Künstliche Intelligenz Furchtbar schlau - oder furchtbar niedlich

Maschinen werden klüger, da sind sich die Experten einig. Werden sie bald schlauer sein als wir Menschen? Oder doch erst einmal nur niedliche elektronische Haustiere? Ein Forscher, ein Philosoph, Unternehmer und Erfinder geben Antworten.
Roboter, Schmetterling: Klüger als wir selbst?

Roboter, Schmetterling: Klüger als wir selbst?

Foto: Corbis

Für Jürgen Schmidhuber gibt es keinen Zweifel: "In naher Zukunft werden wir kleine Maschinen haben, deren Fähigkeiten denen eines menschlichen Gehirns entsprechen." Maschinen, die so schlau sind wie Männer und Frauen. Doch Schmidhuber geht noch weiter. Einige Zeit später dann gäbe es Maschinen mit der Rechenkraft "aller menschlichen Gehirne zusammen". Das werde "die gesamte menschliche Zivilisation grundlegend verändern".

Schmidhuber ist einer der Leiter des Schweizer Künstliche-Intelligenz-Instituts IDSIA  und zugleich einer der erfolgreichsten europäischen Forscher im Bereich künstlicher neuronaler Netze. Und er ist uneingeschränkt überzeugt von seinem Lebensprojekt: eine Maschine zu bauen, die klüger ist als er selbst.

Wolken-Wahrnehmung eines neuronalen Netzwerks von Google: "Von europäischen Steuerzahlern mitfinanziert"

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Foto: Google

Er ist nicht der Einzige, der dieses Projekt verfolgt. Google, Facebook, Microsoft  und viele andere investieren derzeit große Summen in Firmen und Know-how, um das Rennen um die erste echte künstliche Intelligenz (KI) zu gewinnen.

Viele der Nachwuchsforscher, die in diesen Firmen arbeiteten, seien einst seine Studenten oder Doktoranden gewesen, sagt Schmidhuber. Und viele der grundlegenden Konzepte für eine KI-Revolution seien "von europäischen Steuerzahlern mitfinanziert worden".

Informatiker Jürgen Schmidhuber: "Die gesamte menschliche Zivilisation grundlegend verändern"

Informatiker Jürgen Schmidhuber: "Die gesamte menschliche Zivilisation grundlegend verändern"

Foto: Hubert Burda Media

Luciano Floridi, Philosophieprofessor an der Oxford University, ist etwa so alt wie Schmidhuber, aber er sieht das mit der KI vollkommen anders. "Keinesfalls" werde in den kommenden Jahrzehnten eine KI entstehen, die diesen Namen wirklich verdient. Den aktuellen Stand der Entwicklung illustriert Floridi gern mit dem Verweis auf eine Windows-Fehlermeldung: "Drucker nicht gefunden". "Dabei steht der Drucker direkt neben dem Computer", sagt Floridi und lächelt ironisch.

Ein großes Thema auf der DLD-Konferenz

Floridi und Schmidhuber sind diese Woche Gäste bei Hubert Burdas DLD-Konferenz  in München, und sie stehen für die extremen Pole einer Debatte, die nicht nur die Teilnehmer dieser Konferenz, sondern auch weite Teile der internationalen Tech-Branche fasziniert: Kommt die künstliche Intelligenz nun wirklich? Werden Maschinen klüger als Menschen? Unterjochen sie uns womöglich demnächst?

Philosoph Luciano Floridi: "Drucker nicht gefunden"

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Foto: Hubert Burda Media

Während Prominente wie der Physiker Stephen Hawking, Tesla-Gründer Elon Musk und Microsoft-Gründer Bill Gates vor den möglichen Gefahren allzu kluger Maschinen warnen, sind andere längst dabei, KI in ein Geschäftsmodell zu verwandeln. Der Investor Jim Breyer etwa erklärte in München, "menschenunterstütztes Lernen" sei für viele Branchen eine gewaltige Chance. Er investiert in Firmen, die solche Techniken in der Medizin- oder Finanzbranche einsetzen wollen.

Hirngespinste? Nein, "im Erfolgsfall sehr lukrativ".

Das Filmstudio Legendary, sagt Breyer, habe zum Beispiel internationale Social-Media-Reaktionen auf den ersten Trailer zum Film "Interstellar" mithilfe lernender Algorithmen ausgewertet und die Erkenntnisse in die Gestaltung des zweiten und dritten Trailers einfließen lassen. Alle Branchen, in denen sich große Datenmengen gewinnbringend auswerten ließen, würden durch intelligente Software "vollständig umgekrempelt" werden.

Daran glauben auch andere. Eine Studie der Bank of America Merill Lynch etwa prognostiziert , binnen zehn Jahren würden KI und Robotik gemeinsam mehr als 150 Milliarden Dollar Umsatz generieren. Die Folgen für etablierte Branchen aber schätzen die Analysten noch weit gravierender ein: 14 bis 33 Billionen Kosten jährlich könnten die neuen Technologien durch "kreative Disruption" einsparen helfen, in Bereichen wie der industriellen Produktion, Gesundheitsfürsorge, durch die Automatisierung von bislang hoch qualifizierten Menschen vorbehaltenen Arbeitsplätzen und Effizienzsteigerungen durch Drohnen und autonome Fahrzeuge.

Künstliche Intelligenz aus dem Film "I, Robot": "Keinesfalls"

Künstliche Intelligenz aus dem Film "I, Robot": "Keinesfalls"

Foto: 20th Century Fox

Auch die Firma Sentient Technologies verspricht Kunden, deren Geschäft "mit künstlicher Intelligenz zu transformieren". Sie arbeitet beispielsweise an einer KI, die selbstständig an den Finanzmärkten agieren kann, und zwar nicht nur im Millisekundengeschäft des Hochfrequenzhandels, sondern auch über längere Zeiträume hinweg, so wie ein Hedgefonds-Manager.

Sentient-Mitgründer Antoine Blondeau erklärt, bislang hätte KI im Börsenhandel nur Einstiegs- und Ausstiegszeitpunkte für bestimmte Investitionen festgelegt, die Strategie sei aber immer von Menschen bestimmt worden. "Wir sagen jetzt: Hier ist die Welt, das System soll seine Strategie von A bis Z selbst entwickeln." Das könne "im Erfolgsfall sehr lukrativ sein".

Das Produkt, das Sentient derzeit unter anderem anbietet , ist allerdings prosaischer: eine Art persönlicher Shopping-Assistent, den E-Commerce-Unternehmen einkaufen können, um Kunden auf möglichst passende Produkte in ihrem Web-Angebot aufmerksam zu machen.

"Niedliche, pelzige Wesen"

Die KI der näheren Zukunft, die Informatiker Schmidhuber sich vorstellt, sieht anders aus. Das würden vermutlich eher "niedliche, pelzige Wesen" sein, elektronische Haustiere gewissermaßen, die kommen, wenn man sie ruft, und sonst noch nicht sehr viel können. Weit entfernt von menschlicher Intelligenz, aber autonom.

Wenn es mit den Fortschritten so weitergehe, die sein Team derzeit macht, sei das auch keine Schwierigkeit mehr, glaubt Schmidhuber. Ob diese künstlichen Lebewesen Bewusstsein im menschlichen Sinn hätten oder nicht, spiele kaum eine Rolle - auch ein maschineller Übersetzer sei nun mal "funktional äquivalent" zu einem Menschen, der tatsächlich zwei Sprachen spricht und versteht.

Home-Entertainment-Ei Keeker: Mädchen oder Junge?

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Foto: Keecker

Oxford-Philosoph Floridi sieht das naturgemäß anders: Man könne vielleicht "Maschinen bauen, die so tun, als ob sie Ihr Freund seien", sagt er, es gebe schon jetzt viel "Interface-Magie". Selbst Apples Sprachassistent Siri gelinge es ja, "viele Leute zu überzeugen, dass darin etwas Intelligentes steckt".

Gleichzeitig aber existiere "auf dem ganzen Planeten nichts Technologisches, was der Intelligenz einer Ratte auch nur entfernt nahekommt", von menschlicher Intelligenz ganz zu schweigen. Viel mehr müsse man sich um das sorgen, was Menschen mit immer mächtigerer Software anstellen würden.

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Foto: Corbis

Für Piere Lebeau, den Gründer des französischen Unternehmens Keecker, stellt sich die Frage nicht, ob etwas tatsächlich oder nur scheinbar intelligent ist. Keecker hat per Kickstarter  einen kleinen, rollenden, eiförmigen Roboter finanziert, der in der Wohnung herumfahren, Musik und andere Klänge abspielen und bei Bedarf Filme oder Fotos an die Wände projizieren kann. Ein Entertainment-Ei, mit dem man auch skypen oder die Wohnung überwachen kann.

"Die emotionale Reaktion hat mich überrascht"

Als die ersten Prototypen fertig gewesen seien, sei etwas geschehen, das ihn selbst überrascht habe, sagt Lebeau: Kinder aber auch Erwachsene, die das Gerät erstmals sähen, fingen sofort an, über die Frage zu diskutieren, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handele.

Das sei "keine Absicht gewesen", gibt Lebeau freimütig zu, "die emotionale Reaktion hat mich überrascht". Die autonome Bewegung allein reiche offenbar, um das Gerät "zu vermenschlichen". Von "künstlicher Intelligenz" spricht Lebeau im Zusammenhang mit dem Home-Entertainment-Ei nicht, trotzdem stufen Menschen es automatisch als künstliches Lebewesen in Schmidhubers Sinn ein.

Offenbar braucht es weit weniger, als die KI-Forschung derzeit zu erreichen versucht, um uns Menschen emotional auszutricksen.

Die Frage scheint derzeit eher zu sein, was unseren Alltag früher erreichen wird: Maschinen, die ohne Bewusstsein furchteinflößend clevere Entscheidungen treffen - oder solche, die ziemlich dumm, aber so niedlich sind, dass wir sie als liebenswerte Mitbewohner akzeptieren.


Zusammengefasst: Die Entwicklung künstlicher Intelligenz macht rasante Fortschritte, vor allem dank lernender Algorithmen und neuronaler Netze. Manche Forscher glauben, echte künstliche Intelligenz sei nur noch Jahrzehnte entfernt. Philosophen widersprechen. Unterdessen sind Unternehmer längst dabei, mit praktischen KI-Anwendungen vom virtuellen Fondsmanager bis hin zum Heimroboter neue Geschäftsfelder zu erschließen.

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