Fotostrecke

Larp in Zeiten von Corona

Foto:

Marco Winter/ wintergrafie.de

Larp-Sommer 2020 Als die Orks den Wald verließen

Jedes Jahr verkleiden sich Zehntausende Menschen als Ork, Wikinger oder Zauberer, um sich tagsüber in inszenierten Schlachten zu bekämpfen und abends miteinander zu feiern. 2020 ist alles anders.

Eigentlich würde Sonja jetzt als kriegerische Keltin verkleidet und mit einer Schaumstoff-Axt bewaffnet gegen Orks, Wikinger und Untote kämpfen. Der Sommer ist die Hochsaison für Live-Action-Rollenspiele (Larp), und auch in Deutschland finden von Juni bis September die größten und wichtigsten Events der Szene statt. Dieses Jahr aber ist alles anders.

Die Corona-Pandemie hat es für die Veranstalter unmöglich gemacht, das Zusammenkommen Tausender verkleideter Krieger, Magier und Mythengestalten bedenkenlos durchzuführen. Und so kämpft sich Sonja diesen Sommer nicht gemeinsam mit ihren besten Freunden über ein Schlachtfeld, sondern sitzt in ihrer Münchner Wohnung fest. Larp ist 2020 vor allem ein Großevent im Internet.

Was ist Larp?

"Larp" steht für "Life Action Role Playing": Spieler verkleiden sich als fiktive Charaktere und treffen sich auf riesigen Festivals, um gemeinsam zu zelten, zu feiern und gespielte Schlachten auszutragen - natürlich mit Schaumstoff- statt mit echten Waffen. Die deutsche Larp-Szene gehört zu den größten und traditionsreichsten Communities weltweit, zum Drachenfest bei Diemelstadt pilgern jährlich rund 10.000 Menschen aus der ganzen Welt.

Corona hat die Szene schwer getroffen

Seit 2010 ist Sonja ein leidenschaftlicher Teil der Larp-Szene. Die 31-Jährige hat sich über die Jahre viele sehr unterschiedliche Rollenspiel-Personas ausgedacht, aber die Blutkeltin Skaun ist ihre Favoritin: eine wilde Kriegerin, die sowohl bei den freundschaftlichen Massenschlachten als auch beim abendlichen Feiern immer ganz vorn mit dabei ist. Und Skaun ist keine Einzelgängerin: 40 Frauen und Männer aus Deutschland, allesamt enge Freunde von Sonja, gehören dem Blutkelten-Clan an.

Zu den jährlichen Rollenspiel-Veranstaltungen kommt der verstreute Freundeskreis dann zusammen. "Wir leben in einer riesigen Jurte, in der nachts Feuer gemacht wird und bis zu 70 Menschen feiern und tanzen können", sagt Sonja, "tagsüber geht's dann auf das Schlachtfeld, wo wir sehr wild, sehr ungehobelt, sehr frei, sehr archaisch sind."

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Für Sonja, die einen in der Szene bekannten YouTube-Channel über ihr Lieblingshobby betreibt , sind die Events nicht nur ein großer Spaß, sondern auch Jahreshöhepunkte, die Freundschaften stärken und neue Bekanntschaften mit Gleichgesinnten möglich machen: "Wir können alle mal komplett abschalten und erleben einen enormen Selbstbewusstsein-Boost. Denn diese 40 Leute sind eine richtige Familie, die für jedes Mitglied einsteht und es unterstützt. Da kommt man unheimlich erholt raus." 

Dieses Jahr aber bleiben die Wiesen, Wälder und Zeltplätze der Larp-Community leer - nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt. Die Coronakrise hat auch die Rollenspielgemeinschaft getroffen, alle offiziellen Veranstaltungen der Szene, für die Tausende Menschen aus der ganzen Welt zusammenkommen, mussten abgesagt werden. Den Anfang machte im April das Duché de Bicolline , ein Fantasy-Dorf in Kanada mit über 200 Häusern, Tavernen, Türmen und anderen Einrichtungen, die von den Teilnehmern gebaut wurden.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Facebook, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Das "Grand Bataille" gibt es seit 1994, es beherbergt jedes Jahr rund 3500 Rollenspieler, die gemeinsam feiern und kämpfen. 2020 sollte eigentlich das 25. Jubiläum der Traditionsveranstaltung gefeiert werden, aber die Organisatoren mussten ihren Fans angesichts der Coronakrise eine Absage erteilen . Bis mindestens September soll das Schlachtfeld verwaist bleiben.

Auf die Absage des "Grand Bataille" folgten schnell die restlichen Großveranstaltungen der Szene, drei davon finden jährlich in Deutschland statt: Das Drachenfest , Conquest of Mythodea  und Epic Empires  beherbergen jedes Jahr zusammengenommen rund 15.000 Menschen auf ihren Zeltplätzen, aber auch durch deutsche Wälder wird 2020 wohl keine Fantasie-Armee mehr marschieren.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Für die Veranstalter ist der finanzielle Schaden erheblich: Gemietete Zeltplätze und bereits gebuchte Cateringdienste für die Verpflegung der Krieger müssen storniert werden. Einige Events wie das Drachenfest  bauen auf das Verständnis der Spieler: Sie bitten darum, von den Kostenerstattungen der Tickets abzusehen, die dafür nächstes Jahr dann gültig sein sollen. Alternativ können die Tickets in Gutscheine umgewandelt werden, die dann kleine Rabatte bei Onlineshops erbringen. Ein dringend benötigter, finanzieller Stoßdämpfer für die Organisatoren. 

Doch die zahlreichen Kleinunternehmer, die als fliegende Händler die Veranstaltungen besuchen und dort ihre Waren wie Schaumstoff-Schwerter und selbst genähte Kleidung verkaufen, profitieren von dieser Regelung nicht. Sie müssen auf Spenden hoffen, um auch 2021 wieder dabei sein zu können.

Kreative Energien dank der Krise

Für die Rollenspieler ist der ausgefallene Festivalsommer 2020 natürlich eine Enttäuschung, doch der Zusammenhalt sei auch ohne die Treffen groß, sagt Sonja. "Für viele Menschen ist das ein unglaublich stark und tief verankertes Hobby, die Entscheidung stieß also auf viel Trauer, aber auch Verständnis. Uns ist klar: Wir können nicht anders handeln, wir müssen da jetzt durch."

Schnell habe die Trauer auch kreative Energien freigesetzt: Die Rollenspieler nutzten die unverhofft freie Zeit in den Sommermonaten nun, ihre Rüstungen, Gewandungen und Waffen ihrer Charaktere noch schöner, noch besser, noch detaillierter zu gestalten. Die Vorfreude auf das nächste Jahr ist spürbar, auch bei Sonja: "Jetzt hat man Zeit, diesen einen Zierstich zusätzlich noch zu machen, hier noch ein Patch dran, dort das lang aufgeschobene Basteln einen ganzen Sommer lang nachholen. Ich bin sehr gespannt, wie die Charaktere aussehen, wenn wir zurückkommen."

Zudem verabreden sich Spieler für gemeinsame Rollenspielabende oder streamen ihre Zeltübernachtungen im eigenen Garten ins Netz. Auch die Musikplattform TikTok blieb vor den unfreiwillig daheimgebliebenen Orks, Wikingern und Kelten nicht verschont, die sich mit Musik- und Sketch-Videos austobten.

Zu den erfolgreichsten Aktionen, die mitten in der Coronakrise starteten, gehört die "Stunt Challenge" der schweizerischen Larp-Community Equinox : Die Krieger präsentierten stolz ihre Gewandungen und Rüstungen, während sie sich nacheinander eine "Ohrfeige" verpassten. Diese Idee wurde von anderen Clans und Gemeinschaften  aufgegriffen und nachgestellt - ein viraler Gruß inmitten einer schwierigen Zeit.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von Facebook, der den Artikel ergänzt und von der Redaktion empfohlen wird. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen und wieder ausblenden.
Externer Inhalt

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Im September soll der Spuk dann wieder vorbei sein und die ersten Rollenspieler auf die Schlachtfelder zurückkehren. Dann findet auf einem verlassenen Militärstützpunkt in Malwinkel nahe Berlin das Postapokalypse-Event "Prim" statt, in dem die Spieler mit Airsoft-Waffen gegen Aliens kämpfen müssen.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren