Neues Extra »Produktivitätswert« Kritiker warnen vor möglicher Mitarbeiter-Überwachung durch Microsoft Office

Unternehmen können auswerten, wie ihre Mitarbeiter Office-Software nutzen. Möglich macht das ein neues Tool von Microsoft. Gewerkschaften, Datenschützer und Juristen zeigen sich entsetzt.
Microsoft Teams: 75 Millionen tägliche Nutzer

Microsoft Teams: 75 Millionen tägliche Nutzer

Foto: Debarchan Chatterjee / DPA

In der Coronakrise boomt das Homeoffice. Davon profitiert auch Microsoft. Mit seiner Büro-Software beherrscht der Konzern den deutschen Markt . Allein die Zahl täglicher Nutzer der Kommunikationssoftware Teams hat sich im vergangenen Jahr auf rund 75 Millionen verdoppelt .

Doch mit einer neuen Funktion des Office-Pakets, das seit einiger Zeit Microsoft 365 heißt, handelt sich der US-Konzern hierzulande heftige Kritik von Gewerkschaften und Datenschützern ein: Die Software kann aufzeichnen, wann und wie oft Mitarbeiter die Bürosoftware nutzen.

Vorgesetzte sollen aus einem sogenannten Produktivitätswert  ablesen können, wie intensiv ihre Mitarbeiter die Office-Software nutzen. Das Statistik-Tool zeigt unter anderem an, wann und wie viele E-Mails die Angestellten an welchen Tagen des vergangenen Monats mit Outlook verschickt haben und wie lange und oft sie über Teams miteinander gesprochen oder gechattet haben. Wie unter anderem »Heise«  berichtet, können Mitarbeiter dabei auch namentlich aufgelistet werden.

Diese namentliche Auswertung ist auch die Standardeinstellung. Eine Anonymisierung der Daten ist zwar möglich, muss aber bewusst aktiviert werden. Christian Velten, Rechtsanwalt und Experte für Arbeitsrecht und Datenschutz, hält diese Möglichkeit für juristisch bedenklich. »Das funktioniert beispielsweise bei kleinen Teams überhaupt nicht«, sagt der Jurist. »Wenn bei einer Gruppe von drei Mitarbeitern einer krank und einer im Urlaub ist, dann weiß man eben ziemlich genau, wer gemeint ist.«

Kritik von Gewerkschaftern und Juristen

In einem Erklärvideo  schwärmen Microsoft-Mitarbeiter davon, wie hilfreich das Tool sei, um Angestellte herauszupicken, die besonders stark auf digitale Kommunikation setzen. Solche Mitarbeiter sollen weniger aktive Angestellte auf dem Weg der Digitalisierung begleiten. Was in dem Clip unerwähnt bleibt: Das Tool kann auch jene Angestellte auflisten, die selten Nachrichten verschicken, wenig per Teams kommunizieren und somit laut Microsoft die Produktivität hemmen.

Juristen raten dringend davon ab, diese Form der Produktivitätskontrolle in Deutschland zu nutzen. Im Gespräch mit dem SPIEGEL sagt Anwalt Velten: »Chefs dürfen die Statistik auf keinen Fall verwenden, um Mitarbeiter auszuwerten.« Das wäre eine unverhältnismäßige Überwachung, die gegen das Datenschutzrecht verstößt. Vor allem die detaillierte Auswertung des Tools sei »ziemlich problematisch.«

Das Problem sehe er darin, dass Unternehmen kaum eine Wahl haben, auf Offline-Alternativen zu setzen. »Viele Firmen können ohne Office nicht mehr arbeiten«, sagt Velten. Ältere Office-Versionen seien keine Option, weil es dafür bald keinen Support mehr gebe. »Microsoft wird Unternehmen früher oder später in die Cloud zwingen.« Die einzige Chance ist seiner Meinung nach, dass die IT den Zugriff auf die Produktivitätsdaten sperrt. Ansonsten drohen hohe Strafen.

Die Gewerkschaft Ver.di weist darauf hin, dass die Nutzung von Tools wie der Office-Statistik zwingend mit dem Betriebsrat abgesprochen werden müssen. In der Praxis erlebe die Gewerkschaft oft, dass »Arbeitgeber mithilfe technischer Überwachungstools gern nach Gründen für Sanktionen gegen Beschäftigte suchen«, sagt ein Sprecher. Außerdem sei es zumindest fraglich, ob mit diesem Tool »überhaupt eine Aussage über die Produktivität getroffen werden kann.« Die Anzahl der bearbeiteten E-Mails liefere »unseres Erachtens keine annähernd verlässliche Messung der tatsächlichen Produktivität«.

Datenschützer nehmen Firmen in die Pflicht

Die Behörde des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BFDI) äußert sich nur zurückhaltend zur neuen Office-Funktion. Ein Sprecher teilte auf Anfrage des SPIEGEL mit, dass man das Tool von Microsoft noch nicht geprüft habe. Die Verantwortung liege bei den Arbeitgebern »nur solche Programme einzusetzen, die dem Gesetz nach erlaubt sind«.

Eine Sprecherin der Behörde ergänzt auf Nachfrage, dass allein die Möglichkeit einer Überwachung von Beschäftigten den Einsatz nicht unzulässig mache. Es werde datenschutzrechtlich »problematisch, wenn das System dann tatsächlich für eine Verhaltens- und Leistungskontrolle genutzt werden soll«. Laut Paragraf 26 des Bundesdatenschutzgesetzes dürfen personenbezogene Daten nur dann verarbeitet werden, wenn das für die Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich ist.

Die Behörde sehe es aber nicht als erforderlich an, Datum und Uhrzeit zu erheben, um nachzuvollziehen, wann Mitarbeiter eine E-Mail verschickt haben. Das müsse jedoch im Einzelfall geprüft werden, sagt die Sprecherin. »Den mit einer anlasslosen Überwachung der Beschäftigten verbundene Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten hält der BFDI für unzulässig.«

Microsoft: »Kein Überwachungs-Tool«

Microsoft hält solche Vorwürfe offensichtlich für unbegründet. In einem Blog-Beitrag schreibt das Unternehmen : »Der Produktivitätswert ist kein Überwachungs-Tool.« Es gehe darum, »neue Arbeitsweisen zu entdecken und den Mitarbeitern großartige Zusammenarbeit und Technologie-Erfahrungen zu bieten«. Dem SPIEGEL erklärte eine Microsoft-Sprecherin, dass die Funktion eine »Opt-in-Erfahrung« sei, um »IT-Administratoren eine Einsicht in Technologie und Infrastruktur zu liefern«. Die Tools sollen Unternehmen helfen, »das Beste aus ihren Technologie-Investments herauszuholen, indem klassische Problemstellen wie Ladezeiten, ineffizient genutzte gemeinsame Dokumente und schlechte Netzwerkverbindungen in Angriff genommen werden«.

Man fühle sich der Privatsphäre der Nutzer verpflichtet, das Statistik-Tool entspreche den Datenschutzgesetzen und -regeln, sagt die Sprecherin. »Der Produktivitätswert stellt keine Auswertung für einzelne Mitarbeiter bereit.« Die Daten würden 28 Tage lang gesammelt und danach gelöscht.

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