Umstrittene Zusatzkäufe in Spielen Was hinter dem angeblichen Verbot von Lootboxen steckt

In vielen Videospielen kann man Schatzkisten mit virtuellen Gegenständen oder Waffen kaufen. Nun hieß es, diese sogenannten Lootboxen könnten in Deutschland verboten werden. So einfach ist es aber nicht.
Umstrittene Lootboxen aus "Star Wars: Battlefront 2"

Umstrittene Lootboxen aus "Star Wars: Battlefront 2"

Foto: Electronic Arts/ Sönke Siemens

Kürzlich brauchte ein Artikel auf der Website der "Welt"  nicht viele Sätze, um eine Debatte in der Gamer-Szene auszulösen - und Verwirrung. Von einer "noch unveröffentlichten Studie" der Uni Hamburg war in dem Artikel die Rede und davon, dass die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) erwäge, bestimmte Elemente in Videospielen zu untersagen.

"Deutschland könnte Lootboxen verbieten", titelte daraufhin etwa die britische Fach-Website "PCGamer", die "ComputerBild" schrieb: "Lootboxen als Glücksspiel: Verbot in Deutschland könnte kommen". Für Spielehersteller, die mit Geschäftspraktiken wie Lootboxen viele Millionen verdienen, aber auch Millionen Spieler nerven, scheinen hierzulande also schwere Zeiten anzustehen.

Nur: Stimmt das? Was hat die Jugendschutzkommission vor, und was hat es mit der Studie auf sich? Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zum Thema.

1. Was sind Lootboxen, und warum sind sie umstritten?

Lootboxen und vergleichbare Mechanismen wie Sammelkartensysteme finden sich mittlerweile in vielen Blockbuster-Games. Bei Lootboxen handelt es sich um digitale Schatzkisten, die Spieler bekommen, wenn sie etwas Bestimmtes erreichen oder virtuelles Guthaben investieren, das sich auch mit echtem Geld kaufen lässt. In den Boxen stecken je nach Spiel nur neue Kostüme oder ähnliches, oder aber auch Gegenstände oder Fähigkeiten, die einen spielerischen Vorteil bringen.

Im Unterschied zu klassischen Mikrotransaktionen, bei denen der Spieler weiß, was er digital kauft, kann er bei Lootboxen aufgrund von Zufallmechanismen vorher nicht sagen, was genau in der Kiste ist. Will er also ein bestimmtes Extra oder einen möglichst großen spielerischen Vorteil, muss er im Zweifel viele Boxen öffnen. Ausgabelimits gibt es in Videospielen meistens nicht, zudem finden sich Lootboxen teilweise auch in Spielen, die Kinder und Jugendlichen spielen.

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Vom DLC bis zur Lootbox: Geschäftsmodelle von Videospielen

Foto: 1337 & Senri LLC

2. Will die KJM Lootboxen verbieten?

Der KJM-Vorsitzende Wolfgang Kreißig sagte der "Welt", er halte es "für denkbar, dass Lootboxen gegen das Verbot von Kaufappellen an Kinder und Jugendliche verstoßen könnten". Auf ein grundsätzliches und zeitnahes Verbot in Deutschland deutet das aber nicht hin, zumal die Hersteller bei einer solchen Regulierung Ausweichmöglichkeiten hätten, wie die, Lootbox-Systeme nur volljährigen Spielern zur Verfügung zu stellen.

Auf SPIEGEL-Anfrage bestätigte die KJM diese Woche, dass sie sich im März mit Lootboxen beschäftigen wird. Der bayerische Landtag habe sie um eine Stellungnahme gebeten. Das Thema wolle die KJM "als Ganzes ansehen", heißt es. Es soll nicht um Einzelfälle gehen, also auch nicht um konkrete Spiele.

Außerdem stellt die KJM klar, dass sie beziehungsweise die Landesmedienanstalten Lootboxen gar "nicht allgemein beziehungsweise grundsätzlich verbieten" könnten: "Es könnten gegebenenfalls in Einzelfällen, sollte es sich um unzulässige Kaufappelle an Kinder und Jugendliche [...] handeln, Beanstandungen und/oder Untersagungen erfolgen." Dafür müsste es aber zunächst konkrete Beschwerden gegen einzelne Spiele geben - solche Beschwerden hätten die Kommission bislang nicht erreicht.

3. Worum geht es in der unveröffentlichten Studie?

Die im "Welt"-Artikel erwähnte Studie heißt "Social Gam(bl)ing: Eine angebotsseitige Marktanalyse mit rechtspolitischen Empfehlungen". Sie ist eine Gemeinschaftsarbeit von Ingo Fiedler, Fred Steinmetz und Lennart Ante von der Uni Hamburg, die vor drei Jahren auf den Weg gebracht wurde.

Fertig ist die Studie, die dem SPIEGEL vorliegt, schon seit dem Juli 2017. Die drei Forscher vergleichen darin unter anderem die Geschäftsmodelle und Märkte von Games und Glücksspielen, am Ende der rund 150 Seiten geben sie Regulierungsempfehlungen ab.

Was den Wissenschaftlern - wie auch anderen Forschern - dabei fehlt, sind Daten zum Kauf- und Spielverhalten von Gamern. "Diese Daten werden von der Branche wie ein heiliger Gral geschützt, als Geschäftsgeheimnisse", sagt Ingo Fiedler dem SPIEGEL. Kein unabhängiger Forscher bekomme Zugang.

4. Wird die Studie bewusst zurückgehalten?

Nein. Die Studie erscheint bald als Buch. Interessierten stellen sie ihre Arbeit gern zur Verfügung, sagen die Wissenschaftler, auch weil ihre Forschung ausschließlich mit öffentlichen Mitteln gefördert wurde: von der Hamburger Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz, mit Mitteln aus dem Glücksspielstaatsvertrag. Entgegen mancher Berichte wurde die Studie nicht im Auftrag der Landesmedienanstalten durchgeführt.

5. Was steht in der Studie über Lootboxen?

Der Begriff "Lootbox" kommt darin nicht einmal vor, was sich vor allem mit dem frühen Studienstart erklären lässt. Ingo Fiedler sagt im Gespräch, er sehe Lootboxen nur als "ein ganz kleines Symptom" von Pay2Win-Gaming, einem Bereich, der explizit und ausführlich in der Studie vorkommt, neben unter anderem E-Sport-Wetten und simuliertem Glücksspiel.

Als Pay2Win-Spiele gelten allgemein Videospiele, in denen sich Spieler durch Geld Vorteile erkaufen können, wie virtuelle Items oder Extraleben. In Multiplayer-Spielen führen solche Optionen zwar nicht zwingend dazu, dass schlechte Spieler gegen talentierte gewinnen, sie erhöhen aber die Chancen derjenigen, die mehr Geld ausgeben.

Fiedler sieht die Idee vom Pay2Win-Gaming als Ursache für das Symptom Lootbox, weil das Geschäftsmodell dahinter darauf basiert, dass ganz wenige Spieler - die sogenannten Wale - sehr viel Geld ausgeben, "ähnlich wie beim Glücksspiel".

6. Würde ein Verbot von Lootboxen helfen?

Dass der Glücksspielmarkt stark reguliert wird, der Gaming-Markt dagegen kaum, findet Forscher Fiedler diskussionswürdig. "Viele Teile des Gamings sind jedoch völlig unproblematisch", sagt er, "nur ein Teil geht in Richtung Glücksspiel, vor allem der mit Pay2Win-Konzept".

Und selbst zu Lootboxen meint Fiedler, dass diese "nicht per se schädlich" seien. Schädlich sei nur ein gewisser Umgang damit, "und den möchte man verhindern". 99 Prozent der Spieler wären von etwaigen neuen Schutzmechanismen wie Maximalausgaben nicht betroffen, sagt Fiedler, der vermutet, dass sich die Gruppe der Videospielabhängigen und die der Wale stark überschneidet.

"Früher war Gaming-Sucht auch schon da, aber sie hatte nicht so schädliche Auswirkungen", sagt der Forscher. "Da haben Leute ihre Zeit verdaddelt, vielleicht ihre Ausbildung abgebrochen oder in Schule nicht mehr performt. Jetzt geben diese Leute zusätzlich große Summen an Geld aus." Die Spielefirmen hätten einen wirtschaftlichen Anreiz, Sucht zu fördern und auszubeuten.

Vor diesem Hintergrund findet Fiedler die Idee "komplett irrsinning", an Lootboxen etwa durch ein Verkaufsverbot an Minderjährige ein Exempel zu statuieren. "Es würde nicht lange dauern, dann käme eine Lootbox 2", schätzt er, "ein Konzept mit einem leicht anderen, aber ähnlichen Mechanismus, der nicht mehr von der Maßnahme getroffen wird." Zudem müsse man - sollte sich eines Tages herausstellen, dass Pay2Win-Spiele ähnlich suchtgefährdend seien wie Glücksspiel - im Zweifel ja auch Erwachsene schützen.

Sinnvoller als Verbote findet Fiedler daher zum Beispiel eine Obergrenze für die monatlichen Ausgaben pro Spieler je Spiel, wie 50 Euro. Wer seine Volljährigkeit nachweist, könne die Grenze noch hochsetzen, wenn er außerdem Sicherheitshinweise zum Thema Spielsucht akzeptiert.

Solche Vorschläge finden sich auch in Fiedlers Studie. Dort heißt es zum Thema Pay2Win unter anderem noch, dass die Einführung eines Mindestalters für In-Game-Zahlungen sinnvoll sein könnte, ebenso wie eine Option für Spieler, sich selbst zeitlich befristet zu sperren.

7. Wie viel ist über die Wirkung von Lootboxen bekannt?

Die Hamburger Studie ist eine von wenigen weltweit, die die Bereiche Glücksspiel und Videospiele zusammenbringen. Auf wissenschaftliche Erkenntnisse zu Lootboxen angesprochen, sagt Ingo Fiedler: "Wir tappen da aus wissenschaftlicher Sicht ziemlich im Dunkeln". Man brauche "mehr Forschung zu den gesamten Spielemechanismen".

Sein Team plant immerhin bereits eine Anschlussstudie, in der Gamer zu ihrem Kauf- und Spielverhalten befragt werden sollen, ebenso wie Glücksspieler. Fertig werden würde dieses Projekt allerdings erst in zwei bis drei Jahren.

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