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Aufbau-Klassiker: So sah "Anno 1602" aus

"Anno 1602" wiederentdeckt "Eure Stadt wächst und gedeiht"

Ende der Neunziger zählte "Anno 1602" zu den beliebtesten Computerspielen überhaupt. Heute wird das Strategiespiel als Sammlerstück verkauft. Unsere Autorin hat den Klassiker noch einmal installiert.

"Nur noch dieses eine Gebäude will ich bauen, dann hör ich auf." Meine Geschwister und ich begriffen schnell, dass solche Versprechen wertlos sind, wenn jemand gerade mitten in einer Partie "Anno 1602" steckt. Denn in dem Aufbaustrategiespiel gab es immer etwas zu tun.

Es war das erste Spiel, das mich und meine Geschwister kollektiv in seinen Bann zog. Zu zweit oder zu dritt saßen wir um den Röhrenbildschirm herum und dirigierten den Mauszeiger des Spielers durch Zurufe mit. Eigentlich warteten die Zuschauer aber nur darauf, endlich selbst zum Zug zu kommen. Der Deal war: jeder eine halbe Stunde.

Eingehalten hat das natürlich keiner. Immer versuchte man, noch ein paar Minuten mehr rauszuhandeln. Es gab auch schon mal Rangeleien um den Spielersitz.

Mit unserer Begeisterung waren wir nicht allein: "Anno 1602", einer der wenigen Spielehits aus Deutschland, war seinerzeit auch kommerziell ein Hit. Zwischen 1998 und 2002 verkaufte es sich mehr als zwei Millionen Mal.

Heute gehört das "Anno"-Imperium zu Ubisoft. Der französische Spielekonzern wird zwar nicht müde, neue Varianten des Aufbauspiels herauszubringen. An den Charme des Originals kommt aber keins der neueren Spielen heran, finde ich.

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Hits, Klassiker, Kurioses: Games, made in Germany

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Trommelwirbel und Fanfaren im Startmenü

Genau deshalb habe ich mir "Anno 1602" jetzt wieder besorgt. Im Netz wird die CD-Rom als "Sammlerstück" gehandelt, und noch während ich auf "Kaufen" klicke, frage ich mich, ob "Anno" auf einem modernen PC überhaupt noch spielbar ist.

Tatsächlich löst sich das Intro in einer Pixelexplosion auf, und auch die Videosequenzen im Spiel muss ich ausstellen, weil die Grafik spinnt. Der Rest aber funktioniert einwandfrei, die Grafik des Spiels ist im Gegensatz zu 3D-Spielen aus derselben Zeit sogar halbwegs gut gealtert.

Trommelwirbel und Fanfaren begrüßen mich im Startmenü. Ich wähle wie früher das Endlosspiel. Meine Aufgabe lautet, mit meinem Schiff eine Insel zu besiedeln. Schon die ersten Sekunden können spielentscheidend sein. Auf der Suche nach einer neuen Heimat für mein Volk muss ich schneller sein als meine Konkurrenten.

Mein Volk soll mir ein Denkmal errichten

Heute klappt das auf Anhieb. Die erste Insel, die ich ansteuere, ist groß und reich an Ressourcen. Ein Klick auf den "Erkunden"-Button bestätigt den Verdacht: "Es gibt Erz auf dieser Insel!" Halleluja! Erz ist der wichtigste Rohstoff. Daraus lassen sich Werkzeuge herstellen, und ohne die geht gar nichts.

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Aufbau-Klassiker: So sah "Anno 1602" aus

Von den Ressourcen, die ich auf meinem Schiff mitgebracht habe, quasi mein Startguthaben, baue ich die ersten Gebäude. Jagdhaus, Fischerhütte, Forsthaus und Schafsfarm sorgen für das Nötigste. Stelle ich meinen Pionieren jetzt noch eine Kirche und einen Marktplatz hin, verwandeln sich die Bretterverschläge bald in stabile Häuser.

Aus den Pionieren werden Siedler, dann Bürger, Kaufleute und schließlich Aristokraten. Jede Entwicklungsstufe schaltet neue Technologien und Betriebe frei. Die Gebäude werden immer größer und schicker. Auf den Straßen wandeln jetzt Gestalten in feinen Gewändern. Die lassen zwar meine Steuerkasse klingeln, sind aber auch ganz schön anspruchsvoll.

Mein Volk soll mir ein Denkmal errichten

Macht man alles richtig, wollen einem die Einwohner irgendwann ein Denkmal errichten. Das habe ich mir auch verdient, finde ich: Denn so ein Völkchen zu regieren, ist harte Arbeit, heute genauso wie in den späten Neunzigerjahren.

Von meinen Kolonien - auf einer dieser Südseeinseln leben sogar Ureinwohner - importiere ich exotische Güter wie Baumwolle, Kakao und Gewürze. Aber irgendwie ist es meinem Volk nie genug. Ständig ändert es seine Vorlieben. Mal ist Kakao schwer in Mode, dann wird auf einmal Schnaps in rauen Mengen gesoffen.

Zuletzt futtert mir die wachsende Bevölkerung sämtliche Vorräte weg. Die plötzliche Hungerkrise erwischt mich eiskalt, genauso wie die Pest, die plötzlich in einem Stadtviertel ausbricht.

Gewinnen und trotzdem verlieren

Damals, als ich das Spiel noch mit meinen Geschwistern teilen musste, spielten sich nicht nur auf dem Bildschirm schreckliche Dramen ab. Den schlimmsten Zoff gab es, wenn mal wieder jemand versehentlich den Spielstand des anderen überschrieben hatte. Und das passierte regelmäßig, denn die Buttons fürs Speichern und Laden liegen gefährlich nah beieinander.

Zum Glück bin ich jetzt alleine und kann meine Partie in aller Ruhe zu Ende bringen. "Eure Stadt wächst und gedeiht", tönt es zwischendurch aus den Boxen, ein Spruch, an den sich wohl jeder "Anno"-Spieler erinnert. Genau das will ich hören. Mein Imperium erstreckt sich bald über drei Inseln, die Wirtschaft brummt, und ich befehlige vier Schiffe.

Die Schiffe haben zwar auch Kanonen an Bord. Damit halte ich mir aber nur die Piraten vom Leib. Denn sobald man einen Konflikt anzettelt, gehen Fortschritt und Wohlstand in Nullkommanix den Bach runter. Wenn ich eins von "Anno" gelernt habe, dann dies: Man kann den Krieg gewinnen und trotzdem zu den größten Verlierern zählen.

Und, natürlich: Auch wenn auf dem Bildschirm Frieden herrscht, plant im echten Leben bestimmt doch wieder jemand den Umsturz - und sei es nur den meines Stuhls.

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