Abrechnung mit Apple Das Nordkorea der Konsumwelt

Apple-Logo bei iPhone-5-Präsentation: Warum akzeptieren wir ein totalitäres System?
Foto: Peter Dasilva/ dpaVon: iTunes Store Support do_not_reply@apple.com
Betreff: Informationen zu Ihren Abonnements
Sehr geehrte iTunes Kundin, sehr geehrter iTunes Kunde,
unseren Aufzeichnungen zufolge haben Sie 1 Abonnement(s) abgeschlossen. Apple iTunes freut sich, Sie als Kunden zu begrüßen.
Der Preis für Ihr/Ihre Abonnement(s) kann sich bei der automatischen Verlängerung aufgrund schwankender Wechselkurse verteuern. Sie können von Ihrem Gerät aus den Preis Ihrer Abonnements überprüfen und Ihren Account verwalten. Gehen Sie dazu im App Store auf "Account" und wählen Sie "Abos verwalten" aus.
Wenn Sie Hilfe benötigen, finden Sie detaillierte Anweisungen unter http.//support.apple.com/kb/HT4098?viewlocale=de_DE.
Mit freundlichen Grüßen Samir A.
Heißa, eine E-Mail von Apple. Gott spricht zu mir. Leider habe ich gar kein/e Abonnement/s abgeschlossen. Der nigerianische Buddy-Sound ist auch eher befremdlich. Was tue ich nun, um ein Abo loszuwerden, das ich nicht bestellt habe? Ich gehe im App Store auf "Account". Aber "Abos verwalten" gibt es nicht. Habe ich nun ein Abo, wie die E-Mail sagt oder keins, wie der Account meint? Und vor allem: Welches Abo? Wofür? Muss ich meiner Frau was erklären? Wie sag ich's den Kindern? Und was kostet das? "Automatische Verlängerung... schwankende Wechselkurse... verteuern" - ziemlich viele Reizworte für einen Satz.
Herzlich willkommen in Apples Welt des Wahnsinns. Vor einem Jahr hatte ein unschuldiger kleiner Beitrag über die Kluft zwischen Apples Produktversprechen und der tristen User-Realität an dieser Stelle für ziemlichen Wirbel gesorgt. Tausende empörter Apple-Jünger beschuldigen mich der Gotteslästerung, die meisten faktenfrei, aber Mullah-mäßig empört.
Seither habe ich tatsächlich mein iPhone abgeschafft und versuche tapfer, von Apple loszukommen; mein digitales Detox-Programm.
Always on is always stress
Gerade zur Weihnachtszeit empfinde ich es als staatsbürgerliche Pflicht, dem Deutschland der überschuldeten Haushalte ein Update meiner Leidensgeschichte zu liefern. Viele Menschen haben ja keine Zeit für originelle Präsente, weshalb sie was Teures von Apple zu verschenken gedenken. Noch ist Zeit, das Geld einem guten Zweck zu spenden.

Abgesang auf eine verflossene Liebe: Warum wollen alle ein iPad?
"Können Sie den iMac empfehlen?", fragte mich neulich eine Dame, als ich im Café meine Mails checkte. Ohne Smartphone komme ich sehr viel seltener an Elektropost, Kontobewegungen, Sportergebnisse und Verkaufszahlen bei Amazon. Und das ist gut so. Always on is always stress.
Während ich noch überlegte, ob ich wenigstens den iMac empfehlen kann, obwohl ich nie einen anderen Rechner besessen habe, bellte der Mann vom Nebentisch: "Überlegen Sie sich, was Sie tun, gute Frau." Er wischte auf seinem iPad herum. "Alle Kontaktdaten vierfach, totaler Adressensalat, Hardware verschiedener Generationen", stöhnte er. Kenn ich. Sobald man die Geräte synchronisiert, frisst sich der Misch-Virus durch alle Verzeichnisse.
Tausende stiller Helden sitzen überall in der Welt verzweifelt in ihren Büros, um Apple-Adressen zu putzen. Darf nur keiner drüber reden. Apple ist teuer und gut designt und Steve Jobs ein Heiliger. Außerdem jede Menge erregungsbereite Mullahs da draußen. Also ertragen Millionen Menschen still ihre kognitive Dissonanz. Oder kaufen neue Geräte, die dann vielleicht wieder salatfrei kommunizieren.
Totalitäres System iTunes
Jaja, ich weiß: Ich bin zu doof. Ist doch alles ganz einfach. Nur auf die Links zu den Hilfe-Seiten gehen, da wird alles geklärt. "Synchronisieren" heißt der Befehl dann immer. Und schon haben wir mehr Salat. Viel Freude also mit technisch nicht besonders spektakulären Geräten wie dem iPad mini unter jeden zweiten Tannenbaum, vor allem dann, wenn man ein funktionierendes System dafür aufgegeben hat.
Wir wollen hier ja nicht moralisch werden, das heben wir uns für die politischen Gegner auf. Dennoch lautet eine viel zu selten gestellte Frage: Warum akzeptieren wir ein totalitäres System wie iTunes, obwohl wir so viel Wert auf Freiheit und Individualität legen?
Warum regen wir uns über fragwürdige Beschäftigungsverhältnisse von thüringischen Friseurinnen auf, übersehen aber die Lagerarbeit bei Foxconn?
Warum bilden wir uns verbissen ein, Apple habe etwas mit kalifornischer Freiheit zu tun, obgleich das System auf Abhängigkeit und Drangsalierung angelegt ist?
Warum regen wir uns über ein paar Cent Energiekosten auf, löhnen aber bereitwillig Mondpreise für den Elektroschrott von morgen?
Und wie kann man sich über Beschiss eines x-beliebigen Strukturvertriebs für Immobilienfonds empören, wenn man einmal Apples Stecker-Tricksereien kapiert hat?
"Manchmal will ich etwas Service"
Schnauze, Idiot, du hast nichts kapiert, brüllte mich vergangenes Jahr der Bund der Apple-Brüder an. Ich gestehe: Ich will auch gar nichts kapieren. Ich will nur einfach nicht Abos bekommen, die ich nicht bestellt habe. Ich will eine ordentliche Adressverwaltung, ich will nicht zuverlässige Systeme abgedreht bekommen, nur weil Apple jetzt auf Cloud macht. Und ja: Manchmal will ich etwas Service.
Früher suchte man ein Fachgeschäft auf, wenn mit dem neuen Elektrogerät was nicht klappte. Ein Fachmann löste das Problem, bisweilen kam er nach Feierabend sogar persönlich vorbei - Stammkunden-Service halt.
Heute muss der arme Samir den ganzen Tag mit Menschen wie mir mailen, die Abos nicht bestellt haben, dafür aber die erste Staffel von "Breaking Bad" nicht mehr finden, die aber längst bezahlt wurde.
E-Mail-Chronik: erst höflich, dann gereizt, dann stocksauer
Meine erste Mail an Apple (höflich): Ein Abo zu viel, eine Staffel zu wenig - was können wir tun? Wohlgemerkt, mein allererster Hilferuf an das Unternehmen überhaupt, nach Investitionen in Kleinwagen-Volumen.
Apples Antwort (Software oder Mensch, schwer zu sagen): Da kann man nichts machen. Es folgten sieben Links.
Meine zweite Mail (leicht ungehalten): Etwas entschiedener vorgetragene Klage, dass ohne eigenes Verschulden Unordnung im System sei.
Antwort (verständnisvolle Textbausteine aus dem Starbucks-Baukasten): "Da kann man immer noch nichts machen." Es folgten weitere Links.
Meine dritte Mail (eskalierend): "Ich schenke Ihnen die Staffel, wenn Sie mir das Abo vom Hals schaffen."
Antwort (Tonfall Marke Schwererziehbaren-Pädagogik): "Ohne Ihre Mithilfe können wir das Problem nicht lösen. Bitte folgen Sie diesen Links." Drumherum Wortdekor wie "gern" und "unterstützen" und "Verständnis" und "vielen Dank für Ihre Mühe".
Meine vierte Mail (stocksauer): "Bestätigen Sie mir einfach nur schriftlich, dass ich kein Abo habe. Und ab sofort werde ich woanders einkaufen." Es folgte das Zauberwort "Amazon".
Der therapeutisch geschulte Samir säuselte nun ein wenig, drohte zart, dass alle Einkäufe verschwänden, wenn ich mich von iTunes abmeldete, wünschte mir einen schönen Tag und stellte unerwartet eine Ausnahmeregelung für den erneuten Download von "Breaking Bad" in Aussicht, das inzwischen umsonst im Fernsehen lief.
Das Alles-einfach-Versprechen geglaubt
Haben wir wirklich mal geglaubt, in Digitalien sei alles voller Super-Service? Rechnet man die vermailte Zeit, dann wäre ich derweil mit dem Holland-Rad von Schöneberg nach Potsdam und zurück gefahren, was ähnlich sinnlos ist, aber für deutlich bessere Laune sorgt. Andererseits wird Klarheit geschaffen. Nach dem iPhone werde ich mich jetzt von iTunes verabschieden. Gut, es wird eine Weile dauern, bis die iPods und Rechner unserer Familie ersetzt sind. Das iPad liegt meistens rum. Auf dem Kindle liest sich's eh besser. Vielleicht klappt es dann 2013 endlich mit der gemeinsamen Musikbibliothek, die uns einst versprochen wurde. Derweil tragen wir Rechner durch die Gegend, will sich die Familie Musik vorspielen.
Klar, ich bin zu dämlich. Ich kapier's nicht, ich date nicht up, ich synchronisiere zu selten, ich verbringe nicht jeden Abend mit der Lektüre der von Samir empfohlenen Erste-Hilfe-Links. Ich habe eben an das Alles-einfach-Versprechen geglaubt. Früher war Apple wie das Wirtschaftswunderland Deutschland. Alles ging nach vorn, nach oben, kleinere Krisen wurden von großen Verbesserungen locker ausgeglichen. Alles schien verständlich und intuitiv.
Und jetzt? Was war der letzte wirklich große Sprung, mit dem Apple mein, unser Leben schöner machte? Siri? Mac-Maps? Die iCloud? Am schlimmsten bleibt wohl die Musikabteilung. Ich kapiere bis heute nicht, unter welchen Bedingungen ich welche Stücke auf welchen Geräten abspielen oder gar teilen darf.
Es geht nicht um ein paar Mal 99 Cent, sondern um den Geist, der hinter iTunes steckt, die Phantasie von totaler Kontrolle. Wer das Gebaren nordkoreanischer Kims reichlich spooky findet, kann mit Apple nicht glücklich werden. Kann man eigentlich irgendwo wetten, welches Regime eher die Grätsche macht?
Wie Bernd Graff in der "Süddeutschen Zeitung" schrieb , hat Apple neulich erst zwei E-Books des Journalisten Peter Øvig Knudsen aus dem Shop geworfen. In "Hippie 1" und "Hippie 2" geht es um die dänische Jugendkultur, wo tatsächlich ein wenig Nacktes zu sehen ist, weniger pornografisch als vielmehr historisch.
Wahrscheinlich Blasphemie
Knudsen hat nach dem ersten Rauswurf Äpfel vor die anstößigen Stellen montiert, was ihm einen zweiten Bann einbrachte, wahrscheinlich wegen Blasphemie. Eine Stellungnahme von Apple bekam Knudsen natürlich nicht.
Wir kämpfen für ein paar mittelmäßige Mohammed-Karikaturen, wir bangen um die Pressefreiheit, wenn ein CSU-Mensch beim Fernsehen anruft - aber wenn Apple die Pfeiler der Demokratie sprengt, regt sich niemand auf. Klar, wer gutes Design bietet, kann nicht böse sein. Nach dieser Logik bräuchte Opus Dei einfach nur ein neues Logo und frische Kutten und würde fortan von den Fanboys dieser Welt toll gefunden. Entschiede Apple über den Lauf der Welt, lebten wir bald im gruseligen Coby County von Leif Randt zwischen toll designter Langeweile und umfassender Konsumkontrolle.
Der Post-Jobs-Spirit ähnelt dem der Luxusboutiquen auf Flughäfen. Da draußen sind jede Menge Trottel, die einen Haufen Geld auszugeben bereit sind, nur um ein Label spazieren zu tragen. Gucci-Ed-Hardy-iPhone-Angeberware, mit dem Preisschild als einzigem USP.
Kann man gegen die Gier von Investment-Bankern sein, gegen die Tücken des Turbo-Kapitalismus, gegen Daten-Schnüffelei an sich und gleichzeitig auf Apple vertrauen? Nein, kann man nicht.
Das Ende kann schnell kommen, wenn der Trend kippt
Die entscheidende Frage lautet: Wen lassen wir aus welchen Gründen in unseren hart erkämpften kulturellen Errungenschaften herumfuhrwerken? Oder, etwas melodramatischer: Haben Luther, Kant und die vielen Namenlosen auf dem Scheiterhaufen gewollt, dass wir unsere Freiheit einem Unternehmen für Elektrospielzeug schenken?
Facebook und Google und Amazon tun nicht wirklich viel, um sich sympathisch zu machen. Aber die drei akzeptieren immerhin, dass es auf diesem Planeten noch anderes Leben gibt. Andere Browser als Safari. Andere Präsentationsprogramme als Pages. Seit dem geheimen Tracking-Programm im iPhone ist die Unschuld dahin. Vertrauen und Verlässlichkeit gleich mit. Sony, Nokia, Second Life - geht schnell, wenn der Trend erst mal gekippt ist.
Was 2011 noch ein unbestimmtes Grummeln war, verfestigt sich zum Wendepunkt. Die Marke ist nicht mehr cool. Der Kern, das Einfache, ist geschmolzen. Den Verlust von einem der beiden Vorteile hätte man verschmerzt, beide auf einmal sind zu viel.
Dieses Weihnachtsgeschäft brummt bestimmt noch, aber die ersten treuen Fans tragen Rechner und Smartphones zu karitativen Einrichtungen so wie früher die Kisten von Schneider und Nixdorf. Samsung, Dropbox, Chrome oder Instapaper funktionieren zuverlässiger. Das kommt davon, wenn man viel Geld in Werbung steckt, aber wenig Schmalz in smartere Software. Neue Stecker machen keine Stammkunden.
Joachim Gauck habe bislang keine große Rede gehalten, wirft ihm die institutionalisierte Ungeduld vor. Hat er doch, und sie dauerte nur zwei Sätze: "Man kann morgens um fünf Uhr für das neueste Gerät anstehen. Man kann aber auch einen ganzen Tag lang vor dem Laden gegen unmenschliche Arbeitsverhältnisse protestieren." Große, wahre Worte. Und eines von vielen Indizien, dass die Apple-Show nicht ewig dauert.