Handy-Demo Chinesen entdecken Protest per SMS
In der chinesischen Millionenstadt Xiamen scheinen dieser Tage bemerkenswerte Dinge vor sich zu gehen: Die Stadtverwaltung stoppte bis auf weiteres den Bau einer Chemiefabrik, nachdem sich die Sorgen der Bürger in einer SMS-Lawine niedergeschlagen hatten. Die geplante Fabrik sei "wie eine Atombombe in Xiamen", lautet der SMS-Slogan, der sich nach einem Bericht der chinesische Nachrichtenagentur "Xinhua" rasend schnell unter den 1,5 Millionen Einwohnern der Stadt verbreitete.
Bei der umstrittenen Fabrik handelt es sich um ein Projekt der lokalen Firma Tenglong Aromatic PX. Diese will in dem geplanten Neubau jährlich 800.000 Tonnen Paraxylol herstellen. Paraxylol ist ein petrochemischer Grundstoff zur Herstellung von Polyester-Kunststoffen. Bei der Herstellung fallen hochgiftige Abfälle an.
Politiker in der Defensive
Die Vorgänge in der Provinz Fujian bekommen allerdings nicht durch die kolportierten "eine Million Protest-SMS" besondere Bedeutung, sondern durch die Reaktion der zuständigen Behörden. In der Vergangenheit wurden Unmutsäußerungen per Handy-Kurznachricht in China als "böswillige Gerüchte" bezeichnet, deren Verbreitung strafbar ist. Ob und wie die chinesische Politik auf mobile Proteste stillschweigend eingeht, muss unterdessen Spekulation bleiben.
Der aktuelle Rückzieher der Stadtverwaltung von Xiamen vollzog sich dagegen öffentlich und in der defensiven Manier westlicher Politiker, wenn sich eine Entscheidung als extrem unpopulär herausstellt. Xiamens Vize-Bürgermeister Ding Guoyan verkündete die Entscheidung gegen das Projekt nicht nur vor der eigens einbestellten Presse, er übte sich auch in der Kunst des geschmeidigen Zurückruderns. So betonte Ding, dass Planung und Genehmigung der Paraxylol-Fabrik allen "chinesischen Gesetzen und Bestimmungen" entsprächen. Nachdem der Stadtrat "alle Meinungen" gehört habe, so Ding weiter, soll das Projekt jetzt aber trotzdem "re-evaluiert" werden.
Relative Freiheit per SMS
Die Reaktion der Regierenden in Xiamen kann natürlich viele Ursachen haben, und die SMS-Proteste könnten dabei nur ein Faktor von kleiner Wirkung sein. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Fabrik schlicht den Tourismus zur nur sieben Kilometer entfernten Piano-Insel beeinträchtigt. Aber auch wenn sich hier nur andere wirtschaftliche Interessen gegen die Paraxylol-Produktion durchgesetzt haben, dürfte der offizielle Rückzieher dem stillen Protest per SMS Auftrieb verleihen.
Kurznachrichten haben in China schon lange eine besondere Stellung, da die ansonsten strikte Zensur am Handy nicht wirklich greift - die 850 Millionen Mobiltelefone des Landes können nicht einmal die routinierten chinesischen Zensurbehörden genau im Blick behalten. Ein freies und vertrauenswürdiges Medium sind SMS aber trotzdem nicht, schließlich können die Nutzer mangels Vergleich nie wissen, ob es sich bei Nachrichten um Gerüchte oder brauchbare Informationen handelt.
Sascha Koesch / Fee Magdanz / Robert Stadler