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Aufbauspiel aus Deutschland: Das ist "Anno 1800"

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Strategiespiel "Anno 1800" Diese tiefe innere Ruhe

Stadt-Aufbauspiele sind zeitintensiv und weitgehend sinnlos, findet unser Autor - und deshalb so gut. Mit "Anno 1800" ist er wieder in seinem Element. Hier erzählt er, was den Reiz der Games ausmacht.

Drei Häuser brennen, mehrere Bauern planen einen Aufstand. Und ich? Ich bleibe ganz ruhig. Denn ich habe ja die passenden Werkzeuge, um dem beizukommen: Ich baue einfach eine Feuer- und eine Polizeistation. Kurz darauf ist die Lage wieder unter Kontrolle - und meine Zufriedenheit steigt wie die Steuereinnahmen meiner Siedlung.

Ich mag Aufbau-Strategiespiele sehr. Sie wirken auf mich entschleunigend und bieten mir ein Gefühl von Kontrolle. Derzeit wird diese Liebe für das Genre durch "Anno 1800" neu entfacht. Es ist das aktuelle Spiel der seit nunmehr 21 Jahren existierenden, in Deutschland produzierten "Anno"-Reihe.

"Anno 1800" macht die beginnende Industrialisierung spielbar. Dabei gilt es etwa, Eisen abzubauen, einzuschmelzen und zu Stahlträgern zu verarbeiten - inklusive der damit einhergehenden Luftverschmutzung, die die Lebensqualität der Anwohner mindert.

Der neue Teil bringt viele kleine Veränderungen mit sich. Dazu zählt die Möglichkeit, die Produktion in den Fabriken zu steigern - was allerdings zu Aufständen führen kann. Außerdem lassen sich, passend zur Kolonialzeit, Teile Südamerikas besiedeln, damit meine Stadt so an Waren wie etwa Kaffee kommt.

Der Kolonialismus wird so ziemlich verharmlost, im Spiel ist er schön "exotisch". "Fremde Kulturen" können entdeckt und ausgenutzt werden, ohne dass dieses jemals als Ausnutzung kontextualisiert wird.

Vollkommen unsinnig

"Anno 1800" fasziniert mich trotzdem, weil es toll aussieht und genau das tut, was ein gutes Aufbau-Strategiespiel ausmacht: Es suggeriert dem Spieler, alles in der Hand und alle Zeit der Welt zu haben.

Wenn ich "Anno" spiele, weiß ich, dass das alles vollkommen unsinnig ist - und auch noch zeitraubend. Ich lerne hier nichts, ich mache nichts Produktives, mein Leben ist danach nicht anders als zuvor - Fortschritt gibt es nur auf dem Bildschirm.

Das ist aber auch nicht schlimm, denn Aufbau-Strategiespiele reißen mich raus aus dem ununterbrochen zielgerichteten Alltag. Hier mache ich mir diffizile Gedanken über meinen Kartoffelanbau, der schlussendlich zu einer funktionierenden Schnapsbrennerei und dann wiederum - durch den Schnapsverkauf - zur Prosperität meiner Siedlung führt. Und das alles für nichts und wieder nichts. Was für eine Erholung.

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Aufbauspiel aus Deutschland: Das ist "Anno 1800"

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Innerhalb dieser Sinnlosigkeit bin ich der Herrscher über alle politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Systeme. Ich habe die Kontrolle - eine Kontrolle, die zu haben ich mir im restlichen Leben nur vorgaukle.

In "Anno 1800" habe ich auf jede Frage, auf jedes Problem, auf jeden Aufstand, auf jede Knappheit die Antwort, ein Gegenmittel. Ich kann hier Großes wollen und meinen Weg dahin akribisch durchplanen. Und klar, nicht nur eine kleine Siedlung soll es werden, sondern eine Metropole. Meine Bürger sollen die zufriedensten sein, meine Gebäude die monumentalsten.

Fünf Bevölkerungsstufen gibt es in "Anno 1800". Das Spiel lässt mich als Bauer anfangen und nach ein paar Stunden des freien Spielens - es gibt alternativ auch eine Kampagne - zum Investor werden, der Champagner schlürft und in den großen Banken ein- und ausgeht.

Ein Prinzip von "Anno" lautet: Von allem muss genug da sein, jedoch nicht zu viel. Auch wenn die Handwerker herrschen - die dritte Bevölkerungsstufe - braucht es noch genug Bauern, damit weiter ausreichend Holz gehackt wird. Die Balance, die im Leben sonst so oft fehlt, kann ich hier herstellen.

Nöte und Hoffnungen

Beim Spielen zoome ich immer wieder ans Geschehen heran, beobachte meine Bewohner genau. Wie sie durch die Straßen eilen, wie sie alle genau wissen, was sie zu tun haben. Ich kenne ihre Nöte und Hoffnungen und versuche diesen gerecht zu werden. Ich weiß aus Erfahrung aber auch, dass das oft nicht sofort geht, so sind Aufbau-Strategiespiele.

Manchmal muss ich einfach abwarten und der virtuellen Entwicklung ihren Lauf lassen - muss die Kontrolle auch wieder abgeben. Dann beobachte ich, wie mein Frachtschiff, gefüllt mit Wurst und Seife, langsam das Kontor meiner Handelspartnerin ansteuert. Ich freue mich auf das Geld, das ich gleich einnehmen werde, überlege mir, wie ich es am besten ausgeben kann - und da ist sie dann wieder, diese tiefe innere Ruhe.

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