egal wie oft man den Film ansah. Nur fünf Jahre nach der Markteinführung überholte die DVD die VHS in Sachen Umsatz.
Durchbruch des Heimkinos
Zugleich sorgte sie für eine Revolution in den Wohnzimmern. "Sie brachte den Durchbruch des Heimkinos", sagt Trettin. Erst ihre hervorragende Bild- und Tonqualität habe die Menschen dazu gebracht, in hochauflösende Fernseher und Soundsysteme zu investieren.
VHS wurden meist ausgeliehen, DVDs aber wollte man besitzen. Die Menschen legten sich ihre eigene Filmbibliothek zu. 1999 wurden zusammen 42 Millionen VHS-Kassetten und DVDs gekauft; sieben Jahre später verkaufte sich allein die DVD mehr als 100 Millionen Mal.
Die Filmstudios öffneten ihre Archive, bereiteten Klassiker digital auf. Die liebsten Serien waren nun in prächtigen Boxen erhältlich. Making-ofs und alternative Enden lieferten einen weiteren Anreiz, Filme zu kaufen statt sie auszuleihen. Zusätzliche Sprachen ermöglichten es, den Film auch im Original zu sehen - notfalls mit Untertiteln.
Filmindustrie zwingt Konzerne zum Schulterschluss
Die Einführung der DVD Mitte der Neunzigerjahre war eine geplante Revolution, doch wohl keiner konnte ihre Bedeutung absehen. Nachdem die CD den Musikmarkt aufgerollt hatte, sollte die nächste Generation optischer Datenspeicher ganze Filme fassen. Die großen Technologiefirmen traten mit verschiedenen Formaten gegeneinander an. Sony und Philips entwickelten die MMCD, Toshiba und Time Warner setzten auf die SD Disk. Doch die Filmindustrie machte Druck: Sie forderte einen gemeinsamen Standard. Notgedrungen setzten sich die Konzerne in Tokio zusammen. Im September 1995 verkündeten sie die Einigung.
Das neue Medium sollte DVD heißen. Offiziell haben die drei Buchstaben keine Bedeutung. Anfänglich standen sie für "Digital Video Disc", doch DVDs können mehr als nur Videos abspeichern. Zeitweise hieß sie daher auch "Digital Versatile Disc". Für den deutschen Markt warb Toshiba mit einer eigenen Übersetzung: "Digital-Vielseitig-Dauerhaft". Doch anders als die Silberlinge konnte sich diese Deutung nicht durchsetzen.
Ein Jahr nach der Einigung kamen die ersten Abspielgeräte auf den Markt. Der Preis lag über 1000 US-Dollar. 1997 erschien in Deutschland der erste Film im neuen Medium, Terry Gilliams Science-Fiction-Film "12 Monkeys". Er erschien in einer klassischen CD-Hülle und hatte noch kein Menü.
Als die DVD ein großer Erfolg wurde, suchten die Technikriesen ihr Glück in immer neuen Generationen des Datenträgers. Der Nachfolger sollte Filme auch in HD speichern können. Statt wieder den Schulterschluss zu suchen, gingen die Technologiekonzerne einmal mehr getrennte Wege: Toshiba und Microsoft entwickelten die HD DVD, Panasonic und Sony konkurrierten mit der Blu-ray.
Am Ende setzte sich die Blu-ray durch, doch sie konnte die DVD nicht verdrängen. "Der Konsument war durch die verschiedenen Formate irritiert und verunsichert", sagt Trettin. "Bei einem gemeinsamen Standard hätte Blu-ray wahrscheinlich früher und stärker eingeschlagen."
DVD besteht gegen neue Konkurrenz
Zwar nimmt die Blu-ray der DVD kontinuierlich Absatz weg, doch acht Jahre nach der Einführung werden immer noch mehr als doppelt so viele DVDs wie Blu-ray-Scheiben verkauft. "Die Ton- und Bildqualität der DVD reicht vielen Menschen offenbar aus", sagt Trettin, und wundert sich doch: "Warum werden überhaupt noch DVD-Player hergestellt? Blu-ray-Player spielen DVDs und CDs in besserer Qualität ab und kosten nicht viel mehr."
Wahrscheinlich werden DVDs und Blu-rays noch einige Zeit nebeneinander existieren. Denn einige Titel werden bis heute nur auf DVD angeboten. "Die Herstellung einer Blu-ray ist teurer, es lohnt sich für die Anbieter nicht, alles für Blu-ray aufzubereiten", sagt Trettin.
Die eigentliche Konkurrenz erwächst der DVD in Form von Video-on-Demand (VoD). Der digitale Vertrieb ermöglicht niedrige Preise und Zugriff rund um die Uhr. In den USA haben Streamingdienste bereits das Sehverhalten verändert. Doch der deutsche Markt folgt nur langsam.
Trettin sieht die DVD noch nicht am Ende: "Ihre Zukunft kann man an der CD ablesen, sie folgt ihrer Entwicklung im Abstand von zehn Jahren." Man kaufe immer noch CDs, Angeboten wie iTunes und Spotify zum Trotz. Die Musikindustrie verdiene weiterhin mehr an physischen Datenträgern als an digitalen Angeboten.
Das gleiche Bild in der Unterhaltungsindustrie: Zwar steigen die Umsätze mit VoD stark an, doch 90 Prozent der Umsätze bringen noch immer die physischen Datenträger ein.
Wer Filme nicht nur konsumieren, sondern besitzen will, bleibt bei den runden Scheiben. "Die physischen Datenträger bleiben uns mittel- bis langfristig erhalten", sagt Trettin.
Außerdem in dieser Serie erschienen: Nokia, Hamburgs Ex-Bürgermeister Ole von Beust, Talkshowmoderatorin Arabella Kiesbauer, Ehec, Steinkohlebergbau, Radstar Jan Ullrich, Ägyptens Ex-Diktator Hosni Mubarak, Aids, Deutschlandstipendium, Transrapid, Dioxin, Prokon, Chatportal Knuddels, "Costa Concordia" und viele mehr.
Im Überblick: Alle Folgen der Serie "Was wurde aus...?