Zehn Jahre "Die Sims" Normal ist genial

Kein Ziel, keine Action, aber gigantischer Erfolg: Seit seinem Start vor zehn Jahren hat sich das Computerspiel "Die Sims" über 125 Millionen Mal verkauft. Die Alltagsanimation ignoriert fundamentale Regeln für PC-Games - genau das ist ihr Geheimnis.
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10 Jahre "Die Sims": Spiel des Lebens

Keine Story, kein Testen der Reflexe, keine klare Aufgabe - den "Sims"-Titeln fehlt alles, was ein Computerspiel ausmacht. Ungewöhnlicher noch, es sind Alltagssimulationen mit durchschnittlichem Vorstadtvolk in der Hauptrolle. Auf dessen Spielplan stehen Schlafen, Essen, Putzen und Arbeiten (und selten auch mal Feiern). Dennoch sind die "Sims", die dieser Tage ihren zehnten Geburtstag feiern, nicht nur die erfolgreichste PC-Spieleserie, sondern mit 125 Millionen verkauften Produkten auch die - nach "Mario" und "Pokémon" - weltweit drittpopulärste Spielemarke.

Ein grandioser Erfolg für ein Spiel, dem Hersteller Electronic Arts Anfang 2000 einen Absatz von 160.000 Stück zugetraut hatte. Wenigstens wagte es der kalifornische Games-Gigant, das innovative Werk des US-Entwicklerstars Will Wright zu veröffentlichen. Der Urheber des Städtebau-Bestsellers "Sim City" war schon seit den beginnenden neunziger Jahren von der Idee einer virtuellen Puppenstube fasziniert gewesen, konnte die Führungsriege seines mitbegründeten Software-Hauses Maxis aber nie von ihr überzeugen. Erst nach der Übernahme durch Electronic Arts 1997 holte man das Konzept wieder aus der Versenkung.

Turbokapitalistische Spielwelt

Was als Innenarchitektur-Spielerei unter dem Namen "Home Tactics" begonnen wurde, entwickelte sich bis zur Veröffentlichung als "Die Sims" zu einer mausgesteuerten Seifenoper. Zunächst sollten die Mitglieder des am Bildschirm konstruierten Haushalts nur über die Wohnqualität richten - waren also nicht mehr als eine niedliche grafische Darstellung der Leistung des Spielers. Doch als die Männchen programmiert waren, erkannten Wright und seine Mitarbeiter deren Potential, der Fokus verschob sich auf die Figuren und ihr Verhalten. Man verpasste ihnen variable Charaktereigenschaften und damit Persönlichkeit.

Und sie wurden mit Grundbedürfnissen ausgestattet, die der Spieler bis heute stillen muss - durch Einbau einer Toilette, den Kauf von Fernseher und Kühlschrank, rechtzeitiges Zubettgehen oder Pflegen sozialer Kontakte. Wie im richtigen Leben sind dabei Zeit und Geld die begrenzenden Faktoren - der Tag eines Sims vergeht schnell, rund um Haushalt und Karriere bleiben nur wenig individuell nutzbare Stunden, sprich: Spielminuten. Deren Anzahl zu erhöhen, gelingt nur mit einem besseren Job, der mehr Freizeit und Geld für Dienstleister verschafft. Aussteiger haben keinen Platz in der turbokapitalistischen "Sims"-Welt: Wer mehrmals blau macht, verliert seinen Job, wer nichts verdient, verhungert.

Bei den "Sims" arbeiten noch Storch und Sensenmann

Das gespielte Leben eroberte die PC-Gemeinde im Sturm: In nur zwei Jahren überholte das "Sims"-Debüt den damaligen Spitzenreiter "Myst" und wurde mit 6,3 Millionen Einheiten zum bestverkauften PC-Titel des beginnenden 21. Jahrhunderts. Für diesen Erfolg sorgten vor allem die damals noch nicht erschlossenen "Casual Gamer" sowie eine weibliche Nutzerschaft von rund 50 Prozent. Beides schreibt Wright dem offenen Konzept seiner "Sims"-Welt zu: "'Die Sims' war eines der ersten Spiele für ein breiteres Publikum, für einen Spielertyp, der eher selbst motiviert und kreativ ist. Die Männer lieben vor allem die Konstruktion cooler Dinge, die Frauen konzentrieren sich auf die sozialen Beziehungen".

Dabei war und ist es nicht nur eine Herausforderung an Design und Programmierung, eine liebens- und spielenswerte Simulation des menschlichen Alltags zu erschaffen. Von Beginn an mussten allerlei moralische Minenfelder umschifft werden, um die Spiele jugendfrei und international vermarktbar zu machen.

In der "Sims"-Welt gelten daher eigene Regeln: Wenn das Alter Ego seine Notdurft verrichtet oder duscht, wird es in einen Schleier aus groben Pixeln gehüllt, wütende Auseinandersetzungen gipfeln maximal in einer schallenden Ohrfeige, und die Inszenierung von Zeugung, Geburt oder Tod geschieht eher symbolhaft als explizit - bei den "Sims" sind noch Storch und Sensenmann im Einsatz. Partnerschaft und Liebe werden etwas fortschrittlicher gehandhabt: Ob Großfamilie, Dreiecks- oder gleichgeschlechtliche Beziehung - an individuellen Lebensformen herrscht kein Mangel. Ob der Spieler sie dauerhaft erfolgreich geregelt bekommt, steht auf einem anderen Blatt.

2,5 Milliarden US-Dollar brachte das Sims-Business ein

In zehn Jahren haben es "Die Sims" auf drei PC-Episoden, ein Dutzend Umsetzungen für Spielkonsolen und Mobilgeräte und zahlreiche Erweiterungs-Packs gebracht. 2,5 Milliarden Dollar wurden bislang mit der Marke umgesetzt, das Mitte 2009 veröffentlichte "Die Sims 3" avancierte mühelos zum bestverkauften PC-Spiel des Jahres - nicht zuletzt wegen der weltweiten Fan-Community.

Die ist riesig, treu und fleißig: In einem klugen Schachzug gaben die Entwickler den Spielern bereits ab dem ersten "Sims"-Teil Gratis-Werkzeuge an die Hand, mit denen sich eigene Spielinhalte erschaffen ließen. Heute existiert eine siebenstellige Zahl von User-generierten Gegenständen, Häusern, Charakteren, Bildern und Videos, die auf Tausenden Internetseiten zum kostenlosen Download bereitstehen.

Wright hat indessen seine alte Wirkungsstätte verlassen und im vergangenen Jahr den "Stupid Fun Club" gegründet - einen Think Tank zur Entwicklung digitaler Spielideen. "Unter all meinen Konzepten gab es nur zwei Ideen, die von den Leuten im Vorfeld als Müll betrachtet wurden - 'Sim City' und 'Die Sims'", sagte Wright 2001 bei der Entgegennahme eines Preises für sein Lebenswerk. Nach zehn Jahren "Die Sims" dürfte ihm so etwas mit keinem seiner Einfälle mehr passieren.

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