Spielen per Beckenbodentrainer Autorennen und »Flappy Bird« – in der Vagina gesteuert

Das sind die drei getesteten Geräte: Sie heißen Elvie Trainer, Perifit, Emy und haben eigene Apps
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Wenn ich niese, verliere ich Urin. Das ist so unangenehm, wie es klingt, aber ich bin mit diesem Problem nicht allein. Bedingt durch einen geschwächten Beckenboden kommt es nach vaginalen Entbindungen häufig zu Harninkontinenz. Je nach Statistik ist ungefähr jede fünfte bis zweite Frau betroffen, die – wie ich – so ein Kind zur Welt gebracht hat. Leider verschwindet das Problem nicht unbedingt von selbst. Inkontinenz nach der Geburt ist oft ein über Jahre andauerndes Problem, wie zum Beispiel eine Studie aus Großbritannien zeigt .
Gesellschaftlich wird das Thema noch immer tabuisiert, aber immerhin nicht mehr ganz so sehr wie früher. Das liegt auch daran, dass ein Markt für Geräte entstanden ist, die versprechen, durch gezieltes Beckenbodentraining Abhilfe zu schaffen. Das Beckenbodentraining soll dabei nicht nur Beschwerden lindern . Es wird als Teil eines modernen Lifestyles vermarktet: Es geht nicht nur um Blasenkontrolle, sondern auch um ein besseres Lebensgefühl und angeblich sogar ein erfüllteres Sexleben. Die Zielgruppe der Geräte geht so weit über Mütter hinaus.
Für mich als leidenschaftliche Videospielerin besonders interessant: Einige Geräte haben Games an Bord, die das sogenannte Kegeltraining unterhaltsam machen sollen. Die Idee: Ist der Beckenbodentrainer einmal eingeführt, kann ich per Handy-Display mitverfolgen, wie sich durch meine Muskelan- und -entspannung Vögel, Bälle oder Flugzeuge in die Lüfte heben und senken. Das klingt auf jeden Fall spannender als ein Online-Rückbildungskurs, in dem mir eine mäßig motivierte Trainerin »Und jetzt halten wir Pipi, Tampon und Winde ein« zuruft. Oder?
Für diesen Artikel habe ich mir drei Beckenbodentrainer mit Videospielfunktion besorgt. Mit dem Emy, Elvie Trainer und Perifit habe ich gemacht, was ich als Spielejournalistin sonst auch gern tue: Games ausprobieren und bewerten. Hier sind meine Eindrücke aus der Welt der Beckenboden-Games.
Die Games des Emy: Masse statt Klasse
Die App des Beckenbodentrainers Emy hat acht »Spieleuniversen«, aus denen ich Minispiele auswählen kann. In einem optisch simplen Spiel steuere ich eine Kugel Treppenstufen hinauf. Im »Vergnügungspark« bearbeite ich einen Punching Ball, werfe mit Darts auf Ballons oder fische nach Enten. Das klingt nach viel Abwechslung, spielt sich aber fast alles gleich. Die Minigames visualisieren mehr meine Kontraktion, als dass sie mir wirklich das Gefühl vermitteln, dass ich hier per Beckenboden ein Spiel steuere. Meist fühle ich mich wie auf Schienen.

Die Games des Emy in Bildern
Emy
Eine gute Grafik sollte man auch nicht erwarten, die Emy-Games wirken wie ein Texturen-Patchwork. Selbst in vielversprechend klingenden Universen wie »Japanreise« und »Abenteuer« ist Langeweile Programm. Da schneide ich einen Bonsai-Baum mit einer Heckenschere zurück oder sorge dafür, dass eine meditierende Frau in die Luft steigt. Alternativ lasse ich eine Frau über einen Fluss springen oder ein Kanu ein Stück den Fluss entlangfahren. Die spielerische Herausforderung ist gleich null.
Es wirkt nicht einmal so, als glaubte das Entwicklerteam selbst daran, dass seine Spiele öfter gespielt werden. In einem der Minigames ziehe ich eine Schatztruhe aus einer Schlucht. Und obwohl ich die Szene mehrmals spiele, ist der Schatz immer derselbe – ein orangefarbener Diamant.
Persönlich fände ich es auch besser, wenn nicht alle Universen von Anfang an gespielt werden könnten. Dann hätte mich zumindest die Idee motiviert, durch stetes Training neue Aufgaben freischalten zu können.
Ein paar der Spiele lassen mich ohnehin ratlos zurück: In einem Minigame werfe ich als Storch Babys über heimeligen Bergdörfern ab. In einem anderen steuere ich eine Biene von Blume zu Blume. Ich weiß nicht, wie es anderen Frauen geht, die Beckenbodentraining machen: Aber ich brauche in Spielen keine Fortpflanzungsmetaphern, nur weil ich sie in meiner Vagina steuere.
Letztlich lautet mein Fazit zum Emy: Das Gerät bemüht sich bei den Spielethemen zwar um Vielfalt, am Ende aber hätte ich lieber weniger und dafür spannendere Minigames gespielt.
Die Games des Elvie Trainer: Minimalistisch und beruhigend

Die Games des Elvie Trainer in Bildern
Elvie
Die App des Beckenbodentrainers Elvie kommt mit einem minimalistischen Interface daher – und bietet dazu das passende Gameplay. Auf der Startseite sehe ich per Zeitstrahl meinen aktuellen Fortschritt, dann starte ich schon in die Trainingssession. Die App hat vier Fertigkeiten-Level – Training, Anfänger, Kompetent und Fortgeschritten –, denen ich mich Schritt für Schritt stelle. Die Übungen in Form von Minigames sind dabei in jedem Level fast identisch, nur der Schwierigkeitsgrad variiert.
Die Spielfigur ist ein stilisierter Diamant, den ich über das vaginal eingeführte Gerät wie in einem Jump ’n’ Run von links nach rechts steuere. Mit gezieltem An- und Entspannen meiner Beckenbodenmuskulatur lasse ich den Diamanten nach oben steigen (Anspannen) oder wieder nach unten fallen (Entspannen). Im »Pulse«-Spiel muss ich durch rasch aufeinanderfolgendes An- und Entspannen den Diamanten in Zickzackbewegungen steuern und Punkte einfangen. Und beim »Hochziehen« muss ich ihn eine bestimmte Zeit lang oberhalb einer Linie oder innerhalb eines erhöhten Kreises halten. Die anderen Übungen verhalten sich ganz ähnlich.
Das alles klingt unspektakulär. Kombiniert mit der minimalistischen Optik hat dieses Prinzip aber seinen Reiz, auf mich hat es eine beruhigende Wirkung. Die gedeckten Farbtöne und die reduzierte Umgebung innerhalb der App erinnern mich zudem an Indie-Hits wie »Flower« oder »Journey«. Den Elvie Trainer benutze ich daher gern wieder, er ist quasi der Walking Simulator unter den getesteten Geräten: Eigentlich passiert nicht viel, aber es ist faszinierend, im Spiel zu sein.
Die Games des Perifit: »Flappy Bird« und Autorennen

Die Games des Perifit in Bildern
Der Perifit, für den einst auf Kickstarter per Crowdfunding Geld gesammelt wurde , hat einen recht umfangreichen Games-Katalog. Seine App enthält zwölf Spielkategorien mit jeweils bis zu zehn verschiedenen Szenen. Diese müssen nacheinander freigeschaltet werden und bieten verschiedene Landschaften und Figuren.
Als ich die Software zum ersten Mal starte, bin ich von der klischeefemininen Ästhetik und der dudelnden Musik im Hintergrund der beiden Kategorien »Goldener Lotus« und »Das Tor zu den Wolken« enttäuscht. In lilafarben gehaltenen Settings sammle ich in Jump-’n’-Run-Manier goldene Lotosblüten aus der Luft oder steuere pinkfarbene Wolken, um aufsteigende Diamanten einzusacken und Steine abzuwehren.
Die Spiele der später freigeschalteten Kategorien machen mehr Spaß. In der »Weltraum-Odyssee« steuere ich ein Raumschiff zwischen Meteoriten hindurch und kann sogar schießen: Mittels Tippen auf das Display feuere ich feindliche Ufos aus dem Weg. Und in »Sling Drift« fahre ich Autorennen und drifte um Kurven. Je weiter die Radien, desto länger muss ich meine Muskulatur anspannen. In einer Kategorie kann ich sogar das zeitweise extrem beliebte Handygame »Flappy Bird« spielen.
Mein Highlight aber ist die Kategorie »Luftfeuerwehr«. Hier steuere ich in 3D ein Löschflugzeug durch Ringe über Insellandschaften hinweg, um Waldbrände zu löschen. Zwischendrin muss ich immer wieder in den Sinkflug gehen und aus dem Meer Wasser aufsammeln, um dann wieder über die Berge und Wipfel aufzusteigen und das nächste Feuer zu bekämpfen.
Zugegeben: Am Computer würde mich ein so simpler Flugsimulator nicht weiter interessieren. Im Universum der Beckenboden-Games aber ist die »Luftfeuerwehr« meine Nummer eins, der Punkt für das beste Spiel geht damit an den Perifit. Überhaupt scheint sein Entwicklerteam das mit dem Gaming als Training am ernsthaftesten angegangen zu sein.
Ein Bereich mit viel Potenzial
Insgesamt hat mich die Masse der Beckenboden-Games nicht überzeugt, einigen netten Ideen zum Trotz. Klar, die Spielmechaniken können nicht so komplex sein wie bei den Spielen, die mit den Händen am Gamepad statt mit der Beckenbodenmuskulatur gesteuert werden. Aber ein wenig abwechslungsreicher, herausfordernder und optisch schöner dürften die meisten Games schon sein. Ich jedenfalls warte noch auf ein Point-and-Click-Adventure oder einen Shooter, den ich per Beckenboden bedienen kann.