
Computerspiele: Menschenrechtsverletzung in Shootern: Menschenrechtsverletzung in Shootern
Menschenrechte in Kriegs-Shootern Wir brauchen einen Skandal
Ein schwarzer Bildschirm, man hört nur Stimmen und Geräusche: "Warum hast du das gemacht? Woher war die Bombe?", fragt jemand energisch und mit kräftiger Stimme. Schmerzverzerrt antwortet jemand: "Ich war's nicht." Faustschläge sind zu hören. "Wer sonst?", fragt die Person noch mal, bevor wieder Schläge zu hören sind. "Ich war's nicht", beteuert der Geschlagene abermals. "Wer!? Ich will einen Namen! Einen Namen! Ich will seinen Namen!"
Das Bild der Szene blendet auf: Ein Soldat mit Vollbart steht vor einem an einen Stuhl gefesselten, arabisch aussehenden Mann und schlägt ihm immer wieder ins Gesicht. Ein Mobiltelefon klingelt - das des Gefesselten. Der Soldat geht ran, sagt nichts. Man hört undeutlich die Stimme des Anrufers. Der Soldat wendet sich von seinem übel zugerichteten Gefangenen ab, geht ein paar Schritte, lässt das Handy fallen, dreht sich um, zieht seine Pistole und schießt dem Gefangenen in den Kopf.
Der Aufschrei ist nicht unberechtigt
Im Frühjahr sorgte der US-Kinofilm "Zero Dark Thirty" für Aufregung in den deutschen Feuilletons. Der Film thematisiert die Jagd auf den Qaida-Anführer Osama bin Laden. Dabei werden auch grausame Folterszenen von US-Agenten an gefangenen Terroristen gezeigt. Die US-Ermittler wollten um jeden Preis den Aufenthaltsort bin Ladens erfahren - letztlich erfolgreich. Die Wochenzeitung "Die Zeit" sprach von einem "Legitimationsfilm " für die US-Menschenrechtsverbrechen im Rahmen des 2001 vom ehemaligen US-Präsident George W. Bush ausgerufenen Kriegs gegen den Terror.
Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" fürchtet, dass die Zuschauer Folter als letztes Mittel gegen Terrorismus nach Gucken von "Zero Dark Thirty" zumindest in Betracht ziehen. Die "Süddeutsche Zeitung" sieht in dem Film ein "Reinwaschen der Folterpolitik". Der Aufschrei ist nicht unberechtigt - aber Spieler heutiger Militär-Shooter könnten sich wundern. Die oben beschriebene Szene stammt nicht aus "Zero Dark Thirty", sondern aus "Call of Duty - Modern Warfare" von 2007. Und es ist nicht die einzige sehr zweifelhafte Szene in der populären First-Person-Shooter-Reihe, die weit hinter dem Kinofilm zurückbleibt.
Auch im 2011 erschienenen "Modern Warfare 3" exekutiert Captain Price - der Soldat mit der kräftigen Stimme und dem Vollbart - einen zuvor ergriffenen und entwaffneten Gegner. Vor dem ergriffenen Waffenschieber Waraabe zündet Price eine Kartusche mit Giftgas und bietet dem Somalier, der auch körperlich angegangen wird, eine Gasmaske im Tausch für Informationen an. Der um sein Leben flehende Waraabe verrät die gewünschten Informationen schnell. Price wirft ihm eine Gasmaske zu, zieht aber Sekunden später seine Pistole und erschießt den jungen Afrikaner.
Auch der Spieler selbst kann Gefangene exekutieren: In "Modern Warfare 3" ist es dem Spieler möglich, in London ergriffene Feinde zu erschießen. Auch in "Call of Duty - Black Ops 2" von 2012 können auf einem Flugzeugträger gefesselte und von Soldaten bewachte Gegner problemlos vom Spieler getötet werden. In "Black Ops 2" kann der Spieler außerdem feindlichen Kämpfern nach einer gewonnenen Schlacht im angolanischen Bürgerkrieg bei ihrer Flucht in den Rücken schießen.
Foltermethoden in Games scheinen legitim
Es sind aber nicht nur Exekutionen, die den Spieler aufhorchen lassen sollten. Im 2009 veröffentlichten "Modern Warfare 2" kann der Spieler den Assistenten eines russischen Waffenhändlers in Brasilien festnehmen. Die nächste Szene zeigt den Ergriffenen in einer Garage an einen Stuhl gefesselt. Ein Soldat sagt dem Spieler, dass das Verhör einige Zeit dauern könne - ein anderer Soldat hält zwei an einer Autobatterie angeschlossene Stromkabel in der Hand. Funken fliegen. Das Garagentor wird zugezogen. In "Black Ops 2" wird einem russischen Gefangenen in Afghanistan wiederum während eines Verhörs ein Messer durch die rechte Hand gebohrt. Kurze Zeit später wird der Gefangene mit einem Pistolenschuss ins Gesicht exekutiert. In "Call of Duty" alles kein Problem. Niemand erhebt gegen diese Praxis Einspruch.
Natürlich thematisieren die Shooter kriegerische Auseinandersetzungen, in denen natürlich auch in der Realität immer Menschen sterben. Doch selbst im Krieg gibt es Handlungen, die geächtet und unzulässig sind. Diese sind unter anderem in der Genfer Konvention und ihren Zusatzprotokollen geregelt. Laut Artikel 41 des ersten Zusatzprotokolls dürfen Gegner, die "außer Gefecht" sind oder "unter den gegebenen Umständen" als solche "erkannt werden", nicht angegriffen werden. Noch ist juristisch zwar nicht eindeutig geklärt, inwiefern die Konvention auch für Söldner oder Terroristen, wie sie in den "Call of Duty"-Spielen dargestellt werden, gilt, doch zumindest moralisch ist der Fall klar: Wer entwaffnet und gefesselt ist oder flieht, darf nicht erschossen werden. Von einem solchen Gegner geht (auch in den Spielen) keine Gefahr mehr aus.
Die in den "Call of Duty"-Teilen Gefolterten oder Getöteten haben im Verlauf der Spielgeschichte ohne Frage selbst übelste Verbrechen begangen - doch auch das legitimiert nicht die dem Spieler präsentierten Standgerichte. Und grundsätzlich: Wenn die Gegner in den Spielen gegen elementare Rechte verstoßen und dies vom Spiel nicht kommentiert wird, ist das schon bedenklich. Wenn aber auch die eigene Seite jedes Menschen- und Kriegsrecht mit Füßen tritt, ohne dass dies auch nur irgendwie kritisch als Fehlverhalten angemerkt wird, werden solche Methoden und Handlung zur unhinterfragten Norm erklärt.
Mehr Skandalisierung für Militär-Shooter
Und wo die Verbrechen - die Exekutionen - von Captain Price in den "Modern Warfare"-Spielen unkommentiert bleiben, wird der Soldat dem Spieler sogar durchgehend als guter Kämpfer für die gerechte Sache präsentiert. Als Held, der am Ende des dritten Teils sogar erfolgreich den Anführer der feindlichen Ultranationalisten im Nahkampf töten kann - und danach erst mal cool eine Zigarre raucht.
Doch warum sorgte "Zero Dark Thirty" für so viel medialen Aufruhr, während die "Call of Duty"-Teile weitestgehend unbehelligt blieben? Trotz der grausamen und klar gegen die Menschenrechte und die Genfer Konvention verstoßenden Szenen wurden die "Call of Duty"-Teile von den Feuilletons - mit einer Ausnahme - kaum wahrgenommen.
Einzig die "Modern Warfare 2"-Mission "Kein Russisch", in der der Spieler als verdeckter US-Ermittler in einer Terrorgruppe an einem Massaker auf einem Moskauer Flughafen teilnimmt, sorgte kurzweilig für medialen Aufruhr. Dies könnte man allerdings auch als ein Zeichen dafür deuten, wie weit die Darstellung von Menschenrechtsverletzungen in Videospielen schon akzeptiert wird. Wenn massenhaft auf Zivilisten geschossen werden kann, blicken die großen Medien hin, wenn der Spieler nur vereinzelt Unbeteiligte töten kann - dies ist etwa in "Modern Warfare 3" und "Black Ops 2" möglich -, wird dies nicht einmal von der Fachpresse aufgenommen. Die Flughafen-Mission ist nur die - in Deutschland stark zensierte - Spitze des Eisbergs.
Heutige Militär-Shooter hätten es verdient, durch die Presse öfters skandalisiert zu werden, um so eine öffentliche Diskussion über den Inhalt der Spiele in Gang zu bringen. Es geht nicht um ein - vor allem in der Diskussion um "Killerspiele" oft gehörtes - Verbot bestimmter Videospiele. Aber die in vielen Spielen zur Schau gestellten klaren Verbrechen gegen die Menschheit müssen als solche benannt und aufgezeigt werden. Heutige Militär-Shooter erklären weltweite Militärinterventionen, Folterungen und Exekutionen zur unhinterfragten, nützlichen und sogar gerechten Normalität. Dem Spieler werden die Methoden seiner virtuellen Protagonisten als vollkommen unproblematisch verkauft. Eine kritische Reflexion der Handlungen im Spiel ist aber unabdingbar - die Skandalisierung in Medien könnte dazu einen Anstoß geben. So wie es in den Medien beim Kinofilm "Zero Dark Thirty" auch geschah.
Dieser Text ist erschienen im Videlospielmagazin "WASD - Texte über Games", Ausgabe 3, www.wasd-magazin.de