

Sind Videospiele ein adäquates Medium, um die Zeit des Nationalsozialismus darzustellen? Darüber wird heftig debattiert, seit die fürs Altersfreigaben zuständige USK bekannt gab, dass die sogenannte Sozialadäquanzklausel fortan auch auf Games anwendbar ist. Die USK entscheidet nun jeweils im Einzelfall, ob Spiele mit Hakenkreuzen und anderen verfassungswidrigen Symbole erscheinen dürfen - eine Kehrtwende zu ihrer bisherigen Linie, Titel mit solchen Symbolen gar nicht erst zu prüfen.
Die ersten Games, die diese Prüfung überstanden haben, sind bereits auf dem Markt - und sie zeigen eindrücklich, dass Spieleentwickler in der Lage sind, verantwortungsbewusst mit dem Thema umzugehen. "Attentat 1942" ist auf Steam für den PC erhältlich, "My Child Lebensborn" ist ein Mobile-Game für iOS und Android. Würde mehr über die beiden Games als Beispiele diskutiert und nicht vor allem abstrakt über Hakenkreuze und Games, die Debatte wäre wohl weniger hitzig.
Darum geht es in "Attentat 1942"
"Attentat 1942" spielt im Jahr 2001 in Tschechien. Ein Enkel möchte erfahren, wieso der Großvater 1942 von der Gestapo verschleppt wurde, nachdem der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich bei einem Attentat ums Leben gekommen war. Um dies zu erfahren, befragt er seine Großmutter und erfährt mehr Details. Er wendet sich an weitere Zeitzeugen und legt sich so Stück um Stück eine Erzählung zurecht, die dem, was 1942 geschehen ist, nahekommt.
Der Spieler wählt dabei aus mehreren Frage- und Antwort-Optionen. Will man den befragten Personen helfen, sich zu erinnern, braucht es ein gewisses Geschick und Feingefühl. Die im Jahr 2001 spielende Handlungsebene wird von realen Personen in Videosequenzen fortgeführt - in tschechischer Sprache.
Beim Ergründen der Vergangenheit reist der Spieler auch ins Jahr 1942 zurück. In an Comiczeichnungen angelehnter Grafik gilt es, kleine Aufgaben zu lösen. Dabei geht es etwa um Gegenstände auf einem Schreibtisch, die Probleme bereiten könnten, sollte die SS in die Wohnung eindringen. Dann wieder entscheidet man, welche Stelle sich gut zum Verstecken von Flugblättern eignet, die die Gestapo nicht finden sollte.
"Attentat 1942" nähert sich so spielerisch dem Umgang der NS-Diktatur mit der tschechischen Bevölkerung. Es handelt von einem Mord, der als Vorwand genutzt wird, um Tausende Menschen mundtot zu machen, zu verschleppen, zu töten.
Dabei ist das Spiel intellektuell lehrreich: Es liefert viele Informationen über das Attentat, das Leben der tschechischen Bevölkerung, die Grausamkeit der Besatzer. Doch auch emotional und kognitiv bildet "Attentat 1942", indem es den Spieler die Angst und den Terror der Menschen nachspielen und dann Entscheidungen treffen lässt, die damals zuhauf getroffen werden mussten. "Attentat 1942" kann erschüttern und bleibt im Gedächtnis.
Darum geht es in "My Child Lebensborn"
Norwegen 1951, ein kleines Dorf, die täglichen Sorgen: Wie kommt das Essen auf den Tisch? Wie passen der Job - inklusive Überstunden - und das Familienleben zusammen? Und woher soll das Geld für den Rucksack des Kindes kommen, das seinen ersten Schultag vor sich hat? Schnell kommen andere Sorgen hinzu: Das Kind wird in der Schule gemobbt. Weil es deutsch ist, ein "Bastardkind".
"My Child Lebensborn" funktioniert grundsätzlich wie eine kleine Erziehungssimulation. Das Kind muss genug zu essen bekommen, mit ihm muss gespielt werden, es muss rechtzeitig ins Bett - wenn möglich mit einer Gutenachtgeschichte. Doch unter diesen Mechanismen liegt eine Erzählung um die sprachlose Trauer eines Kindes und die Ohnmacht der alleinerziehenden Mutter.
Diese hat ihr Kind - der Spieler kann wählen, ob es ein Junge oder Mädchen ist - adoptiert, die biologischen Eltern sind eine junge Norwegerin und ein deutscher Soldat. Vom ersten Tag an wird dieses Kind in der Schule ausgegrenzt, gemobbt, von Mitschülern genauso wie Lehrern. Denn in der norwegischen Gesellschaft dieser Zeit sind deutsche Kinder ein Problem, vor allem vor dem Hintergrund des sogenannten Lebensborn-Programms der Deutschen, in dem "arische Kinder" herangezogen werden sollten.
Bleibt am Ende eines Spiel-Tages noch genug Zeit, liest man Tagebucheinträge, Zeitungsartikel oder Briefe und erfährt so mehr von der Vergangenheit des Kindes, den Verbrechen der Deutschen, den Reaktionen der norwegischen Gesellschaft nach dem Krieg. Oder man blickt in das traurige Gesicht der Tochter oder des Sohns, in dieses verzweifelte Unverständnis.
Kein Spaß, aber ein Spiel
Spaß macht "My Child Lebensborn" ebenso wie "Attentat 1942" nicht. Beide Titel sind kein Vergnügen, kein Zeitvertreib. Sie sind eher teils bedrückende, teils erhellende Erfahrungen. Und dennoch sind es Spiele, sind es Perspektivwechsel: Sie machen fremde, vergangene Leben erspielbar. Sie stellen Fragen, stellen vor Entscheidungen. Und sie beantworten die läppische Frage, ob auch Videospiele mit Hakenkreuzen und anderen Symbolen umgehen können, eindeutig mit Ja.
In einer Zeit, in der vielen Menschen ob der Zustände im eigenen Land die Worte fehlen, in einer Zeit, in der über Begrifflichkeiten wie Hetzjagden oder Pogrome gestritten wird, braucht es solche Spiele.
Denn neben all den erklärenden und einordnenden Worten haben die Spiele vor allem eines zu bieten: ein Nachempfinden dessen, wie es war. Und wie es nie wieder werden soll.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, "My Child Lebensborn" spiele in Schweden. Es spielt aber in Norwegen.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Computerspiel "Attentat 1942": In Videosequenzen erzählt die Großmutter von 1942, dem Attentat an Reinhard Heydrich und der Gestapo, die den Großvater abholte. Sie erinnert sich jedoch erst, nachdem ihr die richtigen Fragen gestellt wurden.
Rückblenden sind im Spiel in gezeichneter Optik gehalten. Hier gilt es, die Wahrheit um die Verschleppung des Großvaters zu ergründen.
Immer wieder werden Bildaufnahmen aus der damaligen Zeit eingeblendet. Ebenso gibt es eine Enzyklopädie, die nach und nach freigeschaltet wird und in der der historische Kontext anhand von einzelnen Begriffen wie etwa "Sudetendeutsche" oder "Gestapo" erklärt wird.
Nicht nur in den authentischen Videoaufnahmen, sondern auch in der Comicoptik werden Hakenkreuz und andere verfassungswidrige Symbole gezeigt.
Von Zeit zu Zeit löst der Spieler Aufgaben. Hier etwa muss eine Rede verfasst werden, die sich an das tschechische Volk richtet, geschrieben wird diese von einem Kollaborateur.
In "Attentat 1942" sind ganz verschiedene Charaktere spielbar, das Spiel bietet verschiedene Perspektiven. So wird ein differenziertes Bild des Jahres 1942 in Tschechien vermittelt.
Das Mobilspiel "My Child Lebensborn" beginnt mit einer kurzen Vorgeschichte. Außer auf Deutsch kann es auch auf Norwegisch und Englisch gespielt werden.
Das Spiel ist im Jahr 1951 in Norwegen angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen eine alleinerziehende Mutter und ihr Kind, das einen deutschen Vater hat.
Einen großen Teil des Spiels machen alltägliche Situationen aus. So muss das Kind etwa gut ernährt werden oder zu Bett gebracht werden.
Wenn die Zeit noch ausreicht, geht es am besten mit einer Gutenachtgeschichte ins Bett. Pro Tag stehen nur gewisse Zeiteinheiten zur Verfügung, die oben links angezeigt werden. Durch Aktivitäten wie Essen, Waschen oder einen Besuch im Wald werden diese aufgebracht.
Das eigentlich lebensfrohe und wohlbehütete Kind wird mit dem Eintritt in die Schule mit der Gesellschaft konfrontiert. Es wird ausgegrenzt, gemobbt. Das Innenleben des Kindes zeigt sich auch in den Bildern, die es malt.
Obwohl die Aufgaben alltäglich sind, erzählt das Spiel eindrücklich vom Leben einer alleinerziehenden Mutter - und davon, wie ihr Kind unter dem Rassenwahn der NS-Zeit zu leiden hat.
"Wolfenstein II: The New Colossus"
Der wohl letzte große Aufreger. Im vergangenen Jahr erschien mit "Wolfenstein II" ein zugleich absurdes wie auch brutal-ernstes Antikriegsspiel. In der deutschen Version jedoch fehlten - wieder - die Hakenkreuze. Stattdessen erfand das Entwicklerstudio ein Fantasie-Symbol, das im Bild zu sehen ist. Doch es fehlte auch...
...Adolf Hitler. "Heiler" hieß er in dem Spiel und hatte keinen Bart mehr. Denn die Darstellung von Hitler in Videospielen war nicht gestattet. Obwohl es durchaus erlaubt ist, entfernte Bethesda in der deutschen Version auch alle Hinweise auf den Holocaust und jüdisches Leben - in der amerikanischen Version spielen diese Themen eine wichtige Rolle. Der Zweite Weltkrieg samt Holocaust wird in Videospielen selten in einer angemessenen Tiefe behandelt. Verbote verschlimmern diesen Umstand eher.
"Call of Duty: WW2"
In "Call of Duty: WW2" kam 2017 das Aachener Theater vor. Die Flaggen jedoch zeigen ebenfalls keine Hakenkreuze. Dabei versuchte das Spiel eigentlich, der Thematik etwas gerechter zu werden, in dem in der Einzelspielerkampagne immer wieder Daten und Fakten geliefert wurden. In Deutschland jedoch nicht mit entsprechenden Symbolen.
"The Saboteur"
Ein Mechaniker im von Nationalsozialisten besetzten Paris. Eine offene Spielwelt, in der es die Aufgabe ist, der Résistance zum Sieg zu verhelfen, die Nazis aus der Stadt zu vertreiben. In Deutschland jedoch handelt es sich gar nicht um Nazis, denn jede Spur von ihnen wurde entfernt. Neben den Symbolen auch Ausschnitte aus zwei Reden von Adolf Hitler. Das Spiel erschien 2009.
"Through the Darkest of Times"
Der Davidstern ist darstellbar, ebenso der Aufruf, nicht bei Juden zu kaufen. Nicht gestattet wurde Videospielen bisher aber, auch die Hakenkreuzbinde zu zeigen. Stattdessen sieht man hier einen leeren weißen Kreis auf rotem Hintergrund. Die Bücherverbrennung hingegen wäre ganz aus dem Spiel genommen worden, denn nach Angaben der Entwickler wäre es zu aufwendig gewesen, die hitlergrüßende Menge so zu kaschieren, dass sie in Deutschland darstellbar gewesen wäre.
"Attentat 1942"
In diesem Videospiel kommen Überlebende selbst zu Wort. Die Berichte werden immer wieder durch interaktive Comics unterbrochen, die den Spieler dazu bringen, Erinnerungen an diese Zeit nachzuempfinden. In Deutschland jedoch ist dieses Spiel nicht erschienen. Den Entwicklern war es zu heikel, es hier zu veröffentlichen. Eine mögliche Klage hätte sie finanziell ruinieren können. Erschienen ist es 2017.
Melden Sie sich an und diskutieren Sie mit
Anmelden