Spieletrend Permadeath Man lebt nur einmal

Um den Wert eines Bildschirmlebens zu steigern, setzen immer mehr Spieleentwickler auf Permadeath - den ewigen Tod der Spielfigur. Wir haben sieben kostenlose Spiele herausgesucht, in denen es um alles oder nichts geht.
One Single Life 2: Der ewige Bildschirmtod hat jetzt wieder Konjunktur

One Single Life 2: Der ewige Bildschirmtod hat jetzt wieder Konjunktur

Das Leben ist in Computerspielen gemeinhin wenig wert. Gegnerscharen werden in Actionfilm-Manier niedergemäht, Monsterhorden plattgemacht, Computer-gesteuerte Mitspieler an den Feind verfüttert. Die Nichtachtung des Lebens macht nicht einmal vor dem eigenen Pixelkörper halt: Stirbt der Held oder die Heldin, reicht der Griff in die Speicherstände oder die Continue-Trickkiste, und weiter geht das große Massen- und Seriensterben. Dass man Spiele auch verlieren kann, ignorieren Spielegestalter im Versuch, ihre Kunden bei der Stange zu halten. Hat nur Spaß, wer ewig lebt?

Die Wiederkehr hat ein Problem: Sie nimmt Spielentscheidungen ihr Gewicht und setzt an die Stelle von Spannung und Konzentration ein gehetztes Noch-einmal. Moderne Computerspiele mit ihren Save-Points und Schnelllade-Funktionen wollen den Spielfluss maximieren und nehmen dabei dem Spiel die Wucht. Der Sprung über einen Abgrund ist dann nur noch eine Frage der dutzendfachen Wiederholung und nicht eine Frage von Tod oder Leben - oder zumindest des mühsamen, erneuten Wegs hin zu dieser Klippe.

Doch unter Spiele-Designern spricht sich derzeit herum, dass sich der Wert eines Bildschirmlebens erheblich steigern lässt, wenn es einzigartig ist. Permadeath heißt dieser Spiele-Trend - ewiger Tod. Stirbt ein Charakter, ist das Spiel zu Ende, und der Spieler muss von vorn anfangen. Egal wie viele Stunden er zuvor gespielt, wie viele Höhlen und Landschaften er erforscht und wie viele Fallen, Rätsel und Gegner er überwunden hat.

Neu ist das Konzept freilich nicht: In vielen der ersten Automatenspiele gab es den Permadeath (der höchstens durch das Prinzip der Bildschirmleben begrenzt ausgesetzt wurde). Doch der ewige Bildschirmtod hat jetzt wieder Konjunktur. In manchen Spielen verschärft er lediglich den Schwierigkeitsgrad, in anderen ist er das zentrale Spielelement. In Online-Spielen sorgt Permadeath durch seine Tabula-Rasa-Funktion dafür, dass einzelne Spieler nicht übermächtig werden. Indie-Spielgestalter üben mit ihm Gamedesign und Medienkünstler Spielkritik.

Und selbst die Spieler nehmen das frustrierende Spieldesign-Drangsal wohlwollend an: Denn durch den drohenden Tod erwachen ihre Spielfiguren erst wirklich zum Leben. Ohne Tod keine Helden.

Wollen Sie auch einmal dem morbiden Charme der Permadeath-Spiele erliegen? Wir stellen fünf großartige kostenlose Spiele vor, in denen gilt: alles auf eine Karte setzen - aber ganz vorsichtig.

Auf den Punkt: "Realm of the Mad God"

Der Reiz dieses famosen Spiels erschließt sich nicht sofort. Das ist aber auch die einzige Warnung, die man "Realm of the Mad God" voranstellen muss. Denn das ziemlich beunruhigende und immer zentrale Suchtpotential dieses Online-Spiels offenbart sich schon nach wenigen Spielminuten. Dann nämlich, wenn der Spieler den ersten von sehr, sehr vielen Bildschirmtoden stirbt.

"Realm of the Mad God" ist ein Online-Rollenspiel, in dem man nach einer halben Stunde die höchste Spielstufe erreicht, dann aber tagelang am Charakterausbau mit gefundenen Waffen, Rüstungen und Tränken arbeitet. Bis - meist der Gier oder Unachtsamkeit geschuldet - der Charakter ablebt und alles von vorn losgeht. Wohl dem, der ein paar wertvolle Gegenstände in seiner Schatztruhe als Erbe hinterlassen hat.

Realm of the Mad God: Kostenlos als Browser-Spiel nach Anmeldung

Website: www.realmofthemadgod.com 

Vorsicht, Absturz: "One Single Life 2"

Die Aufgabenstellung klingt schlicht: Springe von Hochhausdach zu Hochhausdach und stürze nicht ab. Jeder Sprung in "One Single Life 2", einem kostenlosen Spiel fürs iPhone, kann beliebig oft geübt werden. Doch der einfache Ansatz täuscht: "One Single Life 2" ist psychologisch perfide und dadurch ziemlich schwierig. Denn wer patzt, wenn's ernst wird, kann die App gleich wieder löschen: Das Spiel ist nach einem Sprung in den Abgrund aus, die App zu nichts mehr zu gebrauchen.

Mit "One Single Life 2" verhält es sich ein wenig so wie mit der Bürgersteigkante. Kein Problem, auf ihr zu balancieren - aber ein unüberwindbares Hindernis, wenn sie eine Brücke über einem Abgrund wäre. Schlimmer noch: Vor jedem Sprung verkündet eine Infotafel, wie viele andere Spieler an just jener Stelle gescheitert sind. Und so ist "OSL" vor allem eines: ein perfektes Beispiel für die Wirksamkeit des Permadeaths.

One Single Life 2: Kostenlos für iPhone

Website: www.freshtonegames.com/index.php?id=7 

"Brogue": Brillantes Retro-Abenteuer

Vielleicht haben Sie noch nie vom Genre der Rogue-likes gehört: Masochistische Unterwelt-Abenteuer in Buchstabensuppen. Runde für Runde kämpft sich ein Ascii-Zeichen-Held durch eine Ascii-Zeichen-Welt, schlachtet Ascii-Zeichen-Gegner und sammelt Ascii-Zeichen-Ausrüstung. Der Permadeath wartet nach jedem Tastaturanschlag.

Doch die Rogue-likes haben nicht umsonst eine fanatische Anhängerschaft: Was man an der grafischen Ausgestaltung sparte, steckt im Spieldesign, im Detail und Tiefgang. Wie weit das gehen kann, zeigt "Dwarf Fortress II", das wohl komplexeste Computerspiel der Welt. Viel zugänglicher ist hingegen "Brogue", die derzeitige Königin der Rogue-likes. Ein wirklich phantastisches, von Kennern und Liebhabern ausgetüfteltes Spiel. Und im Gegensatz zu anderen Vertretern dieses Genres sieht es sogar noch - in Ascii-Maßstäben - hübsch aus.

Auch wenn der Anfang schwerfällt: Wer die Ascii-Hürde einmal überwunden hat, erlebt ein spannendes, zugängliches und trotzdem überraschend komplexes Spiel für zwischendurch.

Brogue für Windows, OS X, Linux und Android

Website: https://sites.google.com/site/broguegame/ 

Hier geht es zum Forum mit Anfängerhilfe .

Spelunky: Tausend Tode tief

Man darf einfach nicht aufhören, "Spelunky" zu spielen und zu lieben. Denn mit diesem Indie-Spielehit ist Derek Yu aus dem Stand ein Computerspielklassiker gelungen. "Spelunky" ist ein Spiel des Scheiterns. Erfolg bedeutet hier nur, das nächste Mal nicht zu scheitern. Und jeder Erfolg baut auf viel vorausgehendem Scheitern auf. Wer es ans Spielende schafft, dürfte tausendmal gestorben sein. Das macht Spaß, weil "Spelunky" die perfekte Balance zwischen unfassbarer Frustration und größter Euphorie bei Mini-Erfolgserlebnissen hält.

Spelunky für Windows , OS X , im Browser  und für die Xbox .

Spezialfall Lose/Lose: Jeder Tod ein Datenmord

Vorsicht, dieses Kunstprojekt wird Ihre Daten löschen! "Lose/Lose" des New Yorker Computer-Künstlers Zach Gage dreht ein uraltes Spielkonzept gegen den Spieler. Die angreifenden Galaga-Außerirdischen sind fest mit echten Dateien auf der Spieler-Festplatte verknüpft. Tötet der Spieler einen Angreifer, wird die mit ihm verbundene Datei gelöscht. Stirbt der Spieler, löscht sich das Spiel von selbst. Ausweichen ist begrenzt möglich. "Aber," erklärt Gage, "warum glauben wir, das Richtige zu tun, wenn wir eine Waffe in die Hand gedrückt bekommen und für ihre Benutzung belohnt werden?" "Lose/Lose" soll die Mission des Spielers in Frage stellen. Diese wird niemals ausdrücklich erwähnt, sondern nur durch traditionelle Spielmechaniken angedeutet.

Video von "Lose/Lose" in Aktion  .

"Lose/Lose"-Website  mit Erklärungen des Künstlers.

Spezialfall "Chain World": Per USB-Stick zur Weltreligion

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"Bigger than Jesus", größer als Jesus, lautete die Gamedesign-Herausforderung der letztjährigen Spieleentwickler-Konferenz GDC. Und Jason Rohrer, ein bekannter Indie-Spieleentwickler, hat sie mit "Chain World" gewonnen . Ein Konzeptspiel, das auf einem USB-Speicherstick von Spieler zu Spieler gereicht wird und dessen Inhalt und Spielfluss nur diesen Spielern bekannt ist. Wer im Spiel stirbt, muss den Stick weitergeben - und schweigen. So könnte eine Religion entstehen, glaubt Rohrer. Religion und Tod sind schließlich eng verbunden, auch in Videospielen.

Chain World: Inoffizielle Website 

Ausführlicher Artikel des US-Magazins "Wired" 

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