CCC-Treffen in Hamburg Hacker auf Klassenfahrt

Besucher auf dem CCC-Kongress: Wohlfühlkonferenz mit Sofas, Sitzkissen und megaschnellem Netz
Foto: Axel Heimken/ picture alliance / dpaIhre Welt, das muss man den Hackern lassen, sieht einfach gut aus: Es blinkt, leuchtet und fiept in jeder Ecke. Da ruckelt Rohrpost an der Decke entlang, und eine Frau im Kapuzenpulli lässt per Fernsteuerung einen aufgeblasenen Hai-Luftballon durch die Flure fliegen. Die Leute sind verspielt und auch noch nett zueinander.
Das ist nicht selbstverständlich, denn der alljährliche Kongress des Chaos Computer Club (CCC) ist zum größten Treffen von Internetaktivsten und Hackern in Europa angewachsen. 12.000 schlurfen in diesem Jahr über den Teppich vom Hamburger Congress Centrum. Der Kongress, so sagt es Mitorganisator Linus Neumann, ist mittlerweile "eine der politischen Großveranstaltungen in Deutschland".
In diesem Jahr, zur 32. Auflage des Chaos Communication Congress, geht es um "gated communities", geschlossene Gemeinschaften im Netz und auch sonst. Vier Tage werde, so die Außenwahrnehmung, über Bürgerrechte und Freiheit im Netz diskutiert.
Gäbe ja auch viel zu bereden: In der Politik lief zuletzt vieles gegen die Interessen der Aktivisten. Außerdem greifen die Tech-Giganten nach immer mehr Macht, vernetzt das Internet der Dinge den Alltag, und eine Flüchtlingskrise, Stichwort "gated communities", gibt es ja auch noch.
Schlurft man eine Weile mit über den Teppich im Hamburger CCH, merkt man allerdings: Um Politik geht es hier irgendwie gar nicht. Nur: worum dann?
Polit-Quatsch, Cyberclown, Klassenfahrt
Im "Jahresrückblick" der Sprecher des CCC ein Einblick: Manche der Sprecher beteiligen sich ja sehr wohl an den politischen Debatten, schreiben Meinungsartikel, sitzen auf Podien, beteiligen sich an Klagen. Wir kümmern uns schon um das Schwarzbrot, lautet ihre Botschaft in ihrem zweistündigen Vortrag.
Ihrer Community präsentieren sie hier vergangene Veranstaltungen und Pressemitteilungen, bevor Sprecherin Constanze Kurz sagt: "Von dem Polit-Quatsch haben wir uns dann Urlaub genommen", sie fährt einen Film ab.
Der fünfminütige Clip ist vom schönen Sommerlager des Clubs, das im platten Brandenburg gefeiert wurde. Tosender Applaus. Wie auch bei der Begrüßung um halb 12: "Schön, dass ihr so früh da seid!" Man feiert sich selbst, johlt aber auch bei den Seitenhieben auf den Innenminister (dessen Frage, ob er die Krisennummer des CCC bekommt, in ein lustiges Elektrolied gemischt wird), oder den designierten BSI-Chef ("Cyberclown"). Das war es dann aber auch mit dem Polit-Quatsch.

32C3: Die bunte Welt der Hacker
Es ist Klassenfahrt, das Gemeinschaftsgefühl wird gestärkt, im Zweifel gegen die Ignoranten da draußen. Wenn es da draußen schon so mies läuft, halten wir zusammen. Keine Debatte nach dem Jahresrückblick, keine Debatte nach dem Vortrag zum VW-Abgasskandal, zumindest nicht im Saal.
"Endlich mal normale Leute", so antworten wortgleich mehrere Besucher, wenn man sie fragt, was sie auf dem Kongress suchen. Unter den Gleichgesinnten gilt: Überwachung ist schlecht, Freiheit ist gut, die Partys nachts sind es auch. Worüber also noch diskutieren? "Wir bauen uns für fünf Tage unser eigenes Utopia", sagt dann auch CCC-Sprecher Neumann, ein freundlicher Berliner mit St.-Pauli-Kappe.
Der Kongress ist eine Wohlfühlkonferenz mit Sofas, Sitzkissen und megaschnellem Netz. Daniel Domscheit-Berg, der mal mit WikiLeaks die US-Regierung blamierte, sah man auf dem Kongress beim Löten mit Kindern. Es wirkt wie ein Rückzug ins Wellness-Bällebad. Es gibt, auf dem Pappteller, auch ayurvedische Gemüsepfanne für acht Euro.
"Die Leute wollen eine politische Kraft sein, wissen aber nicht wie"
Die Selbstzufriedenheit steht in einer gewissen Spannung zu den Entwicklungen in Politik und Wirtschaft. Die Vorratsdatenspeicherung, das absolute No-Go für die hier Versammelten, ist seit zwei Wochen in Kraft, in der Wirtschaft grassiert der Datenrausch. "Wir tun schon unser Bestes", sagt Neumann. "Schreib aber auch: Wir sind weit davon entfernt aufzugeben."
Natürlich gibt es auch Vorträge zum NSA-Ausschuss, aber vor allem geht es, wie eh und je, viel um Technik. Da zerlegten zwei Leute das nordkoreanische Betriebssystem, ein anderer referiert, wie er im Code eines VW-Motorsteuergeräts nachwies, wie die Abgasmanipulation programmiert wurde, und über die Probleme von 125-Kilohertz-Transpondern der Marke Hitag S erfährt man auch etwas (sofern man denn möchte). Der Mann hinter dem VW-Hack, Felix Domke, sagt, er komme "wegen der Technik" hierher.
Es sind fast ausnahmslos Referate, ohne Zwischenfragen, ohne Debatte, dafür mit viel Applaus. Es genügt, hier zu sein - oder zu zeigen, dass man schon vor Jahren dabei gewesen ist. Shirts früherer Kongresse sind der Style der Saison.
Die ungewöhnliche Keynote-Rede
Einer der wenigen, die Sakko tragen, sagt: "Die Leute hier wollen schon eine politische Kraft sein, sie wissen aber nicht wie." Martin Delius saß mal auf einer Brücke zwischen Hacker-Community und Politik - er war einer der Köpfe der Piratenpartei. Die Piraten sind aber am Ende. Delius, einer der wenigen Politikprofis in ihren Reihen, kehrte der Partei kürzlich den Rücken. "Die CCC-Community hat keine Partei, die sie vertritt", sagt er.
Und auch ein politischer Auftritt wie die diesjährige Keynote entfaltet so keine große Wirkung.
Auf der Bühne stand bei ebenjener Eröffnungsrede Fatuma Musa Afrah, gerade nach Deutschland geflüchtet, eine schwarze Frau aus Somalia, mit Kopftuch und langem Rock, die auch, wie sie mehrfach betonte, keinerlei Ahnung von Technik oder Internet habe. Das allein war schon ein gutes Bild, weil man ansonsten wenige Schwarze, geschweige denn Kopftücher, auf dem CCC-Kongress sieht.
Die Rednerin bekam auch viel Applaus, wenn sie Sätze sagte wie: Wir müssen uns gegenseitig unterstützen. Oder: Wir müssen uns respektieren. Wer würde da widersprechen?
Neumann, auf dessen Initiative Afrah eingeladen wurde, sagt: "Man kann nicht anders, als beim Thema gated communities die Frage der Geflüchteten zu stellen." Aber in der Frage fällt den Hackern auch nicht viel mehr ein als zu sagen: Internetzugang ist ein Menschenrecht (was Freifunk-Aktivisten ja versuchen durchzusetzen, mit unterschiedlichem Erfolg). Neumann sagt: Wir sind zu groß, um eine klarere Position zur aktuellen Politik formulieren zu können als 'So nicht!'"
Der 32-Jährige sagt, man vermittle beim CCC Werte, damit sorge man dafür, dass die Hacker nicht auf die dunkle Seite wechseln. "Wir haben hier die Programmierer von Facebook sitzen, wir haben hier die Leute, die Sicherheitssysteme bauen und kaputtmachen."
Keine Frage, beim Hackerkongress treffen sich Menschen, die Einfluss haben auf unsere vernetzte Welt. Aber was wollen sie anfangen mit ihrer Macht?