Datengrab Blackbox Wie ein Flugzeug verschwinden kann

Lückenlose Überwachung, ständige Erreichbarkeit? Nicht im Luftverkehr, wie die verschollene Boeing 777-200 beweist. Warum gibt es bei Flugzeugen keine permanente Datenübertragung? Was wird wo wie lange aufgezeichnet? Antworten auf die wichtigsten Fragen zur rätselhaften Funkstille von Flug MH370.
Honeywell-Blackbox: 25 Stunden Flugdaten, 2 Stunden Sprachaufzeichnung

Honeywell-Blackbox: 25 Stunden Flugdaten, 2 Stunden Sprachaufzeichnung

Foto: Honeywell

Hamburg - Seit dem Verschwinden von Flug MH370 stellt sich vor allem eine Frage: Wie verschwindet ein ganzes Flugzeug einfach aus dem internationalen Luftfahrt-Kontrollsystem? Warum hinterlässt in Zeiten scheinbar lückenloser Überwachung ein verschollener Passagierjet nicht mindestens eine Datenspur?

Daraus ergeben sich weitere Fragen. Was wird in einem Flugzeug gespeichert und was zum Boden übermittelt? Und warum werden nicht einfach alle Flugdaten sowohl gespeichert, als auch zur Erde gefunkt? Denn wüssten wir dann nicht schon längst, wo die Boeing 777-200 ist?

Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema Flugdaten.

Was ist eine Blackbox?

Jedes Passagierflugzeug speichert gewisse Daten in seiner Blackbox, genannt Flight Data Recorder (FDR). Zudem werden die Gespräche der Piloten im Cockpit vom sogenannten Cockpit Voice Recorder (CVR) aufgezeichnet. Beide sind in extrem robusten Gehäusen untergebracht. Die Speichereinheiten, genannt Crash Survivable Memory Unit (CSMU) sind dabei besonders stabil: Sie sollen schließlich auch einen Absturz samt anschließendem Feuer überstehen können.

Früher enthielten die CSMUs Magnetbänder, seit einiger Zeit wird stattdessen Festspeicher verwendet. Bei den Geräten der Marktführer, der US-Unternehmen L-3 und Honeywell, sind die Speichereinheiten zylinderförmige Objekte. Die Hülle besteht aus Edelstahl, der weitere Lagen von Polsterung und Hitzeisolierung umschließt. Dieser Teil einer Blackbox soll sogar dem Druck in 6500 Meter Wassertiefe widerstehen können.

Was speichert ein Flugdaten-Recorder?

Die Flugdaten-Recorder zeichnen heute eine Vielzahl von Parametern auf, teilweise "mehr als 1000 Datenpunkte pro Sekunde", erklärt Krishna Kavi, Ingenieurwissenschaftler von der University of North Texas. Welche Daten genau protokolliert werden, wird zum Teil von Flugsicherheitsbehörden wie der amerikanischen FAA vorgeschrieben. Teilweise bestimmen die Fluggesellschaften aber auch selbst weitere Messwerte, die sie für eigene Zwecke auswerten. Typische FDR-Messwerte sind:

  • Zeit
  • Fluggeschwindigkeit
  • Außendruck und Flughöhe
  • Flugrichtung
  • Vertikale Beschleunigung
  • Position des Steuerknüppels
  • Position der Ruderpedale
  • Treibstofffluss

Diese und mindestens Dutzende, manchmal Hunderte weitere Datenpunkte werden sekündlich aufgezeichnet, bis zu 25 Stunden lang - genug für jeden Langstreckenflug.

Was speichert ein Cockpit-Sprachrecorder?

Selbst, wenn die Blackboxes von MH370 gefunden werden sollten, wird der Sprachrecorder möglicherweise über die entscheidenden Minuten im Cockpit keine Auskunft mehr geben können. Denn auch moderne CVRs zeichnen nur zwei Stunden lang alle Gespräche und Geräusche aus dem Cockpit auf, alles zuvor Gespeicherte wird kontinuierlich überschrieben. Da MH370 nach der unerklärlichen Kursänderung vermutlich noch viele Stunden lang weiterflog, vielleicht als Geisterflug, speicherte der CVR womöglich nur Schweigen.

Die Begrenzung auf zwei Stunden ist ein Anachronismus: Moderne Festspeicher könnten problemlos auch die gesamte Flugdauer speichern. Blackbox-Hersteller Honeywell erklärte auf Anfrage, das liege an den Behörden: "Die Datenmenge, die auf einem CVR gespeichert wird, wird durch eine Expertengruppe festgelegt, die sich aus Piloten und Vertretern von Regulierungsorganen wie der FAA  und der ICAO  zusammensetzt."

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Blackboxes aus MH370 gefunden werden?

Sollte das Flugzeug tatsächlich in der Gegend ins Meer gestürzt sein, in der nun mögliche Wrackteile gesichtet wurden, sind die Bedingungen für einen Fund schlecht: Die See ist dort Tausende Meter tief, der Meeresgrund stark zerklüftet. Zwar schickt eine Blackbox bis zu 30 Tage nach dem Absturz ein regelmäßiges Signal, mit dem sie gefunden werden kann - doch das Suchfeld ist groß.

Die Blackbox des Air-France-Fluges 447, die am 1. Juni 2009 in den Atlantik gestürzt war, wurde erst nach zweijähriger Suche gefunden, obwohl deren Flugroute bekannt war und das Suchgebiet deswegen viel enger eingegrenzt werden konnte. Sie lag in 3900 Metern Tiefe, mit Hilfe eines Tauchroboters wurde sie gefunden und geborgen.

Warum funken die Flugzeuge alle Informationen dann nicht einfach kontinuierlich zur Erde?

Tatsächlich gibt es schon seit vielen Jahren Vorschläge, Blackboxes mit einer ständigen Datenverbindung zum Boden auszustatten. Der Informatiker Krishna Kavi von der University of North Texas etwa schlug schon nach dem mysteriösen Absturz des Fluges Egypt Air 990 im Jahr 2000 eine "Glass Box"  vor: In einem Papier, das er einige Jahre später einer US-Flugsicherungsbehörde vorlegte, ist von "Bordgeräten, die kontinuierlich die kritischsten Informationen zu Systemen am Boden übermitteln" die Rede, "entweder anstelle oder zusätzlich zur Speicherung auf traditionellen Blackboxes". Dafür könne jeweils die aktuell beste zur Verfügung stehende Verbindung genutzt werden, sei es Funk, Satellit oder ein Mobilfunknetz am Boden.

Zwar gibt es bereits das ACARS-System, das ebenfalls bestimmte Flugdaten übermittelt - aber das funktioniert nicht kontinuierlich, sendet nur einige wenige Daten und wurde etwa an Bord des Fluges MH370 vor dessen mysteriösem Verschwinden abgeschaltet. Technisch wäre eine solche "Glass Box" heute kein Problem, sagt Kavi. Flugzeugen stehen über dem offenen Meer immer noch Satellitenverbindungen zur Verfügung.

Für die Fluggesellschaften ist es vor allem eine Kostenfrage: Eine Satellitenverbindung ist teuer und die Datenübertragungsrate begrenzt. Doch dieses Argument will Kavi nicht gelten lassen: "Wir haben heute W-Lan an Bord von Passagierflugzeugen! Nur zahlen in diesem Fall eben die Passagiere dafür. Die Airlines wollen das Geld nicht ausgeben." Die Satelliten-Datenrate auf einem bestimmten Frequenzband reiche locker, um auch die Sprache aus dem Cockpit zu übertragen.

Blackbox-Hersteller Honeywell teilt auf Anfrage mit, solche Übertragungen von Daten seien technisch möglich. Sie einzuführen aber liege in der Verantwortung "der Fluggesellschaften und Flugzeughersteller". Andere produzieren bereits Geräte, die mehr nach Hause funken sollen, etwa das kanadische Unternehmen Flyht. Dessen System  sieht vor, dass Daten immer dann versendet werden, wenn an Bord ein nicht näher definiertes "Ereignis" geschieht. Welche Ereignisse eine Übertragung auslösen und ob so ein System im Fall von MH370 tätig geworden wäre, ist allerdings unklar.

Karte: Lage der mutmaßlichen Wrackteile von MH370

Karte: Lage der mutmaßlichen Wrackteile von MH370

Foto: SPIEGEL ONLINE

Tatsächlich gibt es sowohl in der EU als auch in den USA derzeit große Projekte zur künftigen Regelung des Flugverkehrs, in denen auch über Funklösungen zur kontinuierlichen Datenübertragung nachgedacht wird. Sowohl das Projekt zum sogenannten Single European Sky Air Traffic Management Master Plan (SESAR) der EU als auch vergleichbare Projekte in Japan und den USA sehen eine stärkere Vernetzung von Flugzeugen vor. Da gibt es zum Beispiel das OPTIMI-Projekt  der EU, das "Positionstracking und Monitoring" von Flugzeugen über dem Meer verbessern soll.

Doch bis eine ständige Datenverbindung Pflicht wird, werden vermutlich noch Jahre vergehen. Neben den Kosten gibt es ein weiteres Hindernis: Piloten lehnen es ab, sich bei der Arbeit permanent überwachen zu lassen. Als nach dem rätselhaften Absturz von Egypt Air 990 Vorschläge laut wurden, in Cockpits Kameras anzubringen, gab es Proteste von Piloten: Dauerüberwachung am Arbeitsplatz werde man nicht hinnehmen. Kavi erinnert sich: "Es gab damals Piloten, die drohten, sie würden ihre Mützen vor die Kameras hängen."

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