Hinterteile in Videospielen
Der perfekte Po für die Postapokalypse
In Games sehen Spielerinnen und Spieler die Figuren oft von hinten. Ein neues Buch erörtert, was das Design der Hinterteile über Charaktere und Spielewelten verrät.
Spiele-Pos gibt es in vielen Facetten: Hier zu sehen, ist die Kehrseite der Figur Widowmaker aus dem Onlineshooter »Overwatch«
Foto:
Blizzard
Schicklich ist es nicht, anderen auf den Po zu schauen. Wer aber in der Videospielwelt unterwegs ist, kommt vor allem bei sogenannten Third-Person-Ansichten nicht drumherum, dass der ein oder andere digitale Hintern im Blickfeld landet – sei es die Klempnerkehrseite von Super Mario oder die einer »Fortnite«-Figur.
Doch welche Botschaften transportieren Spiele-Pos? Laura Kate Dale widmet diesem Thema ein ganzes Buch. »Things I learned from Mario's Butt«, also »Dinge, die ich von Marios Po gelernt habe«, heißt das unterhaltsam-originelle Werk der Games-Journalistin, das am 4. Februar als Hardcover und E-Book erscheint.
Die 160 Seiten sind ein Mix aus Stil- und Spielkritik. »Wenn wir hier fertig sind, kennst du hoffentlich den Unterschied zwischen einem Hintern, der um der Attraktivität willen attraktiv ist, und einem, der erzählerisch informativ ist und uns etwas Wertvolles über die Person, zu der er gehört, oder die Welt, in der sie lebt, erzählt«, schreibt Dale eingangs. Praktisch wird man vor allem sehr viel über Po-Formen und -Funktionen gelernt haben.
»Manchmal sieht ein Hintern einfach großartig aus«
In Dutzenden Kurztexten beschreibt und interpretiert die Autorin weltbekannte, aber wohl selten so detailliert betrachtete Gesäße. Es geht um Nintendo-Figuren, aber auch um Charaktere aus Reihen wie »Street Fighter«, »Metal Gear« und »Mass Effect«. Fündig werden selbst Fans von »Bloodborne«, »Undertale« oder »Portal 2«, Dale lässt kaum ein Genre aus.
Während im Netz Listen der angeblich heißesten Gaming-Ärsche kursieren, ebenso aber Sexismusvorwürfe gegen Entwickler, die zumeist weiblichen Charakteren unnatürlich große oder absurd wackelnde Pos schenken, legt es Dale weniger darauf an, dass die Branche ihr Fett wegkriegt.
Die Autorin liefert teils meist eigentümliche, teils überzeugende Erklärungen dafür, warum ein Po zu einer bestimmten Figur passt. Den »Allerweltshintern« der Hauptfigur aus »Halo« zum Beispiel hält Dale für angemessen, weil man sich so leicht in den Master Chief reindenken könne: »Absolut jeder kann ein ›Halo‹-Spiel spielen und sich selbst in seiner Rüstung und seinen Schuhen vorstellen.«
Produktbesprechungen erfolgen rein redaktionell und unabhängig. Über die sogenannten Affiliate-Links oben erhalten wir beim Kauf in der Regel eine Provision vom Händler. Mehr Informationen dazu hier
Zu Geralt von Riva aus »The Witcher« – bekannt für Sexszenen mit Hose – schreibt sie, aus einer rein ästhetischen Perspektive habe er vielleicht den besten Videospielhintern überhaupt. Dieser sei »kompakt, muskulös und straff, aber nicht so sehr, dass er schwer zu greifen ist; er ist eine weiche und doch starke Handvoll wohlgeformter Perfektion«. Da brauche es nicht einmal einen Story-Bezug, meint Dale: »Manchmal sieht ein Hintern einfach großartig aus und wir müssen uns eine Minute Zeit nehmen, das zu genießen.«
Geralt von Riva aus der Rollenspielreihe »The Witcher«, fürs Buch gezeichnet von Zack Flavin: Sein Po gefällt Autorin Dale
Foto: Zack Flavin
Bemerkenswert findet sie auch das Design des Coach-Duos aus dem Fitnessspiel »Wii Fit«. Der Durchschnittsmensch könne beim Anblick sowohl der männlichen als auch der weiblichen Trainerfigur denken: »Ja, das fände ich gut, wenn mein Hintern ein bisschen mehr so aussehen würde«. Zugleich seien die Pos beider Trainer aber nicht so perfekt, dass es sich so unmöglich anfühle, je seinen solchen Hintern zu erreichen.
Zum Klötzchen-Hintern der »Minecraft«-Hauptfigur Stevie kommentiert sie: »In einer eckigen Welt braucht man einen eckigen Hintern, um durchzuhalten«. Man kann das alles schrecklich banal und oberflächlich finden und sich mehr Metaebene wünschen, mehr Antworten auf Fragen wie: War beim Ausarbeiten mancher Pos eigentlich die Fantasie der Entwickler die treibende Kraft oder gehen sie nur davon aus, dass ihre Spielerschaft solche Körperbilder erwartet? Oder auch: Macht es etwas mit Spielefans, wenn sie stundenlang auf Pos schauen, die mit normalen Proportionen nichts mehr zu tun haben?
Der passende Hintern zur Spielwelt
Man kann über Dales Deutungen aber auch schmunzeln: darüber, wie weit manche Interpretation geht. Tracer etwa aus dem Shooter »Overwatch«, deren Gesäß 2016 Mittelpunkt einer Netzkontroverse war, wird als »echte Po-Aficionada« charakterisiert: Eine kurze Szene aus dem einem frühen Trailer zu »Overwatch« legt die Autorin so aus, dass Tracer einen Moment des Gefechts nutzt, um den »perfekten, makellosen« Hintern von Widowmaker, einer weiteren Kämpferin, zu bewundern.
Der Po von Tracer aus »Overwatch«: 2016 diskutierte die Gaming-Szene über eine Siegerpose der Kämpferin
Foto: Zack Flavin
Tracers eigenes Outfit, das ihren Po stets betont, sei entweder »unmöglich eng«, seziert Dale außerdem, »oder es ist auf ihre Arschbacken geklebt«. Treffend beobachtet, konstatiert man, wenn man darauf achtet, wie grotesk Tracers Hose anliegt, erst recht im Bereich der Poritze.
Kurz geht es auch um Lara Croft, Ende der Neunzigerjahre sogar im SPIEGEL zum »Sexidol der Videospieler« ausgerufen. Die moderne Variante der Abenteurerin sei weniger daran interessiert, Sex-Appeal zu haben, schreibt Dale. Wichtiger sei es Croft, wirklich gut im Grabplündern zu sein. Sie wisse heute, dass ihr Hintern für den Job reiche, und sehe keinen Grund, ihn als Beweis zu präsentieren: »Ihr Po ist nicht länger der Star der Show.«
Am spannendsten wird es, wenn das Po- zum Spielweltdesign passt. Zu Aloy aus »Horizon Zero Dawn« mutmaßt Dale, ihr Hintern, im Spiel von Schutzkleidung bedeckt, sei an die Umstände ihres Lebens in der Postapokalypse angepasst: »Sie ist in der Lage, auf hartem Untergrund zu sitzen, den Elementen ohne Schutz zu trotzen und ohne einen traditionellen Sattel zu reiten.« Aloy habe einen »felsenfesten Hintern, hart wie Stein, bereit, jede Herausforderung anzunehmen, die die Welt für sie bereithält«.
Aloy aus »Horizon Zero Dawn« von hinten: Im Spiel geht es ums Überleben in der Postapokalypse
Foto: Zack Flavin
Die hohe Kunst des Po-Designs
Wie Hinterteile das Spielerlebnis facettenreicher machen können, erklärt Dale am »Super Mario«-Universum: Marios Po findet Dale »langweilig«, weil er nur bei dessen Stampfattacke eine Rolle spielt. Luigi dagegen könne etwa in der Kampfspielreihe »Super Smash Bros.« Gegner mit dem Hintern voraus angreifen, und Wario könne sogar furzen. Deshalb sei sein Po »keiner, dem man zu nahe kommen möchte«, bilanziert Dale.
Viele, wenn auch nicht alle rezensierten Charaktere wurden für das Buch von Zack Flavin gezeichnet. Die Bilder mit Fokus auf den Po gefallen, allerdings vermisst man sie ausgerechnet bei weniger bekannten Figuren wie dem Prinzen des Kosmos aus »Katamari Damacy«.
»Things I learned from Mario's Butt« ist trotzdem erhellend, denn Dales Werk, das auch Gastkritiken enthält, öffnet neue Perspektiven für den nächsten Blick auf Körper im Digitalen. Es macht klar, dass Pos Teil der Kunstform Spiel sind, dass Entwicklerteams bewusst entscheiden, wie sie virtuelle Gesäße in Szene setzen. Die hohe Kunst des Po-Designs, könnte eine Erkenntnis lauten, ist ein digitaler Po, der nicht nur auffällt, weil er aufwendig animiert wurde, sondern weil er eine eigene kleine Geschichte erzählt. Eine Geschichte, die sogar in Buchform fasziniert.