

Start der Spielwarenmesse Smartes Spielzeug, dummes Spielzeug

Liebe Leserin, lieber Leser,
vor zehn Jahren ging es auf der Nürnberger Spielwarenmesse um »iToys« und »Toys 3.0«. Jetzt ist »MetaToys« das neue Marketing-Buzzword. Aber warum ist das meiste Technikspielzeug noch immer unspektakulär?
Am heutigen Mittwoch startet in Nürnberg die Spielwarenmesse . Während sich dort Branchenprofis aus aller Welt vernetzen, zeigen wir und viele andere Medien Ihnen wieder niedlich aussehende Neuheiten wie den hier zu sehenden Roboterhund Dog-E (nicht zu verwechseln mit den Roboterhunden der Polizei NRW, die ich neulich besucht habe ).

MINTiD Dog-E: Der vorbestellbare Spielzeughund samt App bietet 200 Sounds und Reaktionen
Foto: Daniel Karmann / dpaIch will aber ehrlich sein: Mich als Technerd enttäuscht es regelmäßig, wie dumm oder schrottig angeblich smartes Spielzeug noch immer ist.
Von der Spielwarenmesse habe ich bereits im Jahr 2013 berichtet: Damals schrieb ich über Buzzwords wie Toys 3.0 und iToys, die eine Techrevolution im Kinderzimmer verhießen. Heraus kam dabei nicht viel, weshalb ich über eines der Messe-Buzzwords 2023 nur müde lächeln kann: MetaToys, ernsthaft? Als plumpe Anspielung auf Themen wie das Metaversum, die Blockchain-Technologie und NFTs? Ist das wirklich der nächste logische Schritt?
Klar, anders als 2013 hat heute sogar das Überraschungsei eine App-Komponente und in vielen Kinderzimmern stehen vernetzte Audio-Gadgets wie die Toniebox . Und ja, es gab viel beachtete Produkte wie die »Skylanders«, die physische Spielfiguren mit Videospielwelten zusammenbrachten. Mittlerweile aber sind die größtenteils wieder weg vom Fenster. Und die naheliegendste Smart-Toy-Vision – das schlau wirkende, konversationsfähige Kuscheltier – wartet noch immer auf eine überzeugende Umsetzung für den Massenmarkt. Selbst die »Hello Barbie«, 2015 als Puppe mit Mikrofon ein Riesenaufreger, wird inzwischen nicht mehr hergestellt. Stattdessen reden jetzt viele Kinder mit hässlichen Alexa-Gadgets, die eigentlich fürs Onlineshopping gedacht sind. Oder sie müssen mit Roboterkatzen Vorlieb nehmen, die wirken, als seien sie dem »Friedhof der Kuscheltiere« entkommen .

»Paw Patrol«-Klebetattoo mit AR-Effekt: Wie oft beeindruckt das wirklich?
Foto: Daniel Karmann / dpaÜber die Frage, warum Techspielzeug so oft enttäuscht, habe ich mit dem Berater Steve Reece diskutiert. Der Brite arbeitet seit 1998 in der Spielwarenbranche, in Nürnberg spricht er am Donnerstag über die »Zukunft der Spielwaren« . Reece hat mehrere Erklärungen für mein Bauchgefühl, dass es nur langsam vorangeht, eine ganz entscheidende aber ist der Preis. »Natürlich könnte man die Technologie, die in deinem Smartphone steckt, auch in ein Spielzeug verbauen«, sagt er. »Aber niemand will 1000 Euro für ein Spielzeug ausgeben.« Schon 50 oder gar knapp 100 Euro seien im Bereich der Techspielwaren ein ambitionierter Preise. Auch deswegen stecke in den Spielzeugen tendenziell noch »die Technologie von gestern«.

Berater Steve Reece: Ein langjähriger Kenner der Spielwarenbranche
Außerdem gibt Reece zu bedenken, dass viele Kinder heutzutage Hunderte Spielzeuge zu Hause hätten. Das mache Eltern skeptisch, ob ihr Kind mit irgendeiner Neuheit wirklich viel Zeit verbringen wird. Was es wiederum Herstellern erschwert, Hochpreisiges in hohen Stückzahlen abzusetzen.
Die meisten Eltern, so klingt das, greifen im Zweifel also doch eher zu einfacheren, günstigeren Spielsachen, die laut Reece auch noch immer für den Löwenanteil des Branchenumsatzes verantwortlich sind. 85 bis 90 Prozent aller Spielwaren, schätzt er, kämen nach wie vor weitgehend technikfrei daher. Zumal moderne Technik allein keine Erfolgsgarantie bietet: Je jünger die Kinder seien, desto wichtiger sei für sie die taktile Erfahrung, sagt Reece, also ob sich ein Spielzeug interessant anfühlt. Aus diesem Grund könnten auch Augmented Reality (AR) und Virtual Reality (VR) traditionelle Spielzeuge auf absehbare Zeit nicht ersetzen.
Grundsätzlich sieht Reece bei den Techtoys aber Besserung in Sicht. Denn einerseits sind die Menschen seiner Einschätzung nach zunehmend bereit, mehr Geld als früher für High-End-Spielzeug auszugeben – eine Entwicklung, die auch damit zusammenhängt, dass sich immer mehr Erwachsene selbst Spielzeug zulegen, etwa teure Lego-Sets. Anderseits sieht Reece echte technologische Fortschritte. »Spracherkennung funktioniert jetzt«, gibt er ein Beispiel. »Früher war sie einfach noch nicht gut genug.« Vieles von dem, was Firmen vor zehn Jahren umzusetzen versuchten, sei mittlerweile möglich, meint Reece, der auch KI-Tools wie ChatGPT aufmerksam beobachtet.
Damit, dass bald jeder Teddybär ChatGPT an Bord hat, sollte man aber eher nicht rechnen. »Die Spielzeugbranche ist sehr gut darin, fortschrittliche Technologie, die anderswo sehr teuer ist, in eine einfachere Form zu bringen, was niedrige Preise ermöglicht«, sagt Reece. Den neuesten Technologien von Konzernen wie Microsoft oder Apple werde sie aber immer hinterherhinken.
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Markus Böhm, Ressort Netzwelt