
Kongress des CCC Hacker unter sich
- • Vorratsdatenspeicherung: Sie ist wieder da
- • Netzneutralität: Europaparlament beschließt umstrittene Internet-Regeln
Es war ein mieses Jahr für die Hacker und Netzaktivisten, jetzt wird gefeiert. Zur Jahreskonferenz des Chaos Computer Clubs (CCC) wird im Congress Center Hamburg neben den Vortragssälen eine riesige Partyzone aufgebaut, mit Diskokugeln und vielen Bars, denn der ein oder andere IT-Spezialist dürfte nach diesem Jahr einen starken Drink gebrauchen können.
Politiker haben 2015 Dinge beschlossen, gegen die in der Szene seit Jahren ausdauernd gekämpft wird. Dinge, bei denen alle guten Argumente der Experten offenbar ungehört verhallten. Die Vorratsdatenspeicherung wurde in Deutschland wieder eingeführt, die Netzneutralität wurde auf europäischer Ebene beschränkt und anstatt im dritten Jahr nach Snowdens ersten Enthüllungen endlich den Geheimdienstssumpf trockenzulegen, scheint der immer tiefer zu werden.
Die IT-Experten mussten zusehen, wie Großbritannien auf die Snowden-Enthüllungen reagiert, nämlich mit Plänen für noch mehr Überwachung und weitreichenden Befugnissen für die Geheimdienste. Sie mussten zuhören, wie die Sicherheitsbehörden nach den Terroranschlägen in Paris trotz ihres eigenen Versagens noch mehr Befugnisse für sich forderten. Und wie hochrangige Politiker forderten, verschlüsselte Kommunikation abzuschaffen oder Regierungen mit einem Generalschlüssel auszustatten, damit sie im Zweifel alles lesen können, was ihre Bürger so schreiben.
"Die Politiker haben uns unseren Platz gezeigt"
Überhaupt wurde viel gesagt und beschlossen in diesem Jahr, überwiegend von Menschen, die wesentlich weniger Ahnung von IT-Sicherheit und der digitalen Welt haben als diejenigen, die sich in diesen Tagen in Hamburg treffen. Die Hacker hörten, wie der EU-Digitalkommissar Günther Oettinger eine intensivere Überwachung des Internets durch Geheimdienste forderte und Sätze sagte wie: "Wichtiger als Datenschutz ist Datensicherheit."
Und gegen Ende des Jahres mussten sie noch erfahren, dass Innenminister Thomas de Maizière als neuen BSI-Chef Arne Schönbohm vorschlägt, der in Fachkreisen als "Cyberclown" verspottet wird, wie CCC-Sprecherin Constanze Kurz schreibt. Die Hacker müssen also befürchten, dass auch an dieser wichtigen Stelle womöglich jemand an die Macht kommt, der weniger Ahnung von der Sache hat als sie.
"Die Politiker haben uns in diesem Jahr unseren Platz gezeigt", sagt der Netzaktivist Stephan Urbach zum Congress-Auftakt, "ich hoffe, man hört den Sarkasmus in meiner Stimme." Gefeiert werden könne aber trotzdem oder gerade: Denn hier im Congress Center trifft sich in diesen Tagen eine Szene, die sich zumindest gegenseitig einigermaßen versteht.
Selber denken, selber diskutieren, selber basteln
Und diese Szene ist gar nicht mehr so klein: 12.000 Besucher erwarten die Veranstalter in diesem Jahr, damit ist der CCC-Congress so groß geworden wie etwa die amerikanische Hackerkonferenz Defcon in Las Vegas; zu den wichtigsten Fachtreffen der Welt zählt der Congress ohnehin längst.
"Gated Communities" lautet diesmal das Motto, in Anspielung auf die abgeschotteten Wohnkomplexe, die es übertragen auch in der digitalen Welt gibt: Nutzer verschreiben sich einem bestimmten Anbieter, sei es Apple, Google, Facebook oder sonstwer - und liefern sich dessen Bestimmungen aus. Dadurch bekommen sie nur noch einen bestimmten Teil der Welt zu sehen.
"Google News beschließt, was nachrichtenwürdig ist, YouTube beschließt, was angesehen werden darf, Apple beschließt, welche Apps im AppStore zugelassen sind", erklärt CCC-Sprecher Dirk Engling. "Und auch wir selbst erschaffen uns eine Filterbubble, zum Beispiel auf Twitter, wo in unserer Timeline vielleicht alle derselben Meinung sind und ein wütender Mob per Shitstorm alle vertreibt, die eine andere vertreten."
Obwohl auch der CCC-Congress eine eigene große Filterbubble bildet, sollen die Teilnehmer hier in den kommenden Tages doch über den Tellerrand schauen, wünschen sich die Veranstalter. "Der Congress gibt uns Raum, Dinge selber zu machen, selber zu diskutieren, selber zu denken, selber zu entscheiden und selber basteln zu können", heißt es in einem Blogeintrag zum Motto, "unsere eigene Gated Community hilft uns gegen allerhand Bullshit-Bingo der Außenwelt."
Vorträge lassen sich auch online ansehen
Bleibt zu hoffen, dass sich die Hackergemeinde nicht selbst zurückzieht in diese "eigene Gated Community" und sich abwendet von der Politik, die nicht in ihrem Sinne entscheidet und von einer Bevölkerung, die offenbar nur wenig von den netzpolitischen Entwicklungen überblickt, sondern in weiten Teilen die technischen Möglichkeiten blind nutzt, statt sie mitzugestalten.
Es liegt an den IT-Experten selbst, ihre - womöglich weniger informierten - Mitmenschen mitzunehmen in diesen Tagen, in denen es in den Vorträgen über Verschlüsselung und Datenlecks, über Geheimdienstkontrolle, Sicherheitslücken und sperrige politische Verordnungen geht. Wenn ihnen das gelingt, wird 2016 netzpolitisch gesehen vielleicht ein besseres Jahr. Und die Argumente der Hacker bekämen vielleicht mehr Gewicht als in den vergangenen zwölf Monaten.
Das gesamte Congress-Programm findet sich hier. Wer nicht in Hamburg vor Ort ist, kann sich die einzelnen Vorträge auch im Internet ansehen - live oder nachträglich als Aufzeichnung. SPIEGEL ONLINE ist vor Ort und wird an allen vier Konferenztagen berichten.
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Congress Center Hamburg am Tag vor der Eröffnung: Sonntag bis Mittwoch wird hier zwischen den Jahren gebastelt, gelernt, diskutiert und gefeiert. 12.000 Besucher hat der Chaos Computer Club zur diesjährigen Jahreskonferenz (32C3) erwartet.
Lichtkunst: Besucher vor einer Kunstinstallation aus erleuchteten Plastikboxen.
Feierzone: Am Vorabend des 32C3 sind die meisten Bars noch geschlossen. In den folgenden Tagen kann der ein oder andere IT-Spezialist nach diesem Jahr aber wohl einen starken Drink gebrauchen.
Kabelbaum: Die Treffen der Hacker sind bekannt für ihre ausgefallenen Kunstwerke und Beleuchtungskonzepte. Diesmal ist es ziemlich grün im Hamburger Congress-Centrum: Bäume und Pflanzen machen das große Tagungsgebäude zum Garten - oder zum Dschungel?
Vorträge, Vorträge, Vorträge: Zeitgleich erklären in mehreren Sälen parallel die Experten, woran sie das Jahr über gearbeitet haben. Hier zu sehen ist der Sicherheitsforscher Sergey Gordeychik, der sprich über mögliche Angriffe im Schienenverkehr.
Viele Diskokugeln: Es blinkt und funkelt im Congress Centrum. Mit jedem Tag kommen mehr Lichter und Kunstprojekte hinzu.
In der Lounge: Hier wird nachts gefeiert. Diesmal haben die Veranstalter einen futuristischen Campingplatz aufgebaut, mit Wohnwagen und Wohnmobilen. Das erinnert nicht nur an den Film "Spaceballs", sondern manchen Partygast vielleicht auch an das Hacker-Camp, das ebenfalls in diesem Jahr stattgefunden hat.
Ab geht die Post: Wie in den Vorjahren gibt es auf dem Gelände ein Rohrpostsystem, das unter dem Namen Seidenstraße bekannt ist.
Hacker-Halle: In diesem Jahr ist das Congress Center besonders gut besucht und restlos ausverkauft. Nicht jeder, der ein Ticket wollte, hat auch eins bekommen.
Zu sehen gibt es auch Pixelkunst - in diesem Fall passen sich die Pixel dem Geschehen vor dem Bildschirm an. "Zeig mir deine Farben und Lichter. Ich mache Farben und Lichter draus", steht auf dem Zettel hinter der Apparatur, die aus einer Kamera, Papierröhren und einem Fernseher besteht.
Willkommen im Internetkurort: Als neuer Besucher kann man sich im Congress Center leicht verirren, das Gebäude ist recht weitläufig.
Raumschiff-Optik: Ein Verbindungsgang im Erdgeschoss.
Holzhütte mit Projektion: Vom lärmenden elektronischen Weihnachtsmann bis zum Wildschweinkopf ist beim 32C3 fast jedes Accessoire erlaubt.
Etwas zum Anfassen und Anschauen: Die Kinder der Hacker können auf dem Gelände mit Sand spielen, der mit mehreren Farben angestrahlt wird. Ebenso gibt es ein Bällebad.
Jahresrückblick des Chaos Computer Clubs: Frank Rieger, Constanze Kurz, Erdgeist, Nexus und Linus Neumann (v.l.) blicken auf die vergangenen zwölf Monate zurück.
Aus CCH wird CCC: Jedes Jahr machen die Hacker schon am Gebäudenamen deutlich, wer dort gerade zu Gast ist.
Und Sonntagabend wird sogar das benachbarte Radisson-Hotel genutzt, um auf den 32C3 aufmerksam zu machen. Dass auf unseren Bilder keine Menschen zu sehen, ist übrigens kein Zufall: Die Hacker haben relativ strikte Regeln, wenn es ums Fotografieren im Congress Centrum geht.
Hacker-Spielzeug: Die Besucher haben alles mögliche mitgebracht, das sie vor Ort den anderen vorstellen und an dem sie gemeinsam herumbasteln können.
Schattenspiele: Hier spielen Besucher mit ihrem digitalem Spiegelbild, das die von einer Kamera aufgenommenen Umrisse der Spieler in Steuerbefehlen für Computer darstellt.
Saal 1: Der größte Vortragsraum wird regelmäßig rappelvoll, nicht nur zur Eröffnungsveranstaltung wie hier.
Tüfteln: Der Congress ist aufgeteilt in verschiedene Bereiche und Nischen, in denen die Gruppen sich zum Teil mit ganz bestimmten Themen auseinandersetzen. Es wird an Hardware gelötet oder Code geschrieben, über Netzpolitik diskutiert oder Bier getrunken.
Spaß am Gerät: Congress-Besucher beim Flippern.
Held der Hacker: Teilnehmer haben mit einem 3D-Drucker eine Büste des Whistleblowers Edward Snowden ausgedruckt.
Kreatives Chaos: Auf einem Tisch im CCH liegen Lötkolben, Netzstecker, Computerkabel und Leuchtkabel herum.
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