»Alles ist eins. Außer der 0« Der erste Erklärbär der deutschen Hackerszene

Wau Holland: Selbsternannter »Datenkünstler und Bitschmied«
Foto:Neue Visionen Filmverleih
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Das freundliche Gesicht des Hackers ist das eines Waldschrats. So zumindest beschreibt Peter Glaser liebevoll den Mitgründer des Chaos Computer Clubs (CCC), Wau Holland. Glaser ist der Erzähler im Dokumentarfilm »Alles ist eins. Außer der 0« von Klaus Maeck und Tanja Schwerdorf, der am 29. Juli ins Kino kommt. Als Schriftsteller und ehemaliger Chefredakteur der CCC-Zeitschrift »Die Datenschleuder« ist der Österreicher Glaser die perfekte Stimme, um die Entstehungsgeschichte des Clubs zu beschreiben.
Das perfekte Bild dafür zeigt das bärtige, rundliche Gesicht von Herwart Holland-Moritz alias Wau Holland. Er war Mitgründer des Chaos Computer Clubs und der »Datenschleuder«, Technik-Kolumnist der »taz«, Aktivist und Freidenker. Holland starb im Juli 2001 an den Folgen eines Schlaganfalls im Alter von 49 Jahren. Sein Todestag jährt sich nun also zum 20. Mal, das ist der Anlass für den filmischen Rückblick auf sein Leben und auf das, was von seinem Werk geblieben ist.
Seine immer respektvolle, aber augenzwinkernde Art, das Wesen des Hackens zu erklären, nimmt weite Teile des Films ein. Wau Holland war demnach ein Lehrer, aber kein Oberlehrer. Ein rastloser, selbst ernannter »Datenkünstler und Bitschmied«, der Erklärbär der deutschen Hackerszene in den Achtzigerjahren.
»Der Schockwellenreiter« und die Spontis
Glaser zählt zunächst auf, was Holland und die ersten deutschen Hacker beeinflusst hat: Vom Science-Fiction-Roman »Der Schockwellenreiter« und der »Illuminatus«-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson über den LSD-Papst Timothy Leary und den Whole Earth Catalogue bis zur Antiatomkraftbewegung und Spontis war so ziemlich alles dabei, was irgendwie Gegenkultur war. Trotzdem mündete all das in einer geradlinigen Antwort auf die Frage, was eigentlich ein Hacker ist: »Ein Hacker ist ein Mensch, der versucht, gerade beim Umgang mit Techniken rauszufinden, was man sonst noch damit machen kann«, so drückte es Wau Holland aus.
Das klang harmlos und unschuldig, zumal zu einer Zeit, als Computer und Netzwerke wirklich noch Neuland waren, in dem man sich »umgucken« konnte wie in einem Kaufhaus, auch das ein Vergleich von Holland. Doch dann veränderte sich die digitale Welt und mit ihr die Rolle der Hacker. Der Film zeigt das, erklärt es aber nur teilweise.
Die frühen Konflikte und Krisen des Clubs werden zwar benannt: die versuchte Kriminalisierung von Hackern, der dann tatsächlich kriminelle KGB-Hack um Karl Koch und der Fall Tron – zwei tote Hacker, die nicht zuletzt Wau Holland tief erschütterten. Es wird auch klar, dass plötzlich das Spielerische der Hacker mit der Welt der Geheimdienste kollidiert war, und mit denen, das wusste Holland »kann man nicht spielen«. Glaser sagt: »Der KGB-Hack war die Vertreibung aus dem Hackerparadies.«
Aber mit dem Tod des Sympathieträgers Holland kurz vor 9/11 und dem dann folgenden Zeitalter der Überwachungsgesetze endet auch der Erzählfluss des Films. Was folgt, ist ein harter Schnitt in die durchdigitalisierte Welt von heute. In schneller Folge geht es um Biometrie und Staatstrojaner, WikiLeaks und Whistleblower, um Google und Facebook. Also um Macht und Kontrolle, Überwachung und Tracking. Das einstige Neuland gehört jetzt den großen Konzernen, Militärs und Regierungen. Sie beschäftigen selbst Hacker, die mit einem liebenswerten Waldschrat aus der Gegenkultur wenig gemein haben. Diese Entwicklung wird im Film nicht weiter thematisiert. Aber zumindest wird klar, wie wenig diese Seite des Hackens mit Wau Hollands von Neugier getriebener Technikbegeisterung gemeinsam hat.
»Strange people with strange machines«
Der größtmögliche Kontrast zu den unbekümmerten Anfängen des CCC ist dann diese Szene: Die Club-Sprecherinnen und -Sprecher sitzen 2017 auf ihrem Jahreskongress nebeneinander auf der Bühne und loben mit geradezu staatstragender Miene eine »sehr schöne« Protestaktion gegen ein Pilotprojekt zur automatischen Gesichtserkennungssoftware am Berliner Bahnhof Südkreuz.
20 Jahre nach dem Tod von Wau Holland ist der CCC ein Leuchtturm im gesellschaftlichen Diskurs zur Digitalisierung. Bei allem »Spaß am Gerät«, den sie bis heute postulieren: Die deutschen Hacker warnen zuverlässig vor Untiefen, die andere nicht kommen sehen. Sie sind nicht mehr nur – wie Holland einst sagte – »strange people with strange machines«.