Patrick Beuth

Ifa in Berlin Solche Probleme muss man sich leisten können

"Innovation für ein besseres Leben", heißt es zur offiziellen Eröffnung der Elektronikmesse Ifa. Aber nur für jene, die schon ein gutes haben. Die Visionen der Aussteller: technische Lösungen für Probleme, die viele gerne hätten.
Samsungs Ifa-Stand

Samsungs Ifa-Stand

Foto: TOBIAS SCHWARZ / AFP

Ein junger Mann spricht mit seinem smarten elektronischen Styleberater, es geht um die Grillparty am Abend: "Im T-Shirt wird mir kalt, ich habe Schnupfen", sagt der Mann. Der Styleberater empfiehlt einen Schal. "Den habe ich verloren. Kauf mir einen neuen, der so ähnlich aussieht."

Willkommen in der Zukunft in der Version von LG. Zwei seiner Topmanager hatte der koreanische Konzern nach Berlin entsandt, um die Eröffnungsrede der Ifa zu halten: CEO Jo Seong-jin und Technikchef I.P. Park. Eine Grundsatzrede sollte es sein, über die Veränderung der Welt durch 5G, Big Data und natürlich maschinelles Lernen (das auf der Messe niemand so nennt, weil "künstliche Intelligenz" viel glamouröser klingt). Die Geschichte des jungen Mannes und seiner sprechenden Möbel war Teil des Auftritts, in Form eines Videos.

Ist Schnupfen ein Problem, das künstliche Intelligenz lösen muss?

Park sprach von "Innovation für ein besseres Leben", es war so etwas wie sein Leitmotiv. Auf der Ifa heißt das: ein besseres Leben für jene, deren größte Probleme Grillpartys, ein kühler Abendwind und Schnupfen sind. Und nicht etwa Hunger, Klimawandel und Malaria. Lieber reich und gesund als arm und krank - so hätte die Rede auch überschrieben sein können.

Das Leben wird in der Erzählung von LG besser, wenn man sich im Auto zu Hause fühlt, auch wenn man auf dem Weg ins Büro im Stau steht. Wenn die Klimaanlage zu Hause von selbst merkt, in welchem Zimmer man sich aufhält. Wenn der Fernseher Tipps zum Kofferpacken für die nächste Fernreise gibt.

Kein Wort dazu, dass das eigentliche Problem an Staus nicht die Temperatur im Auto ist. Dass es Jobs gibt, die nicht in Büros ausgeübt werden. Dass Klimaanlagen ebenso wenig eine Lösung für den Klimawandel sind wie Fernreisen. Auf wessen Kosten "das bessere Leben" einiger weniger geht und dass weltverändernde Technik auch Verlierer kennen kann, bleibt unerwähnt.

Nur einmal präsentieren die LG-Manager etwas, das mehr löst als ein First-World-Problem: ein Exoskelett, das gebrechlichen oder gelähmten Menschen das Gehen ermöglicht.

Die größte Sorge der Millennials ist nicht die nächste Dinnerparty

Auf Samsungs Pressekonferenz am Vortag klang es ähnlich. Zwar ging es unter anderem um die Lebensverhältnisse der Millennials, von denen auch in Europa sehr viele noch bei ihren Eltern oder in Wohngemeinschaften leben. Doch in Samsungs Welt ist deren größtes Problem die Instagram-taugliche Aufmachung von Dinnerpartys, das aber zum Glück der smarte Kühlschrank löst.

Hallo, Samsung: Millennials leben nicht bei ihren Eltern, weil deren Küche eine tolle Partylocation ist, sondern weil sie keine Jobs finden, die genug für die Miete einer eigenen Wohnung einbringen. Sie arbeiten nicht am Küchentisch, weil der Ofen so umwerfend schön designt ist. Würde man ihnen eine Festanstellung anbieten statt ständig neuer "Gigs", und wären die Mieten in den Städten nicht jenseits von Gut und Böse, sie würden sofort ausziehen. Könnten smarte Maschinen und Big Data auch etwas daran ändern?

Nun geht es auf der Ifa vorwiegend um "Consumer Electronics" - und ohne Geld kann man schlecht konsumieren. Es ist auch nachvollziehbar, dass die Entwicklung neuer Technik teuer ist und die ersten Produkte nur für Wohlhabende erschwinglich sind. Mit der Zeit gibt es meist einen "Trickle-down-Effekt", dann können auch weniger reiche Menschen davon profitieren. Aus diesem Grund ist die Technikberichterstattung - auch die von SPIEGEL ONLINE - so auf die neuesten Geräte und Dienste fixiert: Sie zeigen, was mittelfristig alltäglich werden wird.

Aber wenn die Chefs von LG, Samsung oder der Executive Director der Ifa ihre Visionen darlegen, wie Technik "das" Leben, "die" Menschen und "die" Welt verändern wird, sollen sie ehrlich sein. Und erwähnen, dass sie damit zunächst einmal nur das gute Leben, privilegierte Menschen und die Erste Welt meinen.

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