Testlabor von Ubisoft Wo Spieler zu Versuchskaninchen werden

Autor Carsten Görig in einem Ubisoft-Testlabor: Weltweit gibt es rund 100 Mitarbeiter
Foto: Jakob CarlsenAnmerkung: Dieser Artikel ist eine Ergänzung zur Reportage "Das Lächeln des Avatars" aus dem aktuellen KulturSPIEGEL . Die Reportage finden Sie hier im Heft-Layout.
Spiele sind zu schwer, zu unübersichtlich, zu komplex. Spieler finden sich nicht zurecht, brechen sich fast die Finger, weil die Knöpfe des Gamepads falsch belegt sind, oder verstehen das Inventar nicht. So zumindest könnte man die Kritik an vielen Spielen in Internetforen zusammenfassen. Einige Hersteller wollen solcher Kritik künftig entgehen und fangen daher inzwischen viel früher an, ihre Spiele an die Spieler anzupassen. Zum Beispiel, indem sie die Zielgruppe zu Versuchskaninchen machen.
Sebastien Odasso leitet in der Pariser Zentrale des französischen Herstellers Ubisoft die Testlabore des Konzerns. Dreizehn Stück sind es weltweit, es gibt sie in Städten wie Paris, Montreal, Malmö und Düsseldorf. In den Laboren werden Spiele-Prototypen von den Menschen gespielt, die sie später einmal kaufen sollen: von Gamern.
Aus Freiwilligen, die sich online zum Testen gemeldet haben, werden passende Personen gewählt - Spieler, die auch zu den Spielen passen. Sie sollen vor Ort einfach nur so spielen, wie sie es sonst tun. Die Mitarbeiter von Odasso beobachten sie dabei. Manchmal messen sie auch Puls und Atemfrequenz, verfolgen die Augenbewegungen der Probanden und nehmen die Oberflächenspannung ab.
Frust und Freude messen
Diese Werte werden dann mit dem Geschehen auf dem Bildschirm verglichen. So lassen sich Rückschlüsse auf die Nutzeroberfläche, den Schwierigkeitsgrad oder die Wegfindung ziehen. Frust und Freude scheinen plötzlich messbar. Die Entwickler leiten aus den Ergebnissen ab, wo es Probleme gibt im Spiel, wo sie nachbessern sollten. "Wir arbeiten für die einzelnen Studios, erstellen Listen mit potenziellen Problemen und weisen bei manchen Sachen auch deutlich darauf hin, dass etwas geändert werden sollte", sagt Odasso.

"Assassin's Creed: Unity": Zerstörte Kathedrale von Saint Denis
Foto: UbisoftWas die Tester nicht machen: "Bugs suchen, das machen die Leute aus der Qualitätssicherung." Es ist Odasso wichtig, darauf hinzuweisen. Gerade nach einem Ubisoft-Spiel wie "Assassin's Creed: Unity", das sich den Ruf erarbeitet hat, voller Programmierfehler zu sein.
Mit solchen Fehlern hat Odasso nichts zu tun. Ihm und seinen Mitarbeitern geht es darum, dass Spiele verstanden werden und stimmig sind, dass sie nicht zu schwer sind und auch nicht zu leicht. Angefangen hat Ubisoft mit der sogenannten User Research bereits Anfang des letzten Jahrzehnts. Eine Inspiration war Nintendo-Mastermind Shigeru Miyamoto, der seine Spiele immer wieder Leuten von der Straße in die Hand drückte. Jeder sollte sie verstehen, nicht nur Eingeweihte.
Wie nah an der Wirklichkeit kann man sein?
Der Aufwand für die Tests ist hoch: Die Einrichtung eines Labors ist teuer, es gibt rund 100 Mitarbeiter weltweit, darunter viele Psychologen und Neurowissenschaftler. Sie leisten Pionierarbeit, da für fast jeden Test ein neues Verfahren entwickelt werden muss.
"Allein die neuen Spiele wie zum Beispiel 'Assassin's Creed: Unity'", erklärt Odasso. "Ein riesiges Spiel voller Onlinekomponenten." Was soll getestet werden, wie kann es getestet werden? Wie nah an der Wirklichkeit kann man sein? Und auch: Wie viel Zeit hat sein Team, um die Spiele zu testen?
Jeder Test kostet Geld, braucht seine Zeit. Die Auswertung auch. Es gilt, die Balance zu finden zwischen Aufwand und Ergebnis. Weshalb seine Arbeit kein Allheilmittel ist, wie er gern zugibt. Aber sie hilft.

Was sieht der Spieler: Die Blickbewegungen von Gamern sind für die Forscher sehr interessant
Foto: Jakob CarlsenProbleme wird es immer geben
Odasso meint, dass es beim Spieleentwickeln immer Probleme geben wird, allen bisherigen Erfahrungen zum Trotz. Es kommt daher darauf an, die Probleme möglichst früh zu erkennen und den Entwicklern die Möglichkeit zu geben, sie zu beheben.
Bei manchen ist die Lösung einfach: Bei kleiner Schrift zum Beispiel, die auf manchen Fernsehern nicht entziffert werden kann, oder bei weißen Buchstaben auf Schnee. Andere wiederum sind schwerer zu beheben. Viele Spiele haben zu viele Funktionen für die Gamepads. Also müssen Tasten doppelt belegt werden.
Leute mit langen Fingern werden bei einigen Sachen weniger Probleme haben als solche mit kurzen. "Doch wenn Leute anfangen, das Gamepad mit dem Kinn zu benutzen, muss dringend etwas getan werden."

"Far Cry 4": Eine Welt voller Möglichkeiten
Foto: UbisoftJeder Spieler ist anders
Die letzte Entscheidungshoheit haben stets die Entwickler. Auch weil die Erkenntnisse aus dem Labor nicht immer eindeutig sind. Das zeigt sich zum Beispiel bei einer neuen Fahrzeugsteuerung in "Far Cry 4". "Die meisten Spieler haben sie sehr schnell verstanden und hielten sie dann für sehr intuitiv", sagt Odasso. Andere wiederum kamen damit gar nicht klar. Die Lösung: Die herkömmliche Steuerung kann optional genutzt werden.

"Watch Dogs": Komplexe Spiele wie dieses stellen die Entwickler vor Herausforderungen
Foto: UbisoftBei so viel Wissenschaft kommt die Frage auf, wie sehr die Kreativität darunter leidet. "Wir beurteilen ein Spiel nicht. Wir sagen nur, ob eine Idee von den Spielern verstanden wird oder nicht." Odasso ist da recht klar. Um dann doch zuzugeben, dass man bei Spieletests gemerkt hat, dass zum Beispiel Aiden Pearce, der Protagonist aus "Watch Dogs", bei Spielern nicht sonderlich gut ankommt. Auch diese Erkenntnis ist ein Grund dafür, dass Ubisoft jetzt eine Gruppe einrichtet, die die Geschichte und die Figuren von Spielen überprüfen soll.
Odasso weiß, dass noch viel zu tun ist. Kein Wunder: Er ist nah dran an den Spielern, weiß um die Schwierigkeiten eines Spiels. Dann sind die Entwickler gefragt. Und wenn es hinterher doch Kritik gibt? "Ich bin selten überrascht", sagt er und lächelt verschmitzt. Gibt dann aber zu, dass auch ihm in einigen Fällen keine ideale Lösung einfällt. Aber zumindest weiß Odasso, dass es ein Problem gibt.