Schachcomputer Mensch gegen Maschine

Die Geschichte des Schachspiels ist auch eine Geschichte der künstlichen Intelligenz. Schon Jahrhunderte vor der Erfindung des Computers war der Traum von der denkenden Maschine mit dem Spiel verknüpft. Dabei begann alles mit einer Täuschung.
Von Fabian Mauruschat
Schachfiguren: Enge Verbindung zum Traum von der denkenden Maschine

Schachfiguren: Enge Verbindung zum Traum von der denkenden Maschine

Foto: Corbis

Die erste künstliche Intelligenz (KI) war eine Lüge. Der scheinbar denkende Android trug türkische Kleidung und spielte Schach. "Schachtürke"  nannte der Beamte Wolfgang von Kempelen seine Erfindung 1769. Mit der linken Hand zog die Puppe die Spielfiguren und konnte Schachspieler aus Fleisch und Blut besiegen. Unter ihnen angeblich auch Charles Babbage, dessen Analytical Engine als Vorläufer des modernen Computers gilt. Nur war der Schachtürke keine autonome Maschine, in dem Gerät steckte ein Mann.

Schach galt damals als Modell der rationalistischen Welt, erklärt der Schachhistoriker Ernst Strouhal in einem Buch über Kempelens Maschinen. Wenn ein Automat das Spiel meistern könnte, so das damalige Denken, wäre das ein Beweis für eine dem menschlichen Verstand ebenbürtige Intelligenz. Über hundert Schriften erschienen, in denen die wildesten Theorien über die Funktionsweise des Schachtürken aufgestellt wurden. Von Magie, einem Kleinwüchsigen in der Kiste bis zur Fernsteuerung via Magnetismus schien alles möglich.

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Künstliche Intelligenz: Eine kurze Geschichte des Schachcomputers

Foto: Jan Braun/ Heinz Nixdorf MuseumsForum

Sein Erschaffer präsentierte den Schachtürken immer nur als Kuriosität und Zaubertrick, wohl wissend, dass er einer genauen Untersuchung nicht standhalten würde. Nach Kempelens Tod kaufte der Mechaniker Johann Nepomuk Mälzel das Gerät und nahm ihn mit auf Tour durch Europa und in die Vereinigten Staaten. Edgar Allen Poe sah die Maschine und enttarnte die Fälschung 1836 in einem längeren analytischen Essay. In einem Punkt hatte Poe sich geirrt. Wenn eine Maschine das Prinzip des Schachspielens verinnerlicht hätte, so der Horrormeister, müsste sie jedes Spiel gewinnen können. Auch, weil sie alle möglichen Kombinationen kennen würde. Poe hatte nicht mit der Shannon number gerechnet.

Sklave des Programms

Über hundert Jahre später, 1950, veröffentlicht der Mathematiker Claude Shannon ein Paper, in dem er die Zahl aller möglichen Schachzüge mit 10120 ansetzt - höher als die Anzahl der Atome im beobachtbaren Universum, die zwischen 1084 und 1089 liegen soll. Unmöglich, das zu programmieren. Außer der nach ihm benannten Zahl hatte Shannon noch eine weitere Verbindung zu Schach: Das Spiel war auch für ihn ein Prüfstein der Leistungsfähigkeit von Computern. Ähnlich formulierten das später die Intelligenzforscher. "Das Schachspiel ist sozusagen die Drosophila der Intelligenzforschung" wird 1997 Franz Weinert vom Max-Planck-Institut für psychologische Forschung im SPIEGEL zitiert . Die Genetik testete ihre Theorien an der Fruchtfliege Drosophila melanogaster, die Intelligenzforschung die ihren am Schachspiel.

Auch für den genialen Mathematiker Alan Turing, der als Erster einen programmierbaren Computer baute, konnte eine denkende Maschine nicht nur rechnen, sondern auch Schach spielen. Er schrieb auch ein erstes Schachprogramm, das aber seinerzeit noch nicht von Maschinen ausführbar war. Allerdings konnte sich ein Mensch an die Programmierung halten und damit - ganz ohne Schachkenntnisse - erfolgreich spielen. Turing nannte einen solchen programmierten Spieler einen "Sklaven". Schon vor Turing, nämlich zwischen 1942 und 1945 schrieb Konrad Zuse ein Schachprogramm für seine Programmiersprache Plankalkül.

In den folgenden Jahren entwickelte sich die Rechnerstärke exponentiell. 1977 kam mit dem Fidelity Chess Challenger 1 der erste kommerzielle Schachcomputer auf den Markt. In den Achtzigern fanden die Geräte den Weg in viele Haushalte. Schachprogramme für den Heimcomputer waren weit verbreitet, beliebt war "BattleChess" von 1988, das die Kämpfe der Figuren gegeneinander animierte. Selbst der Volkseigene Betrieb "Karl Marx" des Kombinats Mikroelektronik Erfurt entwickelte und exportierte eigene Schachcomputer.

Androiden, die von Schachcomputern träumen

Auch in Filmen wurde das Schachspiel zum Beweis der Überlegenheit von Maschinen herangezogen. In Kubricks "2001: Odysee im Weltall" besiegt der Supercomputer HAL 9000 problemlos den Astronauten Frank Poole, der Replikant Roy Batty in "Blade Runner" übertrifft seinen Erschaffer beim Spiel der Könige. Data, der Android aus "Star Trek" dagegen, verliert auch mal eine Partie 3D-Schach. Schließlich, so erklärt es ihm seine Spielpartnerin Deanna Troi, gehöre auch Intuition zu den Qualitäten eines Schachspielers.

Ein Teil der Fiktion wurde in den Neunzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wahr. Deep Blue konnte als erster Computer unter Turnierbedingungen einen amtierenden Schachweltmeister, Garri Kasparow, besiegen. Deep Blue war allerdings kein eigenständig lernendes System, das IBM-Team änderte während des Wettkampfes die Codes, eliminierte Fehler. Böse gesagt war auch hier ein Mensch in der Maschine verborgen.

In den letzten Jahren hat Schach als Versuchsfeld für künstliche Intelligenz seine Relevanz beinahe verloren. Dafür sorgte die Erkenntnis, dass Schach vor allem eine Sache der Übung und nicht unbedingt eine der Intelligenz ist.

Aber möglicherweise gibt es eine Revanche der Schach-KIs: Vor Kurzem sorgte das Programm Giraffe für Schlagzeilen, das sich innerhalb von 72 Stunden selbst Schach beigebracht hat. Das gelingt der lernfähigen Maschine mit einem neuralen Netzwerk, dessen Aufbau dem menschlichen Hirn nachempfunden ist.

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