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"The Last Guardian": Fantastische Tierwesen und wie man sie reitet

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"The Last Guardian" im Test Fantastische Tierwesen und wie man sie reitet

Elf Jahre hat die Videospielwelt auf "The Last Guardian" gewartet. Das Spiel gleicht keinem anderen - außer seinen Vorgängern. Das meditative Meisterwerk zeigt, was das Medium außer Action noch kann.

Spoiler-Hinweis: Dieser Text erklärt nur grob, worum es im Spiel geht.


In einem kurzen Brief des Chefentwicklers, der den Rezensionsversionen von Sonys Spiel "The Last Guardian" beiliegt, steht ein merkwürdiger Satz. Das Spiel solle auf den vorangegangenen Titeln desselben Teams aufbauen, schreibt Fumito Ueda da, und "so etwas wie ein Best-of-Album" werden. Im Pop wäre das so etwas wie eine Kapitulation: Uns fällt nichts mehr ein, wir machen ein "Best-of-Album".

Tatsächlich ist das Spiel auch eine Art optimierter Verschnitt von Uedas "Ico" und "Shadow of the Colossus", die zu den zwei schönsten Werken zählen, die das Medium bislang hervorgebracht hat. Eine Kapitulation aber ist "The Last Guardian" nicht. Im Gegenteil.

Das Spiel beweist, dass die teils unerträgliche Formelhaftigkeit und Gleichförmigkeit moderner Videospielproduktionen nicht unausweichlich ist. Es ist ein Kunstwerk, das einen bezaubern, zur Weißglut treiben und zu Tränen rühren kann.

Ein neuer Freund, zwei Stockwerke hoch

Das liegt neben seiner einzigartigen Ästhetik daran, dass Ueda, der spätestens jetzt in den Olymp der wichtigsten Gamedesigner der Geschichte aufsteigt, sich in all seinen Werken auf eine persönliche Beziehung konzentriert.

In "Ico" war es die zwischen einem Jungen und einem Mädchen, die sich gemeinsam den Weg durch ein verwunschen wirkendes, riesenhaftes Schloss bahnen müssen. In "Shadow of the Colossus" ist es die Beziehung zwischen einem Jungen und seinem Pferd, die eine weite, surreale Landschaft durchstreifen, auf der Suche nach belebten Riesenskulpturen, mit dem Ziel, sie zu bezwingen. Das ist elf Jahre her.

In "The Last Guardian" ist der Gefährte des Jungen ein Fabelwesen, ein gefiederter Vierbeiner mit Vogelfüßen und pelzigem Schwanz, zwei Stockwerke hoch, mit einem gehörnten Säugetierkopf und dem Bewegungsablauf einer riesigen Katze. Ein Monster namens Trico, das erst selbst gerettet werden muss, dann zum Retter und schließlich geliebten Freund wird.

Bekannte Leere

Kind und Kreatur bahnen sich einmal mehr einen Weg durch einen labyrinthischen Gebäudekomplex. Durch gewaltige, verwunschen und verfallen wirkende Natursteinbauten, inspiriert von den Zeichnungen des italienischen Künstlers Giovanni Battista Piranesi , eingebettet in eine felsige Landschaft.

Wer "Ico" gespielt hat, wird diese Architektur, diese Leere wiedererkennen, und auch einige der Mechanismen, ohne die man im Spiel nicht vorwärtskommt: Ketten wollen erklettert, Hebel umgelegt, Tore geöffnet und Brücken gesenkt werden.

Ohne Zusammenarbeit mit dem Tier ist das nicht zu bewältigen. Man muss Trico reiten, mit ihm über Abgründe springen, ihn durch allzu enge Tunnel lotsen, auf seinem Kopf balancieren, um auf höhere Ebenen zu gelangen. Und ihn gelegentlich füttern.

Das Tier dankt es einem, indem es die entseelten Ritterrüstungen bekämpft, die das seltsame Schloss mancherorts bewachen. In solchen Momenten kann es dann doch einmal hektisch werden.

Der Sound des Biests, der Sound der Steine

Das meiste aber geschieht, und das ist der vielleicht auffälligste Unterschied zu den meisten Videospielen mit ähnlicher Mechanik, ohne Zeitdruck. Die Welt von "The Last Guardian" ist still, leer, gewaltig und - manchmal - lichtdurchflutet. Sie zu durchqueren hat in den besten Momenten etwas Meditatives.

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Gelegentlich mischt sich der orchestrale Soundtrack ein, die klangliche Hauptrolle aber spielen die Geräusche der Kreatur. Ihr Keuchen, Grunzen, Heulen, Schnüffeln, mal hungriger Wolf, mal neugieriger Hund, mal wütender Wookie.

Da ist das leise Patschen der bloßen Füße des Jungen. Das Knirschen und Krachen von Stein und Holz, die unter dem Gewicht der Kreatur ächzen - und manchmal nachgeben. Man kann das Gewicht der Steine, das Gewicht des Tieres nicht nur sehen, sondern hören, fast spüren.

Hier fehlt eigentlich fast alles

Auf alles, was man aus Videospielen sonst an Hilfsmitteln kennt, hat Ueda wieder einmal verzichtet. Es gibt keine Karte, keine Balken für Lebensenergie oder Kraft, keinen Röntgenblick. Nichts verstellt den Blick auf Architektur und Landschaft. Gelegentliche Hilfestellung gibt nur die Stimme eines älteren Mannes, des erwachsen gewordenen Jungen selbst, der aus dem Off seine eigene Geschichte erzählt.

Besonders in seiner zweiten Hälfte hat das Spiel neben all der Beschaulichkeit auch höchst dramatische Momente zu bieten, immer wieder geht es scheinbar um Leben und Tod, gewaltige Kräfte prallen aufeinander.

Der Showdown ist so episch und bombastisch, wie man das aus japanischen Anime-Filmen kennt. Mehr wird von der Geschichte hier nicht verraten - außer, dass sie bis zum Schluss anrührend bleibt. Man sollte sich unbedingt den Abspann bis zum Ende ansehen.

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Das Tier verhält sich bei alledem nicht, wie man das von Videospielkreaturen gewöhnt ist. Die Beziehung zwischen Kind und Biest ist keine von Befehl und Gehorsam. Manchmal trödelt Trico minutenlang herum, bevor er tut, was er soll, manchmal handelt er von sich aus und hilft dem ratlosen Spieler so weiter. Manchmal steht er so lange zögernd vor einem weiten Sprung, dass man die Hoffnung, dass es hier weitergehen könnte, schon aufgibt, und springt dann schließlich doch.

Warum Trico einen wahnsinnig machen kann

Und gelegentlich macht sich auch nach all der Entwicklungszeit mal wieder eine Macke im Code bemerkbar, sodass der Junge versehentlich ins Nichts springt, oder das Tier zur Hälfte in einer Wand stecken bleibt. Sehr ungeduldige Menschen wird "The Last Guardian" vermutlich in den Wahnsinn treiben.

Allen anderen aber bietet es die einmalige Gelegenheit, sich einen Kindheitstraum zu erfüllen: ein eigenes Ungeheuer, auf dessen Rücken man reiten, das man füttern und streicheln kann, ein furchteinflößendes aber liebenswertes Geschöpf mit eigenem Willen und eigener Persönlichkeit.

Dem Medium Videospiel ist es zu wünschen, dass Fumito Ueda noch ein weiteres "Best-of-Album" produzieren wird - und dass er diesmal vielleicht weniger als elf Jahre dafür braucht.


"The Last Guardian", von genDESIGN and SIE Japan Studio, für Playstation 4, circa 60 Euro, freigegeben ab 12 Jahren

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