Töten in Videospielen Ein Fest für Sadisten

Trevor Philips aus "GTA V"
Foto: Rockstar Games"Warum machst du eine Mod, die dich Kinder töten lässt, bist du krank?"
Diese Frage leitet den Beschreibungstext der "Skyrim"-Modifikation "Stranger Danger" ein und nimmt damit die zu erwartende Kritik gleich vorweg. Angesichts des Inhalts wenig verwunderlich: Entwickler Bethesda hatte für das Spiel eigens das Töten von Kindern abgestellt, die Mod-Community baute es wieder ein.
Makaber ist auch der Name der Modifikation: Die Formel "Stranger Danger" dient im englischsprachigen Raum vor allem Kindern als Warnung, nie mit Fremden mitzugehen, aus Angst vor Missbrauch.
Also noch mal die Frage: Warum gibt es eine Mod, die "Killable, pick-pocketable and lootable children" als Feature anpreist?
Unbesiegbare Kinder als Immersionsbruch
Der Mod-Entwickler begründet dies damit, dass die unbesiegbaren Kinder im Originalspiel die Immersion der Spielwelt brechen würden, das bedeutet: Das Eintauchen in die Spielwelt fällt so angeblich schwerer. Anscheinend sahen das auch andere so: Die Modifikation kommt auf der Plattform NexusMods bis heute auf mehr als 40.000 Downloads.
Für Diskussionen über Sinn und Unsinn dieser und ähnlicher Mods haben die meisten Spieler nur ein müdes Lächeln übrig. Es ist halt nur ein Spiel. Und die Spielwelt erlaubt es ja, sie fordert es eigentlich sogar geradezu heraus, ihre Grenzen auszureizen.
Wer hat noch nicht in "Die Sims" einen Sim im Pool ertrinken lassen oder in Shootern wie "Halo" ausprobiert, wie viel Friendly Fire die eigenen Marines vertragen? Wer ist nicht schon mal in "GTA" mit einem Sportwagen über den Strand geheizt und hat eine Handgranate in die Menschenmenge geschmissen, um die Physik zu testen oder das Flugverhalten von Nichtspielercharakteren zu studieren? In den seltensten Fällen macht man sich dabei Gedanken, wie seltsam das Verhältnis von Tod und Töten zum Medium eigentlich ist.
Töten als folgenloser Spaß
Das Töten von Unschuldigen, ein Kardinalverbrechen in der zivilisierten Welt, wird in der Sphäre des Spiels oft zum folgenlosen Spaß. Ernst und Unernst koexistieren, prallen aufeinander, die Gewalt wird zur sprichwörtlichen Gewaltfantasie gebrochen.
Dabei geht es, trotz aller Widerworte, nicht jedem um Immersion, Experimentierfreude oder den Abbau von Aggressionen. Ein Artikel der Zeitschrift "New Yorker" machte den Fall eines "GTA V"-Spielers bekannt, der in einem Forumspost sagte, er wolle im Spiel "die Gelegenheit haben, eine Frau zu entführen und als Geisel zu nehmen, in den Keller einzusperren und zu vergewaltigen, ihren Schreien zu lauschen und sie weinen zu sehen".
Auch wenn das Forum schockiert auf diesen Beitrag reagierte - das Medium scheint für kranke Fantasien prädestiniert. Psychologen fanden vor Kurzem einen Begriff für jenes Persönlichkeitsmerkmal, das mit derlei Wünschen, anderen Leid zuzufügen, in Zusammenhang steht und das in allen Kulturkreisen vorkommt: Everyday Sadism.

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Alles ist recht, solange man sein Ziel erreicht?
Delroy Paulhus von der University of British Columbia hat diesen Typus erforscht. Ihm zufolge gibt es einen Unterschied im aggressiven Verhalten, je nachdem, ob es instrumentell motiviert ist - alles ist recht, solange man sein Ziel erreicht - oder intrinsisch, also aus der Person selbst hervorgeht.
In letzterem Fall sehen Spieler das aggressive Verhalten nicht als Mittel zum Zweck, sondern genießen es sogar. Alltagssadisten empfinden Genugtuung, wenn anderen Menschen Leid widerfährt. Der Schlüssel zu diesem Persönlichkeitstypus liege nicht nur in fehlender Empathie, sondern darin, dass man nach "Möglichkeiten sucht, anderen zu schaden", so Paulhus.
Alltagssadismus ist keine psychische Störung, sondern ein Merkmal, das viele Menschen zu einem gewissen Grad besitzen. Tendenzen hierzu fanden die Forscher zum Beispiel bei Nutzern, die gerne als Forentroll ihr Unwesen treiben. Everyday Sadists neigen auch zum Konsum gewalthaltiger Videospiele.
Fantasien ausprobieren
Nicht wenige Spiele, gerade im Mainstream, bedienen diesen Wunsch nach Gewalt und Zerstörung in immer extremerem Ausmaß: "Mortal Kombat" belohnt erfolgreiche Kämpfer mit Schlachthaus-Animationen, im neuen "Doom"-Ableger verwandelt man mit der Kettensäge Dämonen in rote Power-up-Springbrunnen. Nun existieren beide Spielereihen schon mehr als zwei Jahrzehnte und stehen seit jeher für Gewaltexzesse. Doch die Finishing Moves von damals sind mit den heutigen nicht vergleichbar, besonders was Realismus und Explizitheit angeht.
Das Medium scheint eine Art Gravitation zu besitzen: Ein Spiel, das einmal den Weg der Gewalt einschlägt, muss immer härtere Wege gehen, eine Überbietungslogik, wie sie auch sequelgetriebene Actionfilme auszeichnet.
"Ich kann mir vorstellen, dass Videospiele weiterhin immer sadistischer werden", sieht Paulhus die Entwicklung. "Jede Art von Fantasie, die Menschen haben, wird irgendwann in Videospielen oder anderen Medien ausprobiert."
"Du wirst es spüren"
Wie nah wir als normale Spieler an die Grenzen des Ertragbaren kommen, erklärte im vergangenen Jahr Piers Jackson, Game Designer beim "Killzone"-Entwickler Guerilla Games. Jackson machte die Erfahrung, dass Gewalt in Virtual Reality zu intensiv sei. "Du kannst den Blick abwenden, aber du kannst nicht entkommen. Du wirst es spüren, wie alles in VR." Sein Team habe früh entschieden, dass man als Spieler im VR-Spiel "Rigs" keine Menschen töten kann.
Dass sich Entwickler über Alltagssadisten Gedanken machen müssen, zeigen auch Erfahrungen im Multiplayer und in Genres abseits gewalthaltiger Shooter. Mitte der Neunzigerjahre machte der britische Computerspielforscher Richard Bartle die Entdeckung, dass es in Multi-User-Dungeons (MUD) verschiedene Typen von Spielern zu geben scheint, die unterschiedliche Motivationen und Ambitionen in Rollenspielen haben. Außer Entdeckern, Socializern und erfolgsorientierten Spielern umfasste seine Einordnung den Killer.
In der Community der MUDs waren Killer die Newbie-Schlächter. Der Killer hat Spaß, wenn er anderen überlegen ist und weiß, dass er mit seinem Gebaren schwächere Spieler ärgert. Menschliche Gegner zu erledigen ist dabei befriedigender als Bots plattzumachen. (Typische Killersätze sind laut Bartle vielsagend "Ha!", "Coward!", "Die!" und "Die! Die! Die!".)
Schutz vor unfairen Attacken
Auch wenn die Klassifikation nur oberflächlich ist, trifft sie doch den Nerv einer Zeit, in der Trolle vermehrt Foren heimsuchen und Entwickler Maßnahmen einrichten mussten, um Spieler vor unfairen Attacken zu schützen: Teamkiller bestrafen, Respawn-Kills verhindern oder sichere Hubs einrichten.
Entwickler suchen auch andere Wege, uns die Freude an unnötigem Leid zu nehmen. Viele Games lassen Spielern die Wahl, wie sie Gegnern gegenübertreten, und sanktionieren das Verhalten entsprechend. Der Genozid-Playthrough von "Undertale" geht so weit, den Spieler permanent zu bestrafen, selbst über den Neustart hinaus: Bestimmte positive Endzustände bleiben danach unerreichbar.
"Spec Ops: The Line" wiederum ist eine Erfahrung, in der das Töten der Gegner - mitsamt explodierendem Schädel - mehr und mehr vom Shooter-Spaß zum düsteren Trip mutiert.
Ob das abschreckend oder gewaltverherrlichend ist, lässt sich in diesem Fall, ähnlich wie bei Antikriegsfilmen, allerdings schwer abschätzen, so der Medieninformatiker Maic Masuch. Viel hängt vom Spieler selbst ab. "Wenn ich Gewalt und Shooting toll finde, dann werde ich da auch nicht gerade was draus lernen", sagt Masuch.
Ab welchem Punkt genieße ich das Gesehene?
Delroy Paulhus sieht ebenfalls wenig Gewinn, wenn Sadisten ihre Fantasien virtuell ausleben können: "Es vermindert zumindest nicht den Sadismus im täglichen Leben."
Das gewaltsame virtuelle Sterben führt auch deshalb immer wieder zu Kontroversen, weil es nie ganz den Ernst dahinter verschleiern kann. Das Töten bleibt ein Stigma der Videospiele - auch und gerade weil manche Menschen dabei Freude empfinden.
Jedem einzelnen Spieler könnte dies Anlass zur Reflexion bieten: Wo liegt meine persönliche Grenze des Erträglichen? Ab welchem Punkt genieße ich das Gesehene sogar? Und wie weit sollten Spiele in ihrer Gewaltdarstellung gehen dürfen, bevor wir sie offen ablehnen? Das beginnt schon bei der Frage, ob man wirklich eine Mod braucht, mit der sich Kinder im Spiel töten lassen.
Dieser Text ist ursprünglich in Ausgabe 10 des Videospielmagazins "WASD" erschienen.