Tilt-Shift per Software So schrumpfen Fotos zu Spielzeuglandschaften

Aus Häusern wird eine Märklin-Kulisse: Fotografen erzeugen mit teuren Tilt-Shift-Objektiven diesen Miniatur-Effekt. Das geht auch günstiger - das Fachmagazin "Docma" erklärt, wie man den Spielzeug-Look per Bildbearbeitung nachahmt.
Von Uli Staiger
Fotostrecke

Spielzeugwelten: Faszination des Kleinen

Foto: Docma/Uli Staiger

Betrachtet man eine herkömmliche Porträtfotografie, so fällt das Abstrahieren nicht sonderlich schwer. Niemand würde glauben, dass ein postkartengroßes Porträt einen postkartengroßen Menschen abbildet. Dieses Selbstverständnis liegt zum großen Teil darin begründet, dass die Schärfeverteilung der bildwichtigen Teile weitgehend mit dem Augeneindruck übereinstimmt.

Ein wenig anders verhält sich dies, wenn sehr kleine Dinge fotografiert werden. Für die Bildwirkung entscheidend ist dabei das Verhältnis von Objektgröße zur Fläche des aufnehmenden Mediums, bedeutet im Klartext: Je kleiner das fotografierte Objekt, desto geringer der Bereich der Tiefenschärfe. Das erklärt, warum das Gebirgspanorama gestochen scharf wiedergegeben wird, während der scharf abgebildete Bereich eines Spielzeugautos gerade mal ein paar Millimeter beträgt.

Wir alle kennen diese typische Schärfeverteilung von Makroaufnamen und würden nie auf die Idee kommen zu glauben, der verschwommene Vorder- oder Hintergrund sei wirklich so unscharf wie in der Aufnahme dargestellt. Statt dessen interpretieren wir die Unschärfe um und konnotieren sie mit geringer Größe. Diese nicht unbeträchtliche Abstraktionsleistung gelingt übrigens nicht nur Besitzern von Makroobjektiven, sondern ist gewissermaßen optisches Allgemeingut. Auch ohne fotografisches Spezialwissen werden unscharfe Bildteile bei manchen Bildern automatisch in Größenverhältnisse uminterpretiert.

Fotografieren

Zum Glück! Denn natürlich lässt sich dieser Zusammenhang auch in umgekehrter Richtung nutzen, man braucht nur die Schärfeverteilung einer Makroaufnahme nachzuahmen. Dies funktioniert auf unterschiedlichste Weise: Entweder verwenden Sie einen Aufnahmechip von 3x4m Größe samt Normalobjektiv von etwa 6000 mm. Aufwendig und schwer zu beschaffen, aber extrem wirksam. Oder man greift zu einem kleinen Trick: Durch Neigen des Objektivs verlegt man die Schärfeebene so, dass sie nicht mehr parallel zur Fläche des Chips verläuft, sondern diese in einer Geraden schneidet. Der Trick stammt aus der Großformatfotografie, lässt sich aber auch bei einer herkömmlichen Kleinbild-DSLR anwenden. Allerdings benötigt man dazu ein sogenanntes Tilt-Shift-Objektiv, dessen optische Achse verschwenkbar ist. Der Effekt ist schlichtweg atemberaubend, wenn man ein paar Dinge beim beachtet.

Wenn Sie schon mal fasziniert auf die kleine Welt einer Modelleisenbahnanlage geblickt haben, wissen Sie im Prinzip auch, was es beim Fotografieren "unechter" Miniaturwelten zu beachten gilt. Denn die meisten Miniaturwelten, die man im Laufe des Lebens sieht, betrachtet man aus der Vogelperspektive, also von oben. Die Motive sind nicht immer sehr originell, aber stets detailliert - ohne Modellhäuser, Bäumchen und Passanten geht gar nichts. Aber genau diese Kleinteiligkeit ist es, die das Verschwimmen der Konturen in der Unschärfe besonders hervorhebt.

Miniaturlandschaft per Photoshop - das Fachmagazin "Docma" erklärt zwei Bildbearbeiter-Tricks Schritt für Schritt. Die Weichzeichner-Methode ist einfacher, die Abmilderung der Tiefenschärfe komplizierter, aber schöner.

Tiefenschärfe per Photoshop abmildern - Motivanalyse

Wer in Photoshop nach einem Werkzeug sucht, um Unschärfe in ein Bild zu rechnen, der stolpert irgendwann über die malerische Bezeichnung "Tiefenschärfe abmildern". Dahinter verbirgt sich ein recht umfangreicher Filter mit eigenem Interface, der eigentlich nur einen nennenswerten Schwachpunkt hat: Er kann nicht als Einstellungsebene eingesetzt werden. Die realistische Unschärfe dieses Filters in Verbindung mit einer sauberen Maske führt zu erstaunlichen Ergebnissen.

Foto: Docma/Uli Staiger

Der Aufnahmestandpunkt liegt auf einer Anhöhe oberhalb eines Bauernhofs. Dies alleine prädestiniert das Motiv noch nicht für eine Miniaturisierung. Betrachtet man aber die Gesamtheit der Szene, so würde sich ein scharf abgebildeter Hof extrem gut vom unscharfen Hinterland abheben. Auch der rechte Bildrand hat ein wichtiges Detail zu bieten: die Tanne ist dem Vordergrund zuzurechnen und könnte ebenfalls einen starken Schärfekontrast zum Bauerhof aufbauen. Voraussetzung für die Trennung der scharfen von den unscharfen Bereichen ist allerdings eine Maske.

Maskieren

Foto: Docma/Uli Staiger

Das Motiv eignet sich gut zum Maskieren. Kritische Kanten finden sich allenfalls im Bereich der Bäume links neben dem Gehöft. Im Vordergrund läuft die Maske sanft aus, so dass ein fließender Übergang entsteht; das Verbessern der Kante, in diesem Fall das Weichzeichnen derselben um 0,5 Pixel, ist Routine und verhindert allzu harte, unnatürlich wirkende Kanten. Bevor nun der Filter angewandt wird, muss die Maske wieder in eine Auswahl verwandelt, umgekehrt und als Alphakanal gespeichert werden. Alternativ ziehen Sie in der Kanälepalette das Bildchen der Maskierungsdarstellung auf das Symbol für "Neuen Kanal erstellen". Damit schafft man die Grundlage, aus dem Filter heraus auf die maskierten Bereiche zugreifen zu können.

Weichzeichnen

Foto: Docma/Uli Staiger

Der Filter öffnet sich mit der Standardeinstellung. Ob sie "schneller" oder "genauer" verwenden, spielt eine untergeordnete Rolle, beide Einstellungen benötigen verhältnismäßig viel Rechenleistung und sind vom Ergebnis her kaum zu unterscheiden. Verwenden Sie beim Speichern der Auswahl stets einen aussagekräftigen Namen, den Sie leicht zuordnen können. Der Regler für "Radius" funktioniert ähnlich wie beim "Gaußschen Weichzeichner". Da es keine Faustregel gibt, versuchen Sie, die Wirkung nach Sicht einzustellen. Ein zu geringer Wert verpufft wirkungslos, führt höchstens zu Irritationen beim Betrachter. Ein zu starker Wert würde Vorder- und Hintergrund zu einer bunten Soße zusammenrühren und letztlich unkenntlich machen. Versuchen Sie also, grobe Formen zu erhalten, sie aber soweit weichzuzeichnen, dass man von einer "unscharfen" Aufnahme sprechen könnte. Oder schauen Sie einfach mal durch Ihre Kamera, ohne scharfzustellen.

Bleiben noch die Einstellungen für die Blende und die spiegelartigen Lichter. Die Blendeneinstellungen sind nur dann von Bedeutung, wenn die Helligkeit der spiegelartigen Lichter größer als 0 und der Schwellwert kleiner als 255 ist. Hintergrund dieser Einstellungen ist die Tatsache, dass punktförmige Lichtquellen bei defokussiertem Objektiv wesentlich größer abgebildet werden als bei exakter Fokussierung. Da in diesem Bild der Himmel jedoch die einzige Lichtquelle darstellt, entfallen diese Einstellungen hier komplett. Die zu "Quelle" gehörende "Weichzeichnen-Brennweite" erlaubt es, quasi durch die Graustufen der zugeordneten Maske "hindurchzuzoomen" und so die Schärfeebene zu verlagern.

Tiefenschärfe abmildern, das Resultat

Foto: Docma/Uli Staiger

Verglichen mit der recht einfachen Anwendung des Gaußschen Weichzeichners sieht eine Defokussierung mittels der Tiefenschärfeabmilderung deutlich realistischer aus. Dazu trägt allerdings auch das Motiv bei, das für eine Miniaturisierung geradezu perfekt ist.

Gaußscher Weichzeichner - Motivanalyse

Bildbearbeitung

Neben der rein fotografischen Lösung bietet auch die in Photoshop verschiedene Möglichkeiten der Schärfeumverteilung. Zwar lässt sich in eine unscharfe, nicht fokussierte Aufnahme keine Schärfe hineinrechnen, wohl aber umgekehrt. Beginnen wir mit einer einfachen und weitgehend automatisierten Taktik: dem Weichzeichnen mit dem Gaußschen Weichzeichner

Foto: Docma/Uli Staiger

Auch ohne Passanten birgt dieses Motiv genügend Details, um als überzeugende Miniaturlandschaft wiedergegeben werden zu können. Außerdem ist die Aufnahme so unspektakulär, man möchte fast sagen langweilig, dass sie in einen klaren Kontrast zum angestrebten Effekt treten kann. Interessanterweise ergibt sich durch die hier verwendete lange Brennweite von 200mm kein Nachteil, obwohl das menschliche Auge in etwa der Bildwirkung eines 50mm-Objektives entspricht. "Brennweite" ist in diesem speziellen Kontext kein optisch relevantes Kriterium, wenn man mal von Spezialobjektiven unterhalb von 15mm oder oberhalb von 300mm absieht.

Maskierung

Foto: Docma/Uli Staiger

Bevor Sie die Aufnahme maskieren, müssen Sie sich klar machen, wo der Schärfebereich verlaufen soll. Das Haus sollte zumindest teilweise im scharfen Bereich liegen, denn wenn man lediglich die Wiese im Schärfebereich belässt, wäre das Bild von einer komplett unscharfen Aufnahme kaum zu unterscheiden. Dann klicken Sie auf die Schaltfläche für den Maskierungsmodus (1), anschließend auf das Verlaufswerkzeug (2) und zum Schluss wählen Sie eine Verlaufsart aus (3). Der "Reflektierte Verlauf" eignet sich wunderbar, denn er erzeugt einen doppelten Verlauf (Maske-nicht Maske- Maske), wenn man in der Bildmitte ansetzt und leicht schräg nach oben oder unten zieht.

Weichzeichnung

Foto: Docma/Uli Staiger

Die Stärke der Weichzeichnung ist allein von der Auflösung der Datei abhängig. Kleine Dateien benötigen eine geringe, größere eine stärkere Weichzeichnung. Dabei ist ein wenig Fingerspitzengefühl gefragt: Ein zu zögerlicher Einsatz des Filters führt zwar zu einer leichten Unschärfe, der Miniatureffekt jedoch stellt sich nicht ein. Zu starkes Weichzeichnen löst die Kontur des Bildes komplett auf, so dass die Aufnahme zwar an Stimmung gewinnt, jedoch am gewünschten Effekt vorbeigefiltert wird.

Resultat

Foto: Docma/Uli Staiger

Betrachtet man den Aufwand, so kann man einigermaßen zufrieden sein. Allerdings offenbart sich der Schwachpunkt des Gaußschen Weichzeichners: Wird er in Verbindung mit einer Maske oder einer Ebenenmaske eingesetzt, so sorgt die Maske für eine Überlagerung von unscharfem und scharfem Bild. Die Maske steuert bei diesem Filter also nicht den Radius der Anwendung, sondern lediglich deren Deckkraft.

Dem Gauß ein Schnippchen schlagen

Foto: Docma/Uli Staiger

Auch wenn der Gaußsche Weichzeichner Unschärfe nur bedingt realistisch abbildet: Man kann mehr mit ihm anfangen, als es auf den ersten Blick scheint.

Foto: Docma/Uli Staiger

Schärfebereich nachträglich positionieren

Kopieren Sie die Ebene, die Sie weichzeichnen wollen. Dann wenden Sie den Filter an und defokussieren die Ebenenkopie. Fügen Sie dieser nun eine neue Ebenenmaske hinzu, ziehen Sie eine ovale Auswahl auf und füllen Sie sie mit Schwarz. Jetzt brauchen Sie nur noch die Ebenenmaske selbst mit dem Gaußschen Weichzeichner zu behandeln, allerdings mit einem erheblich stärkeren Wert als die Bildebene, und schon lässt sich die Lage des Schärfepunktes durch Verschieben der Ebenenmaske auch nachträglich bestimmen. Aber nur, wenn Sie die Verbindung von Ebene und Ebenenmaske durch Wegklicken des kleinen Verkettungssymbols in der Ebenenpalette vorher aufheben.

Foto: Docma/Uli Staiger

"Echte" Unschärfe mit dem Gaußschen Weichzeichner

Mit ein wenig Mehraufwand können Sie den Gaußschen Weichzeichner dazu bringen, nicht bloß ein weichgepültes Bild zu erzeugen, sondern brillante, flirrende Unschärfe: Legen Sie zunächst eine Auswahl an, die den zu defokussierenden Bereich definiert. Dann wenden Sie den Filter auf diesen Bereich an, allerdings zunächst mit einer sehr geringen Stärke von 2,5 Pixeln. Rufen Sie danach den Filter erneut auf, aber verdoppeln Sie den Radius auf 5 Pixel, beim nächsten Durchgang dann auf 10 und beim letzten auf 20 Pixel. Funktioniert wundervoll!

Foto: Docma/Uli Staiger

Das linke Bild zeigt die einmalige Anwendung des Gaußschen Weichzeichners mit einem hohen Wert, im rechten Bild ist das Resultat nach mehrfacher Anwendung des Filters mit gesteigerten Werten zu sehen.

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