
Nazi-Thematik: Wie Spiele für den deutschen Markt angepasst werden
Fall "Wolfenstein II" Warum Spielehersteller auf Nazi-Symbole verzichten
Ein faschistisches Regime hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen und herrscht nun über den Planeten. Die Untertanen dieser Weltregierung müssen als erste Fremdsprache Deutsch lernen, Rassismus ist kein Strafbestand mehr, Schwarze und Geistigbehinderte werden in Gefängnisse abtransportiert. Hier herrschen Menschen, die sich Arier nennen, über alle anderen.
In diese albtraumhafte Welt entsendet "Wolfenstein II: The New Colossus" den Spieler. Er kämpft in dem Shooter gegen das Regime. Es ist ein unterhaltsames und zugleich hochpolitisches Spiel, das sich mit dem Aufstieg von "Alt Rights" und "White Supremacists" auseinandersetzt.
Doch was eigentlich als spielbarer Rachefeldzug gegen den Nationalsozialismus konzipiert wurde, gerät in der deutschen Version zur bemüht anonymen Parabel: Hier haben die faschistischen Truppen ihre Hakenkreuz-Abzeichen abgelegt, während Hitler "Herr Heiler" heißt, als "mein Kanzler" angesprochen wird und sein Oberlippenbärtchen rasiert hat.
Solche Anpassungen sind nicht neu. Mit Blick auf Paragraf 86 und 86a des Strafgesetzbuches verzichten Entwickler in Deutschland seit Jahrzehnten mehr oder weniger freiwillig auf Nazi-Symbole, denn daraus lässt sich ableiten: Das Verbreiten von Nazi-Kennzeichen wie Fahnen, Abzeichnen oder Parolen ist verboten. Diese Regelung ist auch der Grund dafür, dass bei "Wolfenstein II" alle Nazi-Zeichen aus dem Spiel entfernt wurden, ähnlich wie beim gerade erschienenen "Call of Duty: WW2".

Nazi-Thematik: Wie Spiele für den deutschen Markt angepasst werden
Deutsche Version ohne Juden
Im Fall von "Wolfenstein II" geht die Zurückhaltung noch weiter - was erklärt, warum das Spiel nun massiv in der Kritik steht: Die Juden sind aus der deutschen Verkaufsversion restlos verschwunden. Jede Spur des Holocausts und jede Nennung der Juden wurde gestrichen oder ersetzt. Die Regime-Truppen sprechen jetzt einfach nur noch von "Verrätern", die sich nicht mehr im Arbeitslager zu Tode schuften müssen, sondern "in Gefangenschaft sterben". Und selbst eigentlich jiddisch sprechende Charaktere beherrschen einwandfreies Hochdeutsch.
Man könnte dazu sagen: Hier wird - dem Alternativwelt-Zukunftsszenario des Spiels zum Trotz - Geschichtsrevisionismus betrieben, indem die historischen Verbrechen der Nationalsozialisten ausgeblendet und ihre Opfer marginalisiert werden.
Hersteller Zenimax erklärt auf Nachfrage: Man wolle keineswegs Geschichtsrevisionismus betreiben, sondern mit Hilfe des fiktiven Ansatzes zeigen, "dass ein repressives, menschenverachtendes, (...) Regime jederzeit für Angst und Schrecken sorgen kann und somit massiven Widerstand herausfordert."
Die deutsche Version von "Wolfenstein" als Parabel über den Faschismus? Eine schwierige Lesart eines Spiels, in dem Nazis auch ohne Hakenkreuz und mit geändertem Nachnamen als solche erkennbar bleiben, während ihre Opfer spurlos verschwinden.

Neues "Wolfenstein": So sieht "The New Colossus" aus
Ausnahme für Kunst
Seit die "Wolfenstein II"-Änderungen bekannt sind, wird in Kritiker-Kreisen die Forderung lauter, dass Videospiele ihren Anspruch auf Behandlung als Kunstwerk vor dem Gesetz geltend machen müssen. Denn während Paragraf 86 zwar konsequent jede verfassungsfeindliche Symbolik verbietet, heißt es in einer gesonderten Klausel, dass Kunstwerke wie beispielsweise Filme von dieser Regelung ausgenommen sind. Hätte es sich "Wolfenstein II" also sogar erlauben können, Hakenkreuze zu zeigen?
"Videospiele gelten bereits als Kunst", meint dazu Sebastian Schwiddessen, Rechtsanwalt für IT- und Medienrecht bei der Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie. Die Rechtsprechung habe in mehreren Entscheidungen zu unterschiedlichen Rechtsfragen beiläufig die Kunsteigenschaft von Videospielen bejaht.
"Auch in einer mittlerweile nahezu einhellig als falsch eingestuften Einzelfallentscheidung zur Frage, ob Videospiele verfassungsfeindliche Symbole enthalten dürften, hat das entscheidende Gericht nichts anderes festgestellt", sagt der Anwalt. "Vielmehr hat sich das Gericht zu der Frage überhaupt nicht geäußert."
Ärger um "Wolfenstein 3D"
Schwiddessen spielt hier auf den einzigen bekannten Fall an, bei dem die Hakenkreuz-Symbolik in einem Videospiel ein Gericht beschäftigt hat. 1998 wurde ein Rechtsradikaler angeklagt, weil er über ein Forum nationalsozialistische Inhalte verbreitet hatte. Dazu gehörte auch das Spiel "Wolfenstein 3D", das wegen seiner Nazi-Symbolik wie Runen und Hakenkreuzen als Propagandamittel dienen sollte.
In diesem Kontext erklärten die Richter damals, dass nationalsozialistische Bilder nichts in Videospielen zu suchen hätten - die Relevanz der Ausnahmeregelung wurde hier aber nicht einmal in Betracht gezogen.
Schwiddessen glaubt daher, dass es die "Wolfenstein II" -Macher schaffen würden, in Deutschland eine ungeschnittene Fassung des Spiels auf den Markt zu bringen. "Die Chancen, dass sich ein Videospiel im Rahmen der sogenannten Sozialadäquanzklausel auf das Merkmal 'Kunst' berufen kann, sind heutzutage sehr gut", sagt er. Gerade Spiele wie das neue "Wolfenstein" und viele "Call of Duty"-Vertreter verfügten "über einen hohen Kunstgehalt beziehungsweise eine hohe Schöpfungshöhe".
Weltweit erschienen - außer in Deutschland
Darunter, dass die großen Firmen solch einem Prozess bisher aus dem Weg gehen - wohl aus Kosten- wie Imagegründen -, leiden auch kleinere Studios. Zu ihnen gehört etwa das kleine tschechische Entwicklerteam hinter "Attentat 1942". In diesem Spiel wird die Geschichte der nationalsozialistischen Überfälle und der Besetzung in Osteuropa aus Sicht der Opfer erzählt. Mitunter können hier Zeitzeugen vom Spieler befragt werden, die dann in Rückblenden von ihrem Schicksal berichten.
Mittlerweile ist das Spiel weltweit erschienen - beinahe. Wegen der unsicher scheinenden Gesetzeslage und aus Angst vor einem kostenintensiven Gerichtsprozess verzichteten die Entwickler bisher freiwillig auf eine Veröffentlichung in Deutschland.
Es fehlt noch immer der große Präzedenzfall, der den Status von kleinen wie großen Videospielen vor dem deutschen Gesetz klärt. Paragraf 86 und 86a des deutschen Strafgesetzbuches mögen für Spielefirmen brisant sein: Doch genau das sollte nicht Grund für eine im Fall von "Wolfenstein II" befremdlich wirkende Selbstzensur sein, sondern Anlass zum Handeln.