
Smart-Meter-Protest: Widerstand im Wohnwagen
US-Bürger wehren sich gegen Stromzähler Widerstand im Wohnwagen
Wenn Chris Turner aus Washington D.C. abends ins Bett will, geht er aus seinem Wohnzimmer in den Garten und legt sich in seinen Wohnwagen. Seit anderthalb Jahren weigert er sich, in seinem Haus zu schlafen. Der Grund hängt an dessen Außenwand: ein sogenannter Smart Meter, ein intelligenter Stromzähler. Er misst Turners Energieverbrauch bis ins kleinste Detail und könnte einiges verraten: Wann ist jemand zu Hause? Welche Geräte werden benutzt? Was läuft im Fernsehen? Chris Turner fühlt sich überwacht.
Der 48-jährige Anwalt würde den Zähler am liebsten von der Wand reißen und gegen seinen alten, analogen austauschen. Doch das ist verboten. Der Smart Meter wurde ohne Turners Einwilligung angebracht: "Im Sommer 2012 war ich für einen Monat verreist und als ich wiederkam, sagten mir Bekannte, die Smart Meter seien nun in Betrieb", erzählt er. "Dann stieg meine Stromrechnung, es war seltsam." Er habe mit seinem Stromversorger Kontakt aufgenommen und parallel herausgefunden, "dass es Menschen überall in den USA, in Kanada und Australien gab, die sich über steigende Rechnungen, aber auch Feuer und gesundheitliche Probleme beschwerten nach der Installation eines Smart Meter."
Hüte aus Alufolie?
Auch Turner sagt, dass er seither unter körperlichen Beschwerden leidet. Er klagt über Kopfschmerzen, Tinnitus und Schlafprobleme. Er führt das auf die elektromagnetische Strahlung zurück, die der Smart Meter aussendet, wenn er im Sekundentakt Daten an den Stromversorger funkt. Turner wollte nicht mehr in der Nähe von diesem Ding schlafen. Er begann, bei Freunden zu übernachten, die noch keinen Smart Meter am Haus hatten, zeltete manchmal in seinem Garten. Im Herbst kaufte er sich schließlich einen Wohnwagen.
Der silberne Trailer steht nun auf Turners Wiese wie ein Ufo. Es wäre leicht, den Anwalt als paranoiden Verschwörungstheoretiker abzutun, der sich gegen die Strahlung vermutlich Hüte aus Alufolie bastelt - immerhin gibt es bis heute keine Belege für gesundheitliche Schäden durch Elektrosmog. Aber Turner ist Teil einer landesweiten Bewegung. Auf seiner Internetseite wettert er gegen den städtischen Energieversorger Pepco, verteilt Flyer bei politischen Veranstaltungen und unterstützt andere Aktivisten juristisch.
Die Anti-Smart Meter-Bewegung wächst so rasant wie das Smart-Meter-Netz. Mittlerweile hat sie sogar ihren eigenen Film: "Take Back Your Power " von Regisseur Josh del Sol. Der Filmemacher dokumentiert die Aktionen der Aktivisten, spricht mit Experten und versucht - vergeblich - Stellungnahmen der Energieversorger zu bekommen. Josh del Sol, der in der Nähe von Seattle lebt, schätzt, dass mittlerweile eine Million Menschen der Bewegung in ganz Nordamerika angehören, es gebe Aktivistengruppen in mehr als 40 Staaten. "Einige Gegenden sind sehr aktiv", sagt del Sol, "zum Beispiel British Columbia, wo von 1,8 Millionen Haushalten 200.000 den Smart-Meter-Einbau verweigert haben."
"Warum wird dieses Thema nirgends disktutiert?"
Del Sol, der früher Webentwickler war, erklärt, er habe sich gefragt: "Warum wird dieses Thema nirgends diskutiert?" Er begann, gemeinsam mit einem Kameramann Interviews zu führen. "Ich selbst wurde durch die Arbeit an diesem Film zum Aktivisten."
Auch in Europa gibt es Widerstand gegen die intelligenten Zähler. In einigen europäischen Ländern wie Italien oder Schweden sind die neuartigen Messgeräte längst da - und mit ihnen auch der Kampf gegen sie. In den Niederlanden wurde die Einführung gestoppt, weil sie gegen Datenschutzrichtlinien verstoßen. In Deutschland gibt es bislang nur Pilotprojekte. Die neuen Zähler flächendeckend einzuführen, sei derzeit nicht sinnvoll, so das Ergebnis einer Studie von Ernst & Young (PDF) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums. Sinnvoller sei, zunächst nur Verbraucher, die viel Strom benötigen, mit Smart Metern auszustatten.
In den USA wird der Kampf von Befürwortern und Gegnern der Technik immer härter. Wer sich in Washington D.C. gegen den Einbau wehrt, den setzt man mittlerweile auch mal unter Druck. Das Energieunternehmen Pepco hat hier das Monopol auf die Stromversorgung. Nur wenige Politiker legen sich mit dem Konzern an. Die Lokalpolitikerin Acqunetta Anderson ist eine der wenigen. Im Dezember 2013 riefen besorgte Bürger aus ihrem Wahlkreis bei ihr an: "Eine Woche vor Weihnachten", erzählt Anderson, "entschied sich Pepco dazu, Briefe an Privatkunden zu verschicken. In diesen Briefen stand: Sollten die Kunden Pepco den Zutritt zu ihren Grundstücken verweigern, und die Smart-Meter-Installation verhindern, kann es passieren, dass ihnen der Strom abgestellt wird." Anderson kontaktierte Pepco umgehend, das Unternehmen lenkte ein.
Tür eingetreten
Pepco ist nicht der einzige US-Versorger, der ruppig wird, wenn Bürger sich wehren. Im Internet kursieren Videos, auf denen zu sehen ist, wie Angestellte von Energiekonzernen sich gewaltsam Zugang zu Häusern und Grundstücken verschaffen. Mal treten Mitarbeiter eine Tür ein , ein anderes Mal ist die Polizei dabei und schützt die Installateure vor den Hauseigentümern. Das rührt am Selbstverständnis vieler US-Bürger: Was auf ihrem Grund und Boden und mit ihrem Eigentum passiert - das wollen sie immer noch selbst entscheiden.
Chris Turner wird die flächendeckende Einführung der Geräte in den USA kaum verhindern können, das weiß er. Er will deshalb zumindest einen sogenannten Opt Out in Washington D.C. erreichen: Bürger sollen sich gegen eine Gebühr "freikaufen" und ihren analogen Zähler behalten können. Genau dies ist einige Straßen von Turners Haus entfernt möglich: In dem Teil Washingtons, der nicht zum District of Columbia, sondern zum Staat Maryland gehört, können die Einwohner sich mittlerweile gegen einen Smart Meter und für ihr altes Gerät entscheiden. Die Wahlmöglichkeit ist ganz offiziell in den Verordnungen des Bundesstaats verankert. Die Anti-Smart-Meter-Aktivisten von Maryland haben sie erkämpft.