Open-World-Spiele Eine Welt ist nicht genug

Das antike Griechenland in "Assassins Creed: Odyssey"
Foto: UbisoftAls die Heldin den höchsten Berg des Landes erklommen hat, blickt sie auf eine gewaltige Welt voller Aufgaben und Herausforderungen. Am Wegesrand stehen Gefährten, die ihr neue Aufgaben geben wollen. Im Gebüsch liegen Dinge, die sich zu sammeln lohnen - 3 von 150 hat sie gefunden. Türme sind zu erklimmen, um von ihnen aus noch mehr Aufgaben zu entdecken. In der Ferne ist eine geheimnisvolle Kiste zu sehen. Könnte das eine Mikrotransaktion sein? Weit entfernt, am Horizont, war flüchtig noch etwas anderes zu sehen, doch worum es sich dabei handelt, ist sich auf diese Entfernung nicht zu erkennen.
Erlebnisse wie dieses sind typisch für sogenannte Open-World-Spiele, die die letzte Generation von Spielkonsolen geprägt haben. Mit der Playstation 4 und der Xbox One, beide 2013 erschienen, wurden die Open Worlds, die vorher schon wichtig waren, zum dominierenden Spiele-Diskurs. Für viele Blockbuster-Games gehörten sie zum Werbeversprechen: immer größer, komplexer, aufwendiger, realistischer. Was kann da eigentlich noch kommen?
Eine formelhaftes Rezept
Eigentlich ist der Begriff "Open World" nicht genau definiert. Seine Grenzen sind ähnlich weit gefasst wie die der Welten, die er bezeichnet. Zumeist ist damit eine Spielwelt gemeint, die den Spielerinnen und Spielern von Beginn an oder zumindest kurz nach Beginn des Spieles offen steht. Sie können sich bewegen, wohin sie wollen, können tun, was sie wollen: Gegenstände sammeln, Nebenmissionen nachgehen, Kämpfe suchen – oder einfach der Geschichte des Spiels folgen, die sich in der offenen Welt oftmals verliert.
Für die Produktion solcher Spielwelten werden oft Millionen Euro ausgegeben. Etwa um im bald erscheinenden "Assassin’s Creed: Valhalla" ein mittelalterliches England nachzubauen. Oder in einem "Red Dead Redemption 2" den noch Wilden Westen spielbar zu machen. Es sind Spiele, die Stoff für viele, viele Stunden bieten.

Faszinierende Open-World-Games
Doch scheint diesen Welten langsam die Luft auszugehen. Viele Spiele wirken inzwischen formelhaft, es haben sich Grenzen in ihre Welten gefräst. Sie sind oft mit nichtigen Aufgaben aufgeblasen, enthalten Weltkarten, die mit Icons so vollgestopft sind, dass sie zu rufen scheinen: Hake mich ab. Das Abarbeiten der vielen Missionen kann sich wie Arbeit anfühlen.
Freilich sind nicht alle Spiele so – und selbst die, die den alten Erfolgsformeln nachgeben, können großen Spaß machen. Aber viele Innovationen scheint dieses Genre nicht mehr hervorzubringen, wohl auch, weil es Unsummen kostet, eine solche Welt optisch schönzumachen. Wie kann man diesen Trend wenden?
Die Welt muss sich weiterdrehen
Zunächst zurück zum Anfang: Was macht eine Open World eigentlich gut? "Die Spieler müssen sich frei bewegen können, ohne sie zu blockieren, ihnen Wege vorzuschreiben, unsichtbare Mauern zu setzen", sagt Miles Tost, Senior Level Designer, der schon an "The Witcher 3" beteiligt war und nun an "Cyberpunk 2077" arbeitet, das am 10. Dezember erscheinen wird. Als Beispiel nennt er Wasser: "In 'Cyberpunk 2077' gibt es nicht viele Aufgaben im Wasser zu erledigen. Dennoch können die Spieler schwimmen und die Welt auch so erkunden", sagt er.
Zudem sei die Lebendigkeit einer Spielwelt wichtig. Die entstehe aus der Summe vieler Details, sei verankert in der Glaubwürdigkeit des Erlebbaren. Das könne schon beim Zimmer eines NPCs (Non Playable Character – nicht spielbarer Charakter) anfangen: "Wie hat die Person sich eingerichtet? Welchen Routinen geht sie nach?" Sogenannte Environmental Artists dekorieren solche Zimmer, Straßen, Häuserzüge, Sie kümmern sich sogar darum, dass der Müll vor der Tür glaubhaft wirkt.
"In "Cyberpunk 2077" kann es passieren, dass Spieler auf Orte stoßen, an denen sie bereits Geschehenes vorfinden. Etwa Leichen von Gangmitgliedern, daneben die von Konzernleuten, in der Mitte ein Koffer voller Geld. Was ist da wohl passiert?", sagt Miles Tost. Wichtig sei es, dass eben nicht alles auserzählt wird. Dass Lücken im Kopf der Spieler bleiben, die sie selbst füllen. "Die Spieler sollten nicht immer der Nabel der Welt sein. Es muss sich so anfühlen, dass das Geschehen auch weitergeht, wenn sie gerade nicht spielen", sagt Tost.
Ab wann eine Open World zu groß ist, weiß aber auch Tost nicht klar zu definieren: "Ich würde es so sagen: Der Inhalt sollte immer die Größe der Welt diktieren, nicht andersrum." Es dürfe nicht alles mit Dingen vollgeklatscht sein, die die Spieler tun können oder müssen. Nicht an jeder Ecke ein Icon, das die Spieler anschreit. "Man braucht auch mal Ruhe. Orte, die die Spieler atmen lassen und die gerade in ihrer Stille zur Atmosphäre der Welt beitragen", sagt Tost. Dafür könne man dann auch mal ein Sammelobjekt weniger in die virtuelle Welt stecken.
Da geht noch was
In Open World Games kann man sich in originalgetreuen Nachbauten der Antike tummeln oder sich kreuz und quer durch Manhattan schwingen. Was kann da noch kommen? Nach Tausenden Stunden voller Geschichten und Nebenaufgaben, nach Millionen gesammelter Gegenstände? Miles Tost hat ein paar Ideen. "Jeder Designer und jede Designerin hat Vorstellungen davon, wie ein eigenes Spiel aussehen könnte. Vielleicht mal ein Open-World-Horrorspiel? Oder eine offene Spielwelt, in der es gar keine Story gibt, die einfach so vor sich hin lebt."
Künstliche Intelligenz ist für Tost die Stellschraube, an der noch viel gedreht werden kann. Eine Welt, die wirklich auf das reagiert, was die Spieler in ihr tun. Charaktere, die sich wirklich individuell entwickeln, je nachdem, was sie erlebt haben. Ein Erlebnis also, das algorithmisch genau danach geformt wird, wie die Spieler spielen.
Auch wenn es kein Open-World-Spiel ist, sei "Phasmaphobia" ein Beispiel für solche Möglichkeiten: "Das Spiel arbeitet mit Spracherkennung und reagiert - bisher nur rudimentär - auf die realen Gespräche der Spieler", sagt Tost. Irgendwann wird es dann vielleicht die KI selbst sein, die Geschichten schreibt. Was werden die Spieler dann vom Turm aus sehen können?