Zehn Jahre iPad Warum nennen wir es nicht einfach Computer?

Steve Jobs bei der Präsentation des ersten iPads im Januar 2010 in San Francisco
Foto: JUSTIN SULLIVAN/ AFPAls der damalige Apple-Chef Steve Jobs am 27. Januar 2010 das erste iPad präsentierte, fehlte uns das passende Vokabular. Wir nannten es "Wunderflunder", "Riesen-iPhone" und "Streichel-Computer", verglichen es mit E-Readern und klagten, dass es kein Flash kann.
Der Versuch, einzuordnen, was es mit dem neuen Apple-Gadget denn nun auf sich hat, fiel unter meinen Ressortkollegen ausgesprochen unterschiedlich aus. Frank Patalong konstatierte, es sei nach all den Insider-Hinweisen im Vorfeld "keine Überraschung mehr" gewesen. "Aber beeindruckend war es trotzdem." Konrad Lischka erklärte, weshalb er seiner Oma so ein Ding kaufen werde, sich selbst aber nicht. Und Christian Stöcker schließlich fasste die Reaktionen der internationalen Presse zusammen: "Von wegen Wunderflunder".
Unser US-Korrespondent Marc Pitzke, der sich am Erstverkaufstag in den USA ein iPad besorgte, fasste seine Erfahrungen nach dem ersten Tag mit dem neuen Gadget so zusammen: „Es ist völlig überflüssig - doch nach wenigen Minuten will man ohne es nicht mehr leben.“ Er beschrieb es als „eine Revolution, eine Zeitenwende - ob man sie will oder nicht“ und zeigte sich besonders davon beeindruckt, dass dem Gerät keine Gebrauchsanweisung, nicht mal ein Beipackzettel beilag, „als versichere Apple dem Novizen: Das kannst du schon alleine.“

Das erste Mal: So hat Apple 2010 das iPad präsentiert
Der Reiz des Neuen
Und tatsächlich ist genau das ein großer Teil dessen, was das iPad ausmacht: Man muss es nicht lernen. Es ist so einfach, damit umzugehen, dass sogar meine Schwiegermutter damit auf Anhieb klarkam – und die ist immerhin 85 Jahre alt. Dass ihr Windows-PC seit Monaten zickt, nimmt sie stoisch hin, aber wenn am iPad etwas hakt, muss der familiäre IT-Support so schnell wie möglich anrücken.
Wie sehr das iPad ein Gerät für jedermann sein würde, zeigte sich auch, als ich fast zwei Monate nach Marcs erstem Test in den USA eines der ersten in Deutschland verfügbaren iPads nach Hause brachte. In meinem Testbericht beschrieb ich, wie Frau und Kinder mir Apples Tablet quasi aus den Händen rissen. Da war der Reiz des Neuen, klar. Aber es war eben auch eines der wenigen Gadgets, die alle sofort begriffen, mit denen alle sofort etwas anzufangen wussten, nur eben nicht das Gleiche.
Ich klagte damals, dass man einen Computer brauchte, um das iPad zu aktivieren und Updates einzuspielen. Das hat sich geändert. Und ich beschwerte mich über die hohen Preise für Adapter. Das hat sich nicht geändert. Vor allem aber beklagte ich mich darüber, dass ich kaum noch selbst dazu kam, das aus heutiger Sicht dicke Ding zu benutzen. "Mittlerweile wird die Nutzungszeit des iPad bei uns im Halbstundentakt vergeben - und ich komme natürlich immer als Letzter dran."
Wie ein Schweizer Taschenmesser
Heute ist das glücklicherweise anders, weil fast alle in der Familie ihr eigenes iPad haben. Die Tochter nutzt es an der Uni. Statt hektisch mitschreiben zu müssen, fotografiert sie die Tafelbilder ab und ergänzt sie am Bildschirm per Apple Pen um Notizen. Als Lehrerin benutzt meine Frau ihres jeden Tag im Unterricht. Unter anderem, um eine Art digitales Klassenbuch zu führen. So kann sie jeder Schülerin und jedem Schüler jederzeit Auskunft geben, auf welcher Note sie gerade stehen.
Auch mein Urteil von damals - "Wer ein Gerät zum Arbeiten sucht, braucht etwas anderes" - könnte ich heute nicht mehr aufrechterhalten. Für mich ist das iPad das digitale Gegenstück zu einem Schweizer Taschenmesser geworden: Mit den richtigen Apps kann ich darauf – fast – alles machen, wofür ich früher einen Computer gebraucht habe. Ganz besonders gilt das für die "Pro"-iPads und bei denen ganz besonders für die Modelle mit 12,9-Zoll-Bildschirm. Die sind so gut ausgestattet und so schnell, dass sie es lässig mit den meisten Notebooks aufnehmen können - leider auch beim Preis.
Meine persönliche Einschränkung ist Software zur Musikproduktion. Garageband auf dem iPad ist ja sehr nett, aber mit Logic Pro X oder Reaper auf dem MacBook kommt es einfach nicht mit. Sobald es das fürs iPad gibt, kann mein Laptop weg. Dasselbe Schicksal könne womöglich eines Tages meinen Fernseher ereilen. Wenn ich Filme oder Serien anschaue, dann meistens auf dem iPad, mit den Apps der Mediatheken, Netflix, Prime Video oder Apple TV. Auf Reisen kann man damit bestens lange Flüge und Wartezeiten überbrücken.
Ein eigenes Betriebssystem
Richtig erwachsen wurde das iPad im Grunde genommen aber erst, als Apple ihm im vergangenen Jahr ein eigenes Betriebssystem gönnte. Zwar teilt iPadOS vieles mit dem iOS der iPhones, aber es hat eben auch Funktionen, die nur auf einem Tablet sinnvoll sind. Zum Beispiel ein Multitasking mit mehreren gleichzeitig nebeneinander geöffneten Apps. Oder die Möglichkeit, zum Datenaustausch externe Festplatten und SSD anzustöpseln. Meine absolute Lieblingsfunktion aber ist Sidecar, also der Beiwagen. Die Bezeichnung ist sinnig, macht diese Funktion das iPad doch per WLAN oder Kabel zum Zweitmonitor für einen Mac, inklusive Touchbedienung und Stift. Noch so etwas, wovon wir vor zehn Jahren noch nicht mal zu träumen gewagt hätten.

Das iPad als Zweitmonitor fürs MacBook. Die "Beiwagen"-Funktion macht es möglich
Foto: Matthias Kremp/ Der SpiegelDas einzige wovon ich jetzt noch träume, ist ein iPad mit 5G und Wifi 6. Und mit einer besseren Tastaturhülle. Mit dem Smart Keyboard Folio von Apple komme ich zwar recht gut klar, aber mit einer guten Notebooktastatur sind dessen Tasten nicht vergleichbar. Zudem dürften die für meinen Geschmack gerne beleuchtet sein. Auf dunklen Pressekonferenzen und Langstreckenflügen brauche ich das.
Wenn Apple das noch erledigt, werde ich mit dem iPad wohl vollends zufrieden sein. Statt zu fragen, was man damit anfangen kann, frage ich mich ohnehin schon lange, wozu man es nicht gebrauchen kann. Knifflig.