
Indie Game: The Movie: Spiel des Lebens
"Indie Game: The Movie" Programmieren bis zum Umfallen
Köln - Manchmal kann ein Softwarefehler so anrührend sein wie ein Filmkuss: In einer herzerweichenden Szene von "Indie Game: The Movie" präsentiert Phil Fish sein Videospiel "FEZ" auf einer Messe, und der Zuschauer wünscht ihm, dass die Tester es lieben. Weil der Mann so gelitten hat für sein Werk und weil er jetzt so nervös ist. Vier Jahre hat Fish bis dahin an seinem Xbox-Abenteuer gearbeitet, inzwischen sind die Eltern geschieden, die Freundin ist weg, der Geschäftspartner ebenfalls. Genervte Fans bezweifeln längst, dass "FEZ" überhaupt jemals erscheint. Und jetzt? Bei der Premiere stürzt das Spiel ab, vor den Augen der ersten Testerin.
"Indie Game: The Movie" ist eine US-Dokumentation, die ihre Produzenten ab dem 12. Juni über das Internet vertreiben . In Spielfilmlänge beschäftigt sie sich mit selbstständigen Spieledesignern, mit ihren Biographien und ihren Problemen. Neben Phil Fish, dem Macher von "FEZ", porträtiert der Film die Erfinder von "Braid" und "Super Meat Boy", alle drei bekannte Spiele, von ihren Entwicklern praktisch im Wohnzimmer programmiert. Und genau dort haben die Filmemacher Lisanne Pajot und James Swirsky ihre Kameras aufgebaut: Zwischen Comicpostern, Gamepads und der Hauskatze lässt das kanadische Duo die Designer zu Wort kommen, unkommentiert und in ästhetischen Aufnahmen.
Ein Spiel als ewige Visitenkarte
Entstanden ist ein eindrucksvoller Film über Kreative, die ohne großes Budget, aber mit Leidenschaft Videospiele kreieren, oft jahrelang. Ein Film über Menschen, die ihr Leben so sehr den Spielen widmen, dass die Spiele zu ihrem Leben werden. "'FEZ' ist meine Identität", sagt Phil Fish einmal in die Kamera, was zunächst pathetisch klingt. Doch je mehr der Zuschauer über Fish erfährt, über dessen Perfektionismus beim Levelbau, gar bei jedem Klötzchen der Spielewelt, desto reflektierter wirkt der Satz. Denn jedes Detail, was die Spieler eines Tages an "FEZ" mögen oder hassen werden, werden sie mit Fishs Namen verbinden. Das Spiel ist seine Visitenkarte, für immer.
Mittlerweile versuchen viele Menschen, sich durch einen Spielehit ein virtuelles Denkmal zu setzen. Sie wollen kein Bild malen, kein Gedicht schreiben, sondern all diese Ausdrucksformen vereinen - in einem interaktiven Produkt. Außerdem reizen die finanziellen Aussichten. Aus der Shareware-Nische haben sich Indie-Spiele in den vergangenen Jahren zu einem boomenden Sektor der Spielebranche entwickelt. Grafisch simple, inhaltlich innovative Projekte wie "Limbo" und "Minecraft" begeistern Spieler aus aller Welt und machen ihre Entwickler reich. Allein die jüngst veröffentlichte Xbox-360-Version von "Minecraft" verkaufte sich eine Million Mal -innerhalb der ersten Woche .
Mordgelüste und Zusammenbrüche
Nie war es einfacher, ein Spiel selbst zu vermarkten. Onlineplattformen wie Steam oder der Xbox-Spielemarktplatz sind Absatzwege, über die sich schnell viele Gamer erreichen lassen. Angesichts der Masse an Neuererscheinungen braucht es allerdings Qualität, um aufzufallen: konsequent umgesetzte Ideen wie das Zurückspulen der Zeit in "Braid" etwa, oder den Mut zum fordernden Schwierigkeitsgrad wie bei "Super Meat Boy".
"Indie Game - The Movie" gelingt es von Anfang an, den Spieledesignern nah zu kommen, optisch wie inhaltlich. Stellenweise wirkt es, als hätten die Filmemacher nicht einmal Fragen stellen müssen, als wollten sich die Softwarebastler ohnehin freiquatschen, als Abwechslung zum Arbeitsrausch. Halbironisch äußern sie Mordgelüste oder berichten von Depressionen und Zusammenbrüchen. Einer der Macher von "Super Meat Boy" klagt, sein Partner und er seien müde, weil sie ständig an ihre Arbeit denken müssten und deshalb nicht mehr schlafen könnten.
Indie als Lebenskonzept
Vom Programmieren zeigt die Dokumentation wenig. Dezent von elektronischen Klängen untermalt, wechseln sich Interviewsequenzen mit Spielszenen ab. Die Zitate euphorischer und frustrierter Macher werden flankiert von Momentaufnahmen aus ihren Kunstwerken. Diese starke Personalisierung der Spielinhalte funktioniert: Als Zuschauer freut man sich mit, wenn sich einer der Entwickler gerührt die ersten Testvideos seines Spiels anschaut.
Wofür genau der Begriff "Indie" bei Videospielen steht - die Interpretation reichen vom Genre bis zur Finanzierungsform -, definiert der Film nicht. Indie wirkt darin wie ein Lebenskonzept, das vor allem Selbstdisziplin verlangt. Wer als Indie-Entwickler arbeitet, reißt die Verantwortung an sich und damit auch den Druck.
Jeder Erfolg ist der eigene, jeder Fehler ebenso. Damit kann man klarkommen oder nicht. Bei Phil Fish, dem Designer mit der Präsentationspanne, ließ das Happy End auf sich warten: Erst im April 2012, ein Jahr nach der Messe, schaffte er es, "FEZ" zu veröffentlichen. Der Film lief da bereits im Kino.