Das Ende der Armbanduhr Vom Handy geschluckt
In den USA wurden im vergangenen Jahr 5,6 Milliarden Dollar für Armbanduhren ausgegeben. Das hört sich zunächst nach einem soliden Geschäft an, bezeichnet aber auf den zweiten Blick den Niedergang einer ganzen Branche. Im Vergleich zum Vorjahr ist der Umsatz um satte 17 Prozent eingebrochen.
Dass es sich bei diesem Umsatzeinbruch nicht um einen einmaligen Ausrutscher handelt, zeigen die Ergebnisse einer Studie der Investment-Bank Piper Jaffray & Co: Nur noch rund einer von zehn US-Bürgern trägt täglich eine Uhr am Handgelenk, und - noch dramatischer - zwei Drittel aller US-Teenager haben noch nie eine Armbanduhr besessen.
Die Uhr ist Stress, das Handy ist Freizeit
Mit ihren Zahlen bestätigen die Marktforscher eine Alltagserfahrung: Kaum jemand trägt noch eine Uhr. Schon gar nicht, um zu wissen, wie spät es ist. Die Zeit lesen wir vom PDA, dem Laptop und vor allem dem Handy ab, womit die Techniknutzung, geschichtlich betrachtet, einen Schritt zurück macht: Genau wie die meisten Handys wurden die ersten Uhren, die massenhaft individuell getragen wurden, in Hosen- oder Jackentaschen verstaut.
Zusammen mit der Eisenbahn haben Taschenuhren die Industriegesellschaften synchronisiert. Genau wie heute das Handy mussten sie jedes Mal hervorgeholt werden, wenn man die Uhrzeit ablesen wollte. Uhren am Handgelenk kamen erst im Ersten Weltkrieg auf: "Armbanduhren waren ein Zeichen von erhöhtem Stress - dem Stress des Gefechts," erklärte James Hoopes, Professor für Geschichte und Gesellschaft am Babson College in Massachusetts, der Nachrichtenagentur Associated Press.
Ausgehend von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs wurden Armbanduhren, vor allem im Berufsleben, zu einem Symbol für die immer knapper werdende Freizeit. Womit eine weitere Absurdität des Mobiltelefons als Chronometer deutlich wird: Handys werden von Teenagern vor allem mit Freizeit assoziiert - obwohl sie bei jedem Blick auf Anruflisten oder SMS auch die aktuelle Uhrzeit anzeigen.
Statussymbol oder Handy-Assistenz
Luxusmarken wie Rolex leiden naturgemäß wenig unter dem Abwärtstrend des Geschäfts mit der Armbanduhr. Sie könnten sogar profitieren. Schließlich steht die Funktionalität als Zeitmesser bei den Produkten der oberen Preisklassen ohnehin nicht im Vordergrund. Hier geht es in erster Linie um die Eignung als Statussymbol. Und als solches sind Uhren, die niemand mehr aus praktischen Erwägungen trägt, natürlich prädestiniert.
Hersteller von Massenware versuchen sich unterdessen darin, Armbanduhren mit neuen Funktionen aufzurüsten. Mit dieser Strategie hat die Branche in der Vergangenheit allerdings durchwachsene Erfahrungen gemacht. Die Taschenrechneruhr hat sich in den 80ern jedenfalls nicht durchsetzen können. Heute werden dagegen Blutdruckmesser oder GPS-Module in die Uhren integriert - und natürlich auch Handys.
Bei so gut wie allen Anwendungen steht der Uhr als Schrumpfhandy am Handgelenk leider ihre bewährte Größe im Weg. Tippen oder Klicken sind in dieser Dimension einfach schrecklich unpraktisch, ob das "kleinste echte Armband-Handy" des australischen Herstellers SMS Technology einen neuen Trend auslösen wird, darf bezweifelt werden. Chancenreicher dürfte dagegen der Ansatz der FX6001 von Fossil sein. Die Bluetooth-Uhr macht sich einfach zur Außenstelle des Handys, die Anrufe signalisiert und Zugriff auf die wichtigsten Telefonfunktionen erlaubt.
Sascha Koesch/Fee Magdanz/Robert Stadler