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Playstation-Klassiker: So sah "Wipeout" aus

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"Wipeout" wiederentdeckt Und plötzlich war Zocken cool

An die Neunzigerjahre erinnert sich unser Autor gern: Er liebte Underworld und Leftfield und duellierte sich mit Kumpels in "Mario Kart". Doch kein Spiel beeindruckte ihn so sehr wie "Wipeout".

Als das Paket mit "Wipeout" da ist, lege ich als erstes die CD in mein PC-Laufwerk und setze die Kopfhörer auf. Nicht um zu spielen - das geht ja nicht, schließlich ist dies ein Spiel für die erste Playstation. Sondern um den Soundtrack zu hören.

Das habe ich schon damals oft gemacht: "Wipeout" spuckt nämlich, wenn man es in einen ganz normalen CD-Player einlegt, elf astreine Dance-Tracks aus, mit denen man auch heute noch jede - na gut, jede retro-orientierte - Tanzfläche zum Kochen bringen könnte. Und damit ist die Bedeutung des Spiels für die Videospielgeschichte und meinen persönlichen Gaming-Lebenslauf schon ziemlich gut beschrieben.

Während die Tracks von Dance-Größen wie Leftfield, Orbital oder den Chemical Brothers aus dem Kopfhörer pumpen, trete ich meine Reise in die Vergangenheit an. 1995 kam das Spiel in Europa zusammen mit der Playstation auf den Markt. Ich war damals das, was man heute einen Casual Gamer nennt.

Ich spiele "Star Wing" und "Mario Kart"

Ich verabscheute Computer und besaß ein Super Nintendo. War mir langweilig, spielte ich "Super Metroid", "Donkey Kong Country" oder den Space-Shooter "Star Wing", der zwar in 3D lief, grafisch allerdings sehr abstrakt aussah.

Noch lieber spielte ich Racing-Games mit meinen Kumpels, vor allem "Super Mario Kart". Ach, "Mario Kart". In der damals noch freizeitreichen Vor-Abi-Zeit duellierten wir uns Stunden, Tage, Nächte auf pixeligen 2D-Kursen wie "Bowser's Castle".

Das Problem: Selbst wenn ich in einer epischen Schlacht den Sieg in allen drei Kubikzentimeterklassen errungen hatte, konnte ich damit außerhalb unserer vollgemüffelten Teenie-Buden kaum jemanden beeindrucken. Videospiele waren damals für weite Teile der Gesellschaft und damit auch meines Jahrgangs Kinderkram. Ungefähr so cool, wie einen Aktenkoffer als Schultasche zu benutzen.

"Wipeout" war eine Offenbarung

Das änderte sich auf einen Schlag, als "Wipeout" kam. Ich weiß noch, wie ich am Erstverkaufstag der Playstation in Deutschland mit 880 Mark in den Elektronikfachmarkt pilgerte, wie heute die Apple-Fans zum Apple-Store, wenn ein iPhone rauskommt. 600 Mark für die Playstation, 200 Mark für "Wipeout" und das Prügelspiel "Tekken" und 50 Mark für einen zweiten Controller, 30 Mark für die Memory Card.

Startbildschirm des Spiels

Startbildschirm des Spiels

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Angesichts meiner damaligen Verhältnisse war das ein kleines Vermögen, auf das ich lange gespart hatte. Zu Hause schloss ich hastig alles an, legte "Wipeout" in die Playstation - und erlebte eine Offenbarung.

Menüs wie diese hatte ich in einem Spiel noch nie gesehen. Einen Sound wie den von "Wipeout" hatte ich noch nie gehört. Und auch die 3D-Grafik wirkte wie von einem anderen Stern, das Gameplay sowieso.

Schwebegefühl perfekt vermittelt

"Wipeout" spielt in einer nahen Zukunft, in der die besten Fahrer der Welt in der sogenannten "Anti-Gravity-League" mit futuristischen Gleitern gegeneinander antreten, auf achterbahngleichen Kursen. Die Fahrzeuge schweben über der Strecke, und hier kommt der Clou: Genau dieses Schwebegefühl hatten die Spieledesigner perfekt vermittelt.

Besonders eine Stelle hat sich mir ins Gedächtnis gebrannt, an der die Genialität der Spielphysik wie von einem Brennglas gebündelt wurde: Am Ende eines langen Tunnels auf der Strecke "Karbonis" nimmt der Streckenverlauf eine relativ knackige Linkskurve und zudem fällt die Piste genau an dieser Stelle abrupt steil ab.

Man ballert also auf den Tunnelausgang zu, sieht dahinter aber keine Strecke, sondern nur Landschaft. Dann zielt man mit dem Gleiter auf die Innenseite der Kurve - und schießt dann in den Himmel hinter dem Tunnel. Für einen Moment kämpfen Fliehkraft und Anziehung der Strecke miteinander, der Gleiter wird langsamer, bis sich die Nase wieder senkt, die Strecke ins Bild kommt und der Gleiter den Berg hinabstürmt.

Als die Musikbranche Spiele für sich entdeckte

"Wipeout" war damals mehr als ein Spiel. Es kam zu einer Zeit auf den Markt, als Techno weltweit aus dem Untergrund in den Mainstream drang. Nie war die Love Parade relevanter als zur Zeit von "Wipeout", Hunderttausende Menschen strömten zum Abtanzen nach Berlin, bald würden es eine Million Technojünger sein.

Auch ich war infiziert. Mit dem deutschen Techno konnte ich zwar wenig anfangen, aber ich liebte Breakbeats, Drum'n'Bass und die Art elektronische Musik, die aus England kam: Leftfield, Underworld, Chemicals Brothers. Und plötzlich kamen aus den Boxen des Fernsehers beim Daddeln keine Düdel-Sounds, sondern meine Lieblingsbands.

Techno-Design als Markenzeichen - ein genialer Schachzug

Techno-Design als Markenzeichen - ein genialer Schachzug

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Es war ein genialer Schachzug von Sony. Für das Grafikdesign hatte der Konzern zudem die Grafiker-Truppe von The Designers Republic angeheuert, die ebenfalls aus der Techno-Szene kam. Sie gestalteten das Booklet des Games, die Menüs im Spiel, die Logos der Rennteams und überhaupt alles, was man heute "Look and Feel" nennen würde, im damals schwer angesagten Techno-Design. Sony war mit "Wipeout" das Unvorstellbare gelungen: Plötzlich war Zocken cool.

So spielt es sich 20 Jahre später

Über 20 Jahre später fühlt sich das Spiel ein wenig anders an. Beim Anblick des Intros war ich noch verzückt, das hatte ich ganz vergessen: In Rendergrafik führt einen das kleine Anfangsfilmchen, begleitet von Techno-Stampf, in die futuristische Welt ein. Damals drückten wir den Clip nie weg, weil es uns ein ums andere Mal "flashte", wie wir sagten.

Das Spiel selbst hatte ich einfacher in Erinnerung. Schwierigkeitsgrade oder Einstellungen, die das Setup von Rennspielen heute zu einer eigenen Wissenschaft machen, gibt es nicht. Ich suche mir einen von vier möglichen Gleitern aus, brause in der ersten von zwei Klassen, der Venom-Class, los - und scheitere erst mal krachend.

Was mir kein Tutorial erklärt, ich aber schnell merke: Man muss mindestens Dritter werden, um sich für das nächste Rennen zu qualifizieren. Wenn man sich dreimal nicht qualifiziert, heißt es "Game Over". Beim ersten Versuch komme ich gerade mal bis zur dritten Strecke.

Mauer Top-Speed, dafür wendig

Welchen Gleiter nahm ich früher immer? Ich weiß es nicht mehr. Nach einem kurzen Blick in die Bedienungsanleitung nehme ich den "Feisar": mauer Top-Speed, dafür wendig. Und siehe da: Jetzt läuft es. Zumindest besser.

Das A und O bei "Wipeout" ist die Wahl der richtigen Linie. Es gilt, nicht nur auf der Ideallinie durch die Kurven zu schneiden, sondern auch möglichst über die blauen Beschleunigungspfeile und die Extrafelder zu düsen, die das Waffenarsenal der Gleiter mit verschiedenen Angriffs- und Abwehrwaffen befüllen.

Gar nicht so einfach, die Wiederbegegnung nach 20 Jahren.

Gar nicht so einfach, die Wiederbegegnung nach 20 Jahren.

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Doch damit habe ich am Anfang meine liebe Not. Meist fahre ich genau an den Feldern vorbei und rase in die Streckenbegrenzung. Und das ist leider tödlich bei "Wipeout". Während man bei anderen Rennspielen die Leitplanken durchaus als Bande benutzen kann, ist die Fahrt hier bei Berührung erst mal weg. Genau wie dann die Konkurrenten.

Es läuft wieder besser

Je länger ich spiele, desto mehr kommt das Gefühl zurück. Ich verstehe, dass ich weit früher in die Kurve einlenken muss, als bei einem normalen Rennspiel, weil sich der Gleiter erst mal um neunzig Grad drehen und seine Kurvenlage einnehmen muss. Das damit einhergehende Geschaukel auf dem Bildschirm ist enorm.

Hinzu kommt, dass mich die Grafik mit ihrem Flackern, ihren Pop-ups und Clippings an den Rand der Aufnahmefähigkeit treibt. Heute laufen die Spiele viel flüssiger, aber es ist eben ein Spiel aus einer anderen Zeit. Das merke ich auch daran, dass mein HD-Fernseher mit dem RGB-Bildsignal der Playstation wenig anfangen an: Weil die PS2, auf der ich "Wipeout" spiele, kein HD kann, rechnet der Fernseher das Bild zu ziemlich grobem Pixelbrei um. Spaß macht es trotzdem.

Am Ende meines Wiedersehens mit "Wipeout" - der Abend war sprichwörtlich im Flug vergangen - schaffe ich es bis zum fünften Kurs der Venom-Klasse. Eigentlich, das war der Plan, wollte ich nur einmal spielen, diesen Artikel schreiben, und dann die Playstation 2 wieder auf den Dachboden bringen. Ich glaube aber, ich lasse sie noch ein bisschen in meiner Wohnung. Mindestens die gesamte Venom-Klasse muss ich noch durchspielen.

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