iPhone-Rivale Blackberry patzt beim Touchscreen-Handy
Wenn man es einem Unternehmen zugetraut hätte, eine Antwort auf Apples iPhone zu erfinden, dann Research in Motion. Seit Jahren dominieren die Kanadier mit ihren Blackberrys den Markt für E-Mail-Mobiltelefone. Begeisterte Fans des Blackberry-Prinzips kaufen treu jedes neue Modell, mal weil es eine verbesserte Tastatur hat, mal weil es mehr Multimedia kann. Und jetzt das.
Ausgerechnet beim Blackberry Storm, jenem Multimedia-Modell, auf das nicht nur die Anhänger des Unternehmens seit Monaten warten, leistet sich das innovative Unternehmen einen kapitalen Patzer. Beim Touchscreen nämlich, jenem Merkmal, das den Storm von allen anderen Blackberrys abhebt, haben die Entwickler so ziemlich alles verkehrt gemacht, was man verkehrt machen konnte.
Dabei hatten sie eine gute Idee. Sie wollten dem berührungsempfindlichen Bildschirm ein wenig von der Haptik einer echten Tastatur wiedergeben. Das Problem liegt auf der Hand: Bei normalen Touchscreens bekommt man keine fühlbare Rückmeldung darüber, ob man beispielsweise einen der virtuellen Buchstaben auf dem Bildschirm gedrückt hat oder nicht. Eine Kontrolle ist nur optisch möglich, blind zu tippen schlicht nicht machbar.
Der Bildschirm gibt nach
Blackberrys aber leben von ihrer Tastatur - zumindest bisher. Bei einem Gerät, mit dem man unterwegs nicht nur eine paar SMS, sondern haufenweise E-Mails empfangen und vor allem versenden soll, muss das Tastenfeld perfekt funktionieren. RIM hat dazu einige gute Ideen gehabt, wie etwa das doppelt belegte SureType-Tastenfeld. Manch Nutzer mag ohne Blackberry-Tastenfeld kaum noch Texte tippen. Der Versuch, diese Technik auf einen Touchscreen zu übertragen, war das Ziel des Storm - und wurde leider verfehlt.
Die fühlbare Rückmeldung für jeden Tastendruck erzeugt der Storm, indem er nachgibt. Das komplette Display ist beweglich aufgehängt, gibt um vielleicht einen Millimeter nach unten nach, wenn man darauf drückt. So wird es quasi zu einer riesigen Maustaste. So weit so gut. Die Art, wie man damit umgehen soll, ist allerdings ausgesprochen umständlich.
Erst sanft auswählen, dann kräftig drücken
Um beispielsweise einen Menüpunkt auszuwählen, muss man diesen zuerst sanft mit dem Finger ansteuern. Das ist eine Art Vorwarnung an das System: "Achtung, diese Taste drücke ich gleich." Der Blackberry hilft dabei zu erkennen, ob man richtig liegt, indem er den jeweils aktiven Menüpunkt oder Buchstaben blau aufleuchten lässt. Um den Menüpunkt zu aktivieren, muss man jetzt aber noch mit dem Finger das Display herunterdrücken. Erst damit wird die Aktion ausgelöst.
Das ist ungefähr so sinnvoll, als würde man genötigt, beim Tippen an der Computertastatur jeden gedrückten Buchstaben mit einem Mausklick zu bestätigen: "Ja, ich wollte diese Taste wirklich drücken."
Ist das noch ein Blackberry?
Das Tippen von Texten wird auf diese Weise zu einem nervenzehrenden, langatmigen Prozess. Da hilft es nichts, dass man die Wahl zwischen drei unterschiedlichen Tastaturvarianten hat: einer Handytastatur, einer typischen Blackberry-Tastatur und einer PC-Tastatur. Alle natürlich nur virtuell, als Bild auf dem Display eingeblendet.
Das Resultat: Von der Idee, mit dem Storm längere E-Mails zu verfassen, nimmt man schnell wieder Abstand. Eine langjähriger Blackberry-User gestand mir nach eingehenden Storm-Spielereien, dass er doch lieber bei seinem jetzigen Modell bleiben wird. Ein echter Blackberry sei der Storm nicht mehr.
Mobile Breitbandformate
Und ein iPhone ist er gerade wegen seines Bildschirms noch viel weniger. Zwar scrollt es sich damit zügig, aber doch etwas ruckelig. Zudem bewegt sich nur etwas, solange man auch den Finger bewegt. Das organische Weiterscrollen und langsame Abbremsen des Apple-Handys fehlt völlig.
Ebenso vermisst man ein W-Lan-Modul für das schnelle Surfen zu Hause oder an Hotspots. Das haben mittlerweile fast alle Blackberrys. Warum es ausgerechnet dem Storm nicht eingebaut wurde, bleibt rätselhaft.
Elf Programme im Download-Center
Auch der eingebaute Browser kann kaum Punkte sammeln. Der Aufruf der Web-Seite von SPIEGEL ONLINE etwa ging regelmäßig schief. Rund eine Minute dauert es bei bester Netzanbindung, bis die Seite angezeigt wurde, doppelt so lange wie beim iPhone 3G. Zudem erzeugte der Browser etliche Darstellungsfehler, die auch bei anderen Seiten auftraten.
Beim ersten Aufruf werden Web-Seiten zudem viel zu klein angezeigt. Immerhin: Zweimal mit dem Finger darauf getippt und der Text wird vergrößert. Aber bitte sanft tippen und nicht den Bildschirm drücken, denn dann passiert nichts. Logisch ist das nicht.
Unlogisch ist auch das Application Center, ein Web-Bereich, aus dem man sich Zusatzprogramme auf den Storm laden kann. Mit Apples App Store sollte man das nicht verwechseln. Ein echter Online-Shop für Blackberry-Software soll erst im kommenden März kommen. Entsprechend dünn ist das Angebot bisher. Insgesamt elf Applikationen sind dort zu finden. Darunter ICQ, eine Flickr-Software und Google Maps. Diese paar Progrämmchen hätte man durchaus auch vorinstallieren können, statt dem Kunden das Herunterladen abzuverlangen.
Surfen wie vor zehn Jahren
Bevor man zum Download des gewünschten Programms vorgelassen wird, muss man zuerst die kompletten Nutzungsbedingungen durchscrollen. Das sind jedes Mal 18 Seiten nerviger AGB-Texte. Hoffentlich wird das im Application Store anders. Sonst wird der sich kaum übermäßiger Beliebtheit erfreuen.
Ohnehin sollte man Downloads nur durchführen, wenn man sich in einem gut mit UMTS oder HSDPA abgedeckten Bereich befindet. Außerhalb dieser Zonen schaltete zumindest unser Testgerät innerhalb des Hamburger Testgebiets stets in den lahmen GPRS-Modus zurück. Das ist Surfen wie vor zehn Jahren. Eine EDGE-Verbindung, die auch ohne UMTS flotte Datenübertragungen ermöglichen würde, wollte zumindest im Hamburger Vodafone-Netz nicht zustande kommen. Mit einer zum Test eingesetzten T-Mobile-Karte hingegen funktionierte EDGE sofort.
Trotzdem ein tolles Telefon
Dabei könnte der Storm ein tolles Telefon sein. Telefonieren nämlich funktioniert damit hervorragend. Die Sprachqualität ist klasse und die Freisprechfunktion taugt sogar fürs Auto, wenn man eine Halterung für den Blackberry hat. Vor allem aber macht der Storm als Multimedia-Player eine gute Figur. Videos beispielsweise kommen auf dem brillanten Display im Querformat wunderbar rüber. Musik lässt sich in etlichen Formaten, darunter MP3, AAC und WMA, abspielen - solange sie nicht kopiergeschützt ist.
Und auch eine Navigationsfunktion fehlt nicht. Die kann man wahlweise mit Google Maps oder mit Blackberrys eigener Kartensoftware nutzen. Letztere hat den Vorteil, dass sie eine recht brauchbare Navigationsfunktion bietet, ein echtes Navi durchaus ersetzen kann.
Gaaaaanz laaaangsam schwenken
Die integrierte Digicam allerdings wird eine richtige Kamera so schnell nicht ersetzen können. Weit besser als die Durchschnittskost der Kamerahandys ist sie aber allemal. Daran hat vor allem der Autofokus seinen Anteil, der Motive zuverlässig und schnell scharfstellt. Zwischen dem Druck auf den Auslöser und der Belichtung des Foto-Chips vergehen dann aber doch manchmal Sekunden, die das sonst positive Bild etwas trüben.
Geschwindigkeit aber ist ohnehin keine Stärke des Storm. Der Aufruf von Programmen, das Vergrößern von Web-Seiten und die Navigation durch die Menüs dauern einfach zu lange. Fast unerträglich träge ist der Beschleunigungssensor. Wie bei einigen Handys und Kameras soll er den Bildschirminhalt drehen, je nachdem, ob man das Gerät hochkant oder horizontal hält. Das tut er auch zumeist. Allerdings mit einer Verzögerung, die oft mehrere Sekunden dauert.
Mit oder ohne Vertrag?
Über Speicherplatz muss man sich als Storm-Anwender dagegen keine Sorgen machen. Eingebaut ist rund ein Gigabyte, genug für Hunderte Fotos, Songs, ein paar Videos und enorm viele Adressen und Telefonnummern. Sollte das nicht reichen, steckt man einfach noch eine microSD-Speicherkarte ein. Die gibt es seit kurzem mit Kapazitäten von bis zu 16 Gigabyte. Bei Vodafone kann man den Storm gleich mit einer solch üppigen Karte bestellen, muss dafür einen günstigen Aufpreis von 30 Euro einkalkulieren.
Mobile Breitbandformate
Womit wir bei den Preisen wären. Derzeit gibt es den Blackberry Storm exklusiv bei Vodafone. Je nach Vertrag, den man beim Kauf abschließt, werden zwischen einem und 200 Euro für das Handy fällig. In Verbindung mit dem Vertrag Superflat summieren sich die Gesamtkosten über den Vertragszeitraum von zwei Jahren auf 975 Euro. Darin enthalten sind der Storm, der Mobilfunkvertrag, ein Datenvertrag und die von Vodafone geforderte Anschlussgebühr. Alternativ kann man den neuen Blackberry auch ohne Vertrag bekommen, zahlt einmalig 480 Euro.
Flaute
Ein iPhone-Killer ist der Storm nicht. Möglich, dass Hersteller RIM die gröbsten Schnitzer per Software-Update ausmerzt und dabei auch noch die Geschwindigkeit verbessert, doch vorerst bleibt der Sturm aus. Mehr als ein laues Lüftchen kann der Touchscreen-Blackberry nicht erzeugen - auch wenn sein Name anderes verspricht.
Wer einen wirklich guten Blackberry als E-Mail-Handy mit Multimediafunktionen haben will, sollte lieber einen Blick auf den erst vor einer Woche eingeführten Curve 8900 werfen. Der hat im Gegensatz zum Storm sogar W-Lan an Bord, ist kleiner und viel leichter als sein großer Touchscreen-Bruder.
Vor allem aber hat er, was ein echter Blackberry offenbar eben doch noch braucht: eine richtige Tastatur.