Test zum »Spiel des Jahres« Der Ruf der fiktiven Wildnis

Die »Spiele des Jahres« führen diesmal in die Natur: In »Cascadia« werden Biotope erschaffen, in »Living Forest« Waldbrände gelöscht. Wir haben die Spiele getestet – und unter den Nominierten manchen Geheimtipp entdeckt.
»Cascadia«, das erste Spiel des Jahres seit 2018, das wieder ein klassisches Brettspiel ist

»Cascadia«, das erste Spiel des Jahres seit 2018, das wieder ein klassisches Brettspiel ist

Foto: Patrick Pfeiffer

Dieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.

Das »Spiel des Jahres 2022« heißt »Cascadia«. Es wurde am Samstagabend in Berlin gekürt. Autor des Spiels ist der US-Amerikaner Randy Flynn. Als »Kennerspiel des Jahres« wurde auf derselben Veranstaltung »Living Forest« ausgezeichnet. Die Siegertitel setzten sich in ihren Kategorien jeweils gegen zwei weitere nominierte Spiele durch und gelten jetzt als beste des Jahrgangs.

Insbesondere das familien- und einsteigerfreundliche Legespiel »Cascadia« dürfte in den kommenden Monaten hunderttausendfach verkauft werden. »Living Forest«, welches sich als »Kennerspiel« eher an erfahrene Spielerinnen und Spieler richtet, wird aber ebenso von der Auszeichnung profitieren.

»Cascadia«-Autor Randy Flynn

»Cascadia«-Autor Randy Flynn

Foto: Jörg Carstensen / dpa

»›Cascadia‹ ist ein wahres Wohlfühlspiel«, schreibt die Jury des Vereins Spiel des Jahres e.V. in der Urteilsbegründung. Damit dürften sowohl das unaufgeregte Spiel an sich als auch das Setting in der nordamerikanischen Wildnis, einem Sehnsuchtsort so vieler europäischer Reisender, gemeint sein. Die Spielerinnen und Spieler sind in Kaskadien (»Cascadia«) unterwegs, einer Region im Grenzgebiet zwischen dem Nordwesten der USA und Kanada. Dort wetteifern sie darum, ein punkteträchtiges Biotop zu erschaffen. Dies gelingt nur, wenn sie es hinbekommen, möglichst große Landflächen der gleichen Art zusammenzupuzzeln und zudem Tiere nach bestimmten Vorgaben anzusiedeln. Lachse etwa müssen in langen Ketten ausgelegt werden, Bussarde sind als Einzelgänger unterwegs, Bären und Hirsche in diversen Formationen.

Für jede Tierart gibt es vier unterschiedliche Vorgabenkarten, welche beliebig kombiniert werden können, sodass sich jede Partie etwas unterschiedlich spielt. Für den leichten Einstieg und zum Spiel mit kleineren Kindern kann zudem mit einer einfachen Wertung gespielt werden. Das bekommen dann schon Achtjährige hin.

Dabei, das haben etliche Testpartien außerhalb des klassischen Familienspiel-Settings (Eltern mit Kindern von zehn und zwölf Jahren) gezeigt, zündet »Cascadia« in allen Gruppen. Mit Erwachsenen, die viel und gezielt spielen, klappt es sowieso, ohne zu unterfordern. Menschen, die nur gelegentlich spielen und sich Regeln gerne erklären lassen, sind ebenso mit von der Partie. Jugendliche, wenn sie sich noch mit an den familiären Spieltisch setzen, überraschenderweise auch. Als Zwei-Personen-Spiel funktioniert »Cascadia« ebenfalls hervorragend, wahrscheinlich ist es sogar die ideale Variante. Mit etwas Übung schafft man eine Zweierpartie in einer halben Stunde, zu viert ist man etwa doppelt so lange am Werkeln.

In der Rolle von Waldgeistern

Schaut man sich die ausgezeichneten Spiele der letzten drei Jahre an (»MicroMacro: Crime City«, »Pictures« und »Just One«), fällt auf, dass erstmals seit »Azul« (2018) wieder ein geradezu klassisches Brettspiel gewonnen hat. Es wird nicht gemeinsam gewonnen oder verloren, es ist kein Partyspiel für größere Gruppen und gerätselt – der große Trend der letzten Jahre – wird auch nicht.

Die neben »Cascadia« nominierten Werke sind teils deutlich komplexer. Das Partyspiel »Top Ten« funktioniert zwar schon mit vier Spielerinnen und Spielern, wird aber zu sechst erst richtig gut, und zwar vor allem mit Erwachsenen. Kaum vorstellbar, dass sich dieses Spiel an Kleinfamilien richtet. »Scout«, das dritte nominierte Spiel, ist ein kleines, unscheinbares Kartenspiel aus Japan. Die Schachtelgröße sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass »Scout« das innovativste der drei Spiele ist. Drei, vier wirklich clevere Regeln – etwa, dass die Kartenreihenfolge in der Hand nicht geändert werden darf, die Karten aber einmal gedreht werden können – machen das Spiel zu einem wahren Erlebnis. Allerdings kommt man nicht so schnell ins Spiel wie bei »Cascadia«. Ein paar Partien sind schon nötig, um »Scout« zumindest ansatzweise zu durchdringen.

Erfahrenen Spielerinnen und Spielern empfiehlt die Jury seit 2011 ein »Kennerspiel des Jahres«. Seitdem sind illustre Werke wie »7 Wonders«, »Die Legenden von Andor«, die »EXIT«-Reihe und »Flügelschlag« ausgezeichnet worden. »Kennerspiel des Jahres 2022« wurde »Living Forest«, das auf den ersten Blick einige Gemeinsamkeiten mit »Cascadia« hat. Immerhin spielt ein (brennender) Wald die Hauptrolle, Tiere kommen auch zum Einsatz und gepuzzelt wird ebenso. Doch thematisch ist »Living Forest« etwas abgedrehter.

Aske Christiansen, Autor von »Living Forest«

Aske Christiansen, Autor von »Living Forest«

Foto: Jörg Carstensen / picture alliance / dpa

Die Spielerinnen und Spieler übernehmen die Rolle von Waldgeistern, löschen Flammen, forsten den Wald mit neuen Bäumen auf und sammeln magische Lotusblüten. Das Spiel vereint einige bekannte Mechanismen, mischt diese aber auf interessante Weise neu zusammen, was die Jury lobt: »Drei zentrale Faktoren machen den Nervenkitzel und Reiz von ›Living Forest‹ aus: das spannende Wettrennen auf zwölf Punkte, das riskante Zocken beim Kartenaufdecken und die hohe Interaktion mit den Mitspielenden.«

Als Longseller wird sich im Kennerbereich aber vielleicht eher das nominierte »Dune: Imperium« erweisen, ein erstaunlich konfrontatives Strategiespiel basierend auf Frank Herberts »Dune«-Saga, grafisch angelehnt an den Film von Denis Villeneuve. Immerhin dürfte »Dune: Imperium« alle paar Jahre einen Push bekommen, nämlich dann, wenn ein neuer Film erscheint.

Das »Kinderspiel des Jahres 2022« wurde übrigens schon Mitte Juni gekürt. Es gewann »Zauberberg«, ein magischer Wettstreit mit Kugelbahn auf abschüssigem Spielbrett. Ein tierisches Wettrennen namens »Mit Quacks & Co. nach Quedlinburg« konnte die Jury und ihre mitspielenden Kinder hingegen nicht überzeugen.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, »Cascadia« spiele in einer fiktiven Region. Wir haben die Textstelle korrigiert.

»Cascadia«

Foto: Kosmos

von Randy Flynn, Kosmos, 1-4 Personen ab zehn Jahren, ca. 35 Euro.

»Scout«

Foto: Oink Games
Foto: Cocktail Games

von Aurélien Picolet, Cocktail Games, 4-9 Personen ab zwölf Jahren, ca. 17 Euro.

»Cryptid«

Foto: Osprey Games

von Hal Duncan und Ruth Veevers, Osprey Games/Skelling Games, für 3-5 Personen ab zwölf Jahren, ca. 40 Euro.

»Dune: Imperium«

Foto: Dire Wolf Games

von Paul Dennen, Dire Wolf Games/Asmodee, 1-4 Personen ab 13 Jahren, ca. 50 Euro.

»Living Forest«

Foto: Pegasus Spiele

von Aske Christiansen, Pegasus Spiele, 2-4 Personen ab 10 Jahren, ca. 40 Euro.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren