Sascha Lobo

S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine Die verdorbenen Dienste

Der BND überwacht die Türkei und hat amerikanische Politiker abgehört - und keiner will es gewusst haben. Der Fall zeigt: Die deutschen Spähdienste bewegen sich offensichtlich außerhalb demokratischer Kontrolle.

Man hätte schon im April 2012 eine Augenbraue hochziehen können, als der damals neue BND-Chef Gerhard Schindler in einem Interview zu Geheimdienstoperationen sagte: "Auch hier gilt: No risk, no fun!"

Vielleicht nur die Sorte Flapsigkeit, mit der Beamte in Interviews zeigen, wie unglaublich modern sie sind. Eigentlich aber handelt es sich um den Spruch eines notorischen Spielers. Sicher wünscht Schindler sich inzwischen, diese Albernheit nicht gesagt zu haben - denn die weltweite Geheimdienstmaschinerie ist nicht nur spähsüchtig. Sie hat auch wie ein Spielsüchtiger jedes Maß für Risiken verloren.

Vordergründig ist Mitte August eine diplomatische Doppelbombe detoniert. Der BND überwacht nicht nur den Nato-Partner Türkei. Der risikofreudige Auslandsdienst hat auch - angeblich zufällig als "Beifang" - sowohl die ehemalige US-Außenministerin Clinton wie auch den amtierenden US-Außenminister Kerry abgehört.

Die Verdorbenheit der Geheimdienststrukturen

Für die Überwachung von Zielen in der Türkei könnte es eine Reihe guter Gründe geben, das Land entfernt sich seit Jahren von einem Rechtsstaat, nirgendwo sitzen mehr Journalisten im Gefängnis, und die Türkei hat ein Extremismusproblem. Beide Spähvorgänge aber haben eine tiefere Bedeutung, die über die diplomatische Verstimmung weit hinausgeht. Sie entfalten im Hintergrund eine ungünstige und eine katastrophale Qualität.

Ungünstig ist, dass der dringend notwendige politische Druck gegenüber den USA in Sachen Totalüberwachung eine lächerliche Komponente bekommt. Zwar geht es weniger um die Überwachung der Politik, sondern vielmehr um die flächendeckende Überwachung der Bevölkerung. Aber die Kraft des Vorwurfs, nicht nach den Regeln zu spielen, implodiert damit. Das nächste Telefonat zwischen Merkel ("Ausspähen unter Freunden geht gar nicht") und Obama ("Nach meinem Amtsantritt werde ich Whistleblower schützen") dürfte kabarettistische Qualitäten entwickeln.

Katastrophal jedoch ist ein Detail, das die Verdorbenheit der Geheimdienststrukturen zeigt. Im Gesetz, das die demokratische Kontrolle der Geheimdienste regelt , heißt es: "Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in § 1 Absatz 1 genannten Behörden und über Vorgänge von besonderer Bedeutung."

SPIEGEL ONLINE sprach mit einem Mitglied des Gremiums: "Von den brisanten Informationen, die ich am Wochenende aus den Medien erfahren habe, wusste ich nichts." Aber wenn selbst diese Vorgänge offenbar nicht "von besonderer Bedeutung" und damit berichtenswert sind - dann würde der BND vermutlich auch noch einen Grund finden, die Zündung einer Atombombe  in der Hamburger Innenstadt zu vertuschen.

Wer solche Beschützer hat, braucht keine NSA

Mit dem Verschweigen dieser Vorgänge von zweifelsfrei "besonderer Bedeutung" hat der BND bewiesen, dass ihn die demokratische Kontrolle nicht das allerkleinste Bohnenimitat interessiert. Man muss Gerhard Schindler dankbar sein dafür, derart schmerzfrei offenbart zu haben, dass der BND in seinem gegenwärtigen Zustand schlicht nicht kontrollierbar ist.

Zeitgleich lässt sich vom Verfassungsschutz ein ähnlich katastrophales Bild zeichnen. Der Thüringer Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror spricht in seinem Abschlussbericht  zum ersten Mal als offizielle Stelle aus, wovor man nicht mehr die Augen verschließen kann: den "Verdacht gezielter Sabotage oder des bewussten Hintertreibens des Auffindens der Flüchtigen" durch den Inlandsgeheimdienst. Nach der jahrelangen Untersuchung vermuten die Parlamentarier also - der Bericht wurde einstimmig von sämtlichen Fraktionen verabschiedet -, dass der Verfassungsschutz mordende Nazi-Terroristen deckte, schützte und warnte.

Das sind die deutschen Geheimdienste im Jahr 2014, das sind die Behörden, die die Bevölkerung vor der flächendeckenden Überwachung schützen sollten, das ist die Realität des völligen Versagens. Nicht nur der Behörden selbst, sondern schlimmer noch: auch ihrer Kontrolle. Die beiden wichtigsten deutschen Geheimdienste agieren offensichtlich außerhalb des demokratischen Rechtsstaats. Wer solche Beschützer hat, braucht keine NSA mehr, um Grundrechte zu brechen.

Gegenschnitt auf Ronald Pofalla im August 2013, damals als Kanzleramtsminister direkt verantwortlich für BND und Verfassungsschutz: "Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwür…" - Verzeihung, falsches Zitat, Pofalla sagte wörtlich: "Alle Fragen, die die Arbeit der deutschen Nachrichtendienste betroffen haben, sind so geklärt worden, dass ich heute feststellen kann: Die deutschen Nachrichtendienste arbeiten nach Recht und Gesetz." Das war damals schon mutig behauptet, heute ist es entweder die Unwahrheit oder eine glatte Lüge.

Angela Merkel muss nun erklären, ob sie ihren Kanzleramtsminister das Kontrollgremium und die Öffentlichkeit hat anlügen lassen. Oder ob sie selbst nicht wusste, was der BND treibt zwischen der Überwachung von Nato-Partnern und dem "Beifang". Man kann sich kaum entscheiden, was schlimmer wäre.

In beiden Fällen aber ist nun bewiesen, was man bereits zuvor zu vermuten gezwungen war: Geheimdienste weltweit und eben auch in Deutschland haben die digitale Vernetzung als Einladung begriffen, alles und jeden zu überwachen. Weil selbst so biedere Geheimdienstler wie der deutsche Beamte und Verwaltungsjurist Gerhard Schindler Spieler sind, die nach der Devise "no risk, no fun" spielen, also ohne Rücksicht mit vollem Risiko. Und worum spielen sie? Oh, nur um die Grundrechte der Bevölkerung.

tl;dr:

Die deutschen Geheimdienste bewegen sich offensichtlich außerhalb demokratischer Kontrolle, sie sind damit Teil des Überwachungsproblems.

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