
Neues Gadget: Sonys futuristischer 3-D-Helm
Kopfkino in 3D Helm auf, Film ab
Es war die Zukunftsvision der achtziger und neunziger Jahre, geprägt von Science-Fiction-Autoren wie William Gibson und Neal Stephenson: Bald würde man in digitale Welten aus Chips und Netzen reisen, sich vollständig in sie versenken können. Die Erfindung der virtuellen Realität löste dann einen kleinen Boom aus. Viele Jahre lang füllten selbst Hochglanzmagazine ihre Gadget-Seiten mit Bildern von Datenbrillen und -helmen, von Handschuhen mit Sensoren und einzeln ansteuerbaren Luftpölsterchen, mit monströsen Digital-Dildos, die demnächst irgendwann sicherlich den transkontinentalen Cybersex möglich machen würden.
Eines Tages, dachte man, würden die Menschen mit Cyberhelmen oder Brillen durch die Straßen spazieren oder in U-Bahnen herumsitzen. Kein Techno-Rave kam ohne Virtual-Reality-Ecke aus, in der Menschen mit unförmigen Kisten über dem Kopf herumstolperten, während sie hilflos versuchten, durch eine nur für sie selbst sichtbare Welt aus Vektorgrafik zu navigieren. Von außen war das immer unterhaltsamer, als wenn man selbst unter dem Helm steckte.
Unter Cybersex versteht man heute etwas anderes
Heute kann man über diese Ideen nur lächeln. Virtuelle Welten gehören zwar längst zum Alltag vieler Menschen - allein " World of Warcraft" hat über 12 Millionen zahlende Abonnenten. Das Abstraktionsvermögen der Menschen ist aber weit größer, als man damals dachte: Wer sich heute in eine digital erzeugte Parallelwelt begeben will, dem reicht in der Regel das Rechteck eines ordentlichen Bildschirms als Fenster dorthin. Und unter Cybersex versteht man heute gemeinsames Masturbieren vor der Webcam.
Die digitalen Ich-Erweiterungen, die damals von Vordenkern wie Jaron Lanier als Interface der Zukunft gepriesen wurden, sind Nischenware geblieben, teurer Schrott für den Gadgetfriedhof. Lanier selbst hat sich mittlerweile ins Lager der Technikskeptiker aufgemacht. Sein aktuelles Buch "Warum die Zukunft uns noch braucht" heißt im Original "You are not a Gadget".
Trotz alledem ist das Thema Datenbrille nie ganz verschwunden. Bei jeder Elektronikmesse werden Aufs-Auge-Bildschirme gezeigt, die sich aber doch nie so richtig durchsetzen. Zuletzt machte Carl Zeiss mit der Fernsehbrille "Cinemizer" Schlagzeilen - aber in Deutschlands U-Bahnen starren die Menschen weiterhin auf ihre Smartphone-Bildschirme statt starr geradeaus in ihre eigene kleine Digitalwelt in 3D. Was vermutlich mit dem Gewicht solcher Geräte zu tun hat und damit, dass das Problem mit der Übelkeit, die das ungewohnte Sehen bei vielen verursacht, bis heute nicht befriedigend gelöst scheint. Unserem Gadget-Fachmann Matthias Kremp wurde beim Test der ersten "Cinemizer"-Version nach zehn Minuten schlecht. Es gibt aber mittlerweile ein neues Modell, das wir bei Gelegenheit testen werden.
Helm auf, Film ab: "Kristallklar"
Die Konzerne geben eben nicht auf. Aktuell ist Sony dran. Das Produkt mit dem poetischen Namen "HMZ-T1" kombiniert einen Bildschirm in Brillenform mit einem Kopfhörer und sieht ein bisschen aus wie die Solarlicht-Spender, die Menschen mit Winterdepression ein bisschen Sonne in den Alltag bringen sollen. Nur, dass sich Sonys Brille mit Bild und Ton eines Blu-ray-Players oder einer Spielkonsole füttern lässt. Direkt vor den Augen und Ohren des Trägers sollen dann Bilder in gestochener 3-D-Qualität erscheinen. Helm auf, Film ab.
Für den 3-D-Effekt des Geräts sorgen zwei 0,7 Zoll kleine OLED-Bildschirme, die direkt vor den Augen platziert werden. Ihre Auflösung beträgt jeweils 1280 mal 720 Pixel. Laut Sony-Ankündigung soll der Nutzer beim Filmschauen das Gefühl haben, 20 Meter vor einer Leinwand mit 750 Zoll (knapp 20 Meter) Bildschirmdiagonale zu sitzen. Ein Reporter von Associated Press (AP), der das Gerät in Japan ausprobieren durfte, berichtet vom Ansehen eines Musikvideos: Man fühle sich "als ob man in ein Puppenhaus hineinblickt, in dem sich der echte, winzige Sänger bewegt". Ob er lang genug für einen Übelkeits-Check zusehen durfte, teilte AP nicht mit.
Auf den Markt kommt der futuristische Helm am 11. November, zunächst nur in Japan. Dort soll sein Verkaufspreis bei stolzen 60.000 Yen (543 Euro) liegen. In den USA und Europa gibt es das Wohnzimmer-Gadget wohl frühestens ab Weihnachten zu kaufen. Zur Realitätsflucht beim Spazieren eignet sich Sonys Helm bislang offenbar nicht. Damit er funktioniert, muss er mit einer Basisstation verkabelt sein. Die wiederum wird via HDMI an einen Blu-ray-Player oder eine Spielkonsole angeschlossen. Richtig tragbar klingt das nicht - aber vermutlich ist das Ganze für Sony eher eine Art Versuchsballon für die Nische der Gadget-Enthusiasten.
Es wird also noch viele Jahre dauern, bis reale Technologie die Visionen von Gibson und Stephenson eingeholt hat.