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"Battlefield 3": Pixelkrieg tut auch weh

"Battlefield 3" im Mehrspieler-Modus Groß, chaotisch, tödlich

"Battlefield 3" verspricht Multiplayer-Pixelkrieg in bislang unbekanntem Ausmaß. Bis zu 64 Spieler ziehen gemeinsam in virtuelle Schlachten, mit Panzern, Hubschraubern, Kampfjets. Ole Reißmann hat mitgeballert.

Auf der Heckladefläche meines Jeeps steht ein Mann im Tarnanzug hinter einem Maschinengewehr, neben uns röhren zwei Abrams-Panzer, über uns donnert ein Helikopter hinweg. Durch eine staubige Landschaft mit nur ein paar Bäumen nähern wir uns einer iranischen Industrieanlage, die wir erobern sollen. Im Tiefflug rast ein Kampfjet vorbei, die Turbinen spucken Feuer - wir sind zu zwölft, und wir greifen jetzt an.

Elf Sekunden später stürzt unser Helikopter brennend in ein Gebäude, reißt eine klaffende Wunde in die Fassade. Wir sind jetzt nur noch sechs. Dann trifft mich eine Kugel. Ich habe keine Ahnung, wo sie herkam.

"Battlefield 3" steht seit vergangenem Donnerstag in den Läden. Ein Kriegsspiel, dessen Herstellung Millionen gekostet hat, außer den "Call of Duty"- und "Medal of Honor"-Reihen eines der gewaltigsten Unterfangen im Pixelkampf, produziert von der schwedischen Electronic-Arts-Tochter Dice. Als US-Soldat geht es in der Solo-Kampagne unter anderem nach Teheran, Paris und New York. Terroristen sind an russische Atomwaffen gekommen, jetzt werden sie gejagt.

Die Multiplayer-Modi entschädigen für die Solo-Enttäuschung

In diesem Genre bedeutet das natürlich: Sie werden umgebracht, massenhaft. Dabei fällt "Battlefield 3" ("BF3") noch vergleichsweise blutarm aus. Platzende Köpfe oder abgetrennte Gliedmaßen gibt es hier nicht, ein Kopftreffer wird durch das branchenübliche rote Blutwölkchen sichtbar gemacht. Nicht nur Terroristen werden beschossen, sondern auch die russische Armee, die sich ebenfalls um den Verbleib der Nuklearwaffen in praktischer Rucksackgröße sorgt.

Optisch sind die Missionen eindrucksvoll. Laub und Müll wirbeln durch die Luft, im nächtlichen Teheran regnet es, die Straßen glänzen, auf der virtuellen Kamera bleiben Wassertropfen kleben. Hübsche Details, die aber letztlich nicht darüber hinwegtäuschen können, dass "BF3" solide Durchschnittsware serviert, Jetfliegen und Panzerfahren inklusive. Auch ungeübte Spieler schaffen es an zwei Abenden bis zum schwachen Finale.

Doch die Solokampagne ist bei solchen Shootern ohnehin nur noch Zugabe. Alles konzentriert sich auf den Mehrspieler-Modus - und der fängt bei "Battlefield 3" die Solo-Enttäuschung leicht auf -, wenn denn die Server mitspielen. Unter dem ersten Ansturm am ersten "BF3"-Wochenende brachen wohl einige zusammen, in den Electronic-Arts-Web-Foren häuften sich wütende Kommentare. 24 Spieler können in der Konsolen-Variante gegeneinander antreten, in der PC-Version sind es sogar 64 (sie durchsucht dafür allerdings die Festplatte des Rechners, was deutsche Datenschützer seltsam finden).

Hüpfen ist hier Kommunikation

Der nächste Einsatz beginnt, neben einem Panzer steht die Figur eines Mitspielers und springt auf und ab. Das ist Kommunikation, Hüpfen bedeutet hier: Komm her. Er nimmt auf dem Fahrersitz Platz, ich soll das Maschinengewehr bedienen. Zwar gibt es in der Konsolen-Version die Möglichkeit, sich über ein Headset mit seinem Team zu unterhalten - auf den Servern treffe ich aber kaum jemanden, der dieses Zubehör einsetzt. Also hüpfen, so stellt man auch sicher, dass man die Spieler ohne Headset nicht aussperrt. In der PC-Version gibt es gar keine Voice-Chat-Funktion, was schon für viel Unmut gesorgt hat.

Wir rasen los. Zum Teil sind die Maps, die Schlachtfelder, so groß, dass man besser mit fahrbarem Untersatz vorrückt - oder gleich den Helikopter oder Jet für die Anreise nimmt. In der Ferne steigen riesige Rauchsäulen auf, das Kriegsgetöse kommt näher, ein fortwährendes Knallen, Pfeifen und Rumpeln. Was dann über uns hereinbricht, ist brachial. Extrem unübersichtlich. Extrem laut. Simulierter Krieg.

Ich sterbe. Ich werde in die Luft gesprengt, als Autopassagier und Fußgänger, von hinten mit dem Messer ausgeschaltet und vor allem erschossen. Immer wieder. Nach dem eigenen Ende zeigt einem das Spiel den Gegenspieler, der einen auf dem Gewissen hat. Der Sniper da oben auf dem Dach war es also diesmal. So lernt man aus seinen Fehlern. Irgendwann.

Das ständige Sterben nervt. Nach jedem virtuellen Tod muss man auf dieser Map wieder am Anfang beginnen, wieder zur Schlacht fahren. Aus dem Auto aussteigen und dann - zack - wieder eine Kugel im Hinterkopf. Mal ein bisschen länger überleben, es einem Gegenspieler heimzahlen, das ist der Ansporn.

Kaum mehr Polygongegner erschossen als mit dem Jeep überfahren

Ständig fürchte ich, meine (echten) Nachbarn könnten sich über die Soundkulisse beschweren. Die Tür aufstoßen und mich dabei erwischen, wie ich der etwas peinlichen Faszination erliege, auf Köpfe zu schießen. Wobei meine Trefferquote bei 6,5 Prozent liegt - ich habe kaum mehr Spielfiguren getroffen als versehentlich mit dem Jeep überrollt.

Die Zahl steht im "Battlelog", eine Art Kriegs-Facebook für Spielfiguren, mit ausführlichen Statistiken, Pinnwand und der Möglichkeit, sich Platoons anzuschließen. So kann man mit Freunden gemeinsam in die Schlacht ziehen. Das Netzwerk lässt sich von jedem beliebigen Webbrowser aus aufrufen. Dort erfährt man auch, wie kurz man vor Freischaltung der nächsten Kanone steht - mit mehr Spielerfahrung gibt es für die verschiedenen Spielertypen Extrawaffen, etwa Raketen für den Hubschrauber.

In dieser Runde bleibt die iranische Fabrikanlage stehen. Immer wieder ziehe ich mit immer neuen virtuellen Leben in die Schlacht - vergeblich. Zu lange können die Gegner ihre Posten erfolgreich verteidigen. "Your Team lost." Als Nächstes geht es nach Paris, ein malerisches Altstadtviertel in Schutt und Asche legen. In den Straßen türmen sich abgerissene Fassadenteile, umgestürzte Bäume, ausgebrannte Autos. Neun Multiplayer-Karten hat "Battlefield 3" zum Start, fünf verschiedene Spielemodi stehen zur Auswahl.

Groß, chaotisch, tödlich - die Multiplayer-Schlachten sind nichts für unkommunikative Einzelkämpfer. Wer sich auf eine Rolle konzentriert - Assault, Engineer, Recon und Support stehen zur Auswahl - und viel Zeit mit dem Fliegen von Hubschraubern oder dem Abfeuern von Granaten verbringt, ist klar im Vorteil. Viele haben offenbar schon verdammt viel geübt.

Nun aber los, den Gegner zurückdrängen. Irgendwie verursachen meine Teamkameraden mächtige Explosionen. Sie sind schon mal ohne mich losgerannt, ich verliere den Anschluss. "Go, go, go", rufe ich ihnen noch hinterher. Jetzt bin ich auf mich allein gestellt.

Dann werde ich erschossen, zum 109. Mal.


"Battlefield 3" von Electronic Arts, für Xbox 360, Playstation 3, PC, für 54 bis 63 Euro, je nach Plattform und Ausgabe. Keine Jugendfreigabe.

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