
Dokumententhriller: So sieht "Papers, Please" aus
"Papers, Please" angespielt Pässe stempeln, Menschen quälen, überleben
Das Dokument ist eine plumpe Fälschung. Vor der Glasscheibe meines Kontrollpostens steht eindeutig eine Frau, kein Mann. Laut Ausweis ist sie aber ein "Er". Auch ihr Versuch, mich in ein Rotlichtetablissement zu locken, kann mich nicht von der Fälschung ablenken. Ich weise sie ab. Ich schicke sie zurück nach Kolechia, den Nachbarstaat, mit dem mein Land sechs Jahre lang Krieg geführt hat. Schließlich bin ich Grenzbeamter, muss aufpassen, dass keine Terroristen ins Land kommen und keine Menschen, die hier ohne Erlaubnis arbeiten.
Ich mache nur meinen Job. Tag für Tag. Und ich fühle mich zunehmend schlecht dabei. Ich weise alte Leute ab, Menschen, die ihre Verwandten besuchen wollen. Solche, die nichts von den neuesten Bestimmungen im Reisegesetz gehört haben. Sie weinen und flehen. Sie beschimpfen mich. Aber ich bleibe hart, ich muss schließlich auch an meine Liebsten denken. Wer in Arstotzka eine Familie ernähren will, muss funktionieren. Und auch dann ist es schwer genug. Arstotzka ist ein Staat irgendwo im Ostblock, 1982. Im kalten Krieg, der hier mit den Kriegen auf dem Balkan und im Kaukasus vermischt wird. Düster und bedrückend.
"Papers, Please", ist eines der überraschendsten und wichtigsten Spiele des Jahres, ein Dokumententhriller. So zumindest nennt Entwickler Lucas Pope das zur Zeit nur auf Englisch erhältliche Spiel. Er hat lange Zeit bei Naughty Dog gearbeitet, unter anderem an "Uncharted", und macht jetzt allein Spiele. Einfache, in grober Pixel-Grafik. Pope schafft es nicht nur, eine düstere Welt zu zeichnen, sondern auch, die Mechanismen eines totalitären Staates in simple Regeln zu übersetzen. Und mit spielerischen Mitteln etwas über die Mühlen der Bürokratie, über totalitäre Systeme, über Mitläufer und Zivilcourage zu erzählen.
Das Spielprinzip von "Papers, Please" ist einfach: Ich überprüfe Pässe, Visa, Reisegenehmigungen. Ich studiere jeden Morgen die Änderungen in den Reisebedingungen. Was gestern noch galt, ist heute nicht mehr. Ich vergleiche Passnummern, Fotos, Anschriften. Ich überprüfe Siegel, Arbeitserlaubnisse und vergleiche die Namen mit einer Liste gesuchter Verbrecher. Für jede abgefertigte Person bekomme ich Geld, bei Fehlern drohen Lohnabzüge - zumindest, wenn ich die Falschen ins Land lasse. Am Ende eines jeden Tages kann ich dieses Geld verteilen: Auf Heizkosten, Miete und Essen für meine Familie. Immer wieder muss ich sie hungern lassen, noch viel öfter frieren sie.
Ich bin gezwungen, schneller zu arbeiten, im Zweifelsfall abzuweisen. Schnell und schroff zu sein. Für Menschlichkeit fehlt die Zeit. Jeder kleine Fehler wird bemerkt. Ich werde überwacht und immer nervöser. Und verstehe immer mehr, wie Menschen gegen ihre eigene Menschlichkeit handeln können. Wie sie sich selbst verraten und auch andere. Wie sie keine Alternative sehen können. Und wie sie gleichzeitig an so etwas einfachem wie dem Vergleichen von Pässen Spaß haben können.
"Papers, Please" von Lucas Pope für Windows und OSX, 8,99 Euro unter www.papersplea.se