iPhone Meine 79 Seiten lange Telefonrechnung
Der Computerkonzern Apple rühmt sich gerne, "ein grünerer Apfel" zu sein. Unter diesem Motto verspricht er, "den Schaden unserer Arbeit und unserer Produkte für die Umwelt ständig zu verringern", etwa, indem die Verpackung des aktuellen iMacs aus 59 Prozent weniger Plastik und 20 Prozent weniger Papier bestehe als früher.

iPhone-Rechnung: Unwichtige Informationen auf 79 eng bedruckten Seiten
Foto: Marc PitzkeÄhnlich strenge Regeln diktiert Apple auch seinen Geschäftspartner. "Zulieferer müssen sich verpflichten, die Umweltbelastung durch ihre Designs, ihren Produktionsprozess und ihre Müll-Emissionen zu verringern", heißt es bei Apple.
Ein Resultat dieser Umweltfreude landete jetzt in meinem Briefkasten. Es war meine erste iPhone-Telefonrechnung, ausgestellt vom exklusiven Apple-Netzpartner AT&T. Sie kam in einem fetten Umschlag, den ich erst für einen Werbeprospekt hielt, und umfasst 79 eng bedruckte Blätter. Nein: 80 Blätter. (Das letzte war, bis auf den Briefkopf, leer.) Längs aneinander gelegt addiert sich das zu einer Länge von 9,20 Meter.
Meine bisherigen Telefonrechnungen, bei meinem früheren Netzanbieter Verizon, waren höchstens acht Seiten lang. Allerdings waren darin die kumulierten Rechnungsdaten von Festnetzanschluss, Handy und DSL-Internetanschluss zusammengefasst. Dann kaufte ich mir ein iPhone und musste notgedrungen von Verizon zu AT&T wechseln. Meine Verizon-Rechnung ist immer noch fünf bis sechs Seiten lang. Doch zusätzlich bekomme ich jetzt eine Rechnung von AT&T.
"Örtlicher Notrufzuschlag": 0,30 Dollar
Und was für eine! Jedes einzelne Gespräch ist säuberlich aufgelistet - obwohl ich ein Gebührenpaket habe, das 2000 "Egal-Wann"-Minuten beinhaltet, mehr als ich je verplappern könnte. Jede einzelne SMS ist säuberlich aufgelistet - obwohl AT&T mir 200 kostenlose Textnachrichten pro Monat gewährt. Jede einzelne Datentransaktion (E-Mail, Internet, YouTube-Programm, Börsenkurse, Wetter) ist säuberlich aufgelistet - obwohl ich unbegrenzte Datennutzung habe.
Die erste Seite der Rechnung ist die einzige, die man braucht - die Zusammenfassung der Kosten und der Zahlcoupon zum Einschicken. Viele US-Kunden zahlen ihre Telefonrechnung auch heute noch postalisch, per Scheck.
Die zweite Seite, kleingedruckt, besteht aus "allgemeiner Information" - eine Art Packungsbeilage über unerwünschte Nebenwirkungen (generelle Säumnisgebühren und ähnliches). Die folgenden eineinhalb Seiten wimmeln nur so von weiteren, konkreteren, doch unergründlich-kryptischen Gebühren. Etwa: "staatliche Servicegebühr" (3,76 Dollar), "Telekom-Aufpreis" (0,84 Dollar), "Regulierungserfüllungsgebühr" (0,86 Dollar), "örtlicher Notrufzuschlag" (0,30 Dollar).
Und dann, hosianna, kommen die Anrufe. AT&T informiert mich, dass ich vom 2. Juli bis zum 1. August exakt 200 iPhone-Telefonate getätigt habe. Inklusive Wochentag, Datum, Uhrzeit, angewählter Nummer, angewähltem Ort, Dauer in Minuten, "Ratenkennung" und Kosten. Gesamtleistung: 792 Minuten, also weit unter dem 2000-Minuten-Pensum. Da ich im Paket zahle, steht unter "Kosten" fast jedes Mal: "0,00 Dollar." Fast 200-mal. Nur internationale Ferngespräche - etwa mit der Redaktion oder meiner Familie - kosten extra.
64 Seiten zur Abrechnung von 0,00 Dollar
Danach: die SMS-Nachrichten. Abermals im Detail (Tag, Datum, Uhrzeit, Nummer). Jede einzelne Nachricht wird gezählt, also jeder Satz eines SMS-Dialogs. Insgesamt sind es 307 Kurznachrichten, also 107 über dem Soll. Macht allein sechseinhalb Seiten Protokoll zur Abrechnung von 5,35 Dollar Extra-Kosten.
Danach: die Datennutzung. Abermals dokumentiert AT&T jeden Vorgang. Jede geladene Website, jede gelesene E-Mail, jeden überprüften Börsenkurs, jede abgerufene Wettervorhersage. Abermals samt Datum, Ort, Uhrzeit und ach so spannenden technischen Angaben wie etwa "KB/min" (übertragene Datenmenge). Wen interessiert das?
Demzufolge habe ich in einem Monat über mein iPhone 3085-mal Websites angeklickt, E-Mails gelesen, Börsenkurse geprüft... Die gesamte übertragene Datenmenge, für alle Korinthenzähler, betrug 391.405 KB. Ist das viel? Ist das wenig? Was bedeutet das? Das Protokoll meiner virtuellen Kommunikation verschlingt den Großteil der Rechnung - 64 Seiten. Die iPhone-Teilsumme, die über diesen Papierwust abgerechnet wurde: 0,00 Dollar. Schließlich ist auch das im Preispaket mit drin.
Die gesamte iPhone-Rechnung beträgt 158,53 Dollar: das 99-Dollar-Paket plus Gebühren plus internationale Ferngespräche plus Extra-SMS. Aber das habe ich schon seit Seite 1 gewusst.
"Scheiß auf deine grüne Attitüde"
Die letzte bedruckte Seite beginnt mit der vielversprechenden, doch angesichts des Blätterwalds in meiner Hand etwas ironischen Ankündigung: "AT&T wird grün." Doch halt, es wird noch spaßiger: "Sie mögen unser neues Rechnungsformat bemerkt haben", gurrt AT&T weiter. "Alle wichtigen Informationen, die Sie brauchen, sind einfacher zu lesen, auf weniger Seiten." Weniger Seiten? Meine eigentliche Rechnung wäre noch länger gewesen?
Aber ich sollte wirklich nicht klagen. Denn offenbar bin ich nicht der Einzige mit ellenlangen iPhone-Sendschreiben. Überall in den US-Medien jammern AT&T-Kunden inzwischen über papierne Traktate von 50, 60 oder 70 Seiten. Es ist schon zum Schießen: Ausgerechnet das iPhone, Wunderwerkzeug des virtuellen Zeitalters, produziert Papierberge, als wäre man noch im Postkutschenzeitalter.
Die Grafikerin und Bloggerin Justine Ezarik aus Pittsburgh bekam eine iPhone-Rechnung für rund 30.000 Einzel-SMS über 300 Seiten. In einem Pappkarton, per Paketpost, Porto sieben Dollar. Ezarik filmte sich damit in einem Coffeeshop, stellte das ins Internet und wurde zum Online-Star. In der ersten Woche wurde das Video 2,5 Millionen Mal angeklickt. Die Internet-Enzyklopädie Wikipedia widmete ihr einen eigenen Eintrag.
74.535 abgeholzte Bäume
"Wir verschicken nicht viele Rechnungen im Karton", versicherte AT&T-Sprecher Mark Siegel der Zeitung "USA Today". Später legte AT&T eine schriftliche Stellungnahme nach, in der es den Kunden empfahl, sie könnten die Papier-Rechnungen gerne abbestellen und stattdessen auf reinen Online-Verkehr umsteigen.
Doch die Kritik an den Riemen-Rechnungen häuft sich - und wird langsam zur Image-Frage, sowohl für AT&T wie auch Apple. "Rechnungen, die wie Bücher aussehen", seien nur eine weitere Macke des iPhones, wie zuvor schon schlechter Kundendienst, notorische Netzprobleme und langsamer Datenfluss, schimpfte der Tech-Analyst Rob Enderle im TV-Sender ABC. "AT&T sollte sich ein neues Motto besorgen", sagte er. "Use AT&T, kill a tree."
Wie viele Bäume für das "umweltfreundliche" iPhone draufgehen, will der Blogger Muhammad Saleem ausgerechnet haben. Sollten tatsächlich bis Ende 2008 zehn Millionen iPhones verkauft werden und jede Monatsrechnung dafür im Schnitt 50 Seiten betragen, so schrieb er, wären das sechs Milliarden Seiten Papier - 74.535 Bäume.
Jedes Jahr verleiht die Marketing-Organisation CMF den Halo Award, einen Preis für brillantes und "gutes" Marketing. Voriges Jahr gewann AT&T die Silbermedaille - für sein papierloses "eBill"-Programm, also die papierlose Abrechnung via Internet. "Der Anreiz war, Bäume zu retten", hieß es in der Begründung, die AT&T auch dafür lobte, für jeden Kunden, der auf die "e-Rechnung" wechselt, einen Dollar an die National Arbor Day Foundation zu spenden, eine Stiftung, die Bäume pflanzt. Aber wie gesagt: Dies ist ein Marketing-Preis.
Am Ende meiner 79-Seiten-iPhone-Rechnung verabschiedet sich AT&T derweil freundlich bis zum nächsten Monat: "Vielen Dank, dass Sie uns geholfen haben, der Umwelt zu dienen."