Sascha Lobo

Brandenburg wählt Natürlich wird es schlimm

Viele Brandenburger werden am Sonntag rechts wählen - manche sogar nur, um vermeintlich Linke zu ärgern. Denen wiederum könnte ein Trick helfen.
AfD-Spitzenkandidat Kalbitz: Keine Silbe von echter Distanzierung

AfD-Spitzenkandidat Kalbitz: Keine Silbe von echter Distanzierung

Foto: Jens Schlüter / Getty Images

In Brandenburg und in Sachsen wird in wenigen Tagen gewählt, und natürlich wird es schlimm. Aus Sicht der liberalen Demokratie gesprochen. Den westdeutschen AfD-Spitzenkandidaten in Brandenburg, Andreas Kalbitz, halte ich persönlich zum Beispiel für einen Nazi, wenn man diesen Begriff synonym mit "deutsch-rechtsextreme Gesinnung" verwendet, wie es heute umgangssprachlich getan wird. Mit dieser Einschätzung bin ich wahrlich nicht allein .

Podcast Cover

Sie beruht unter anderem darauf, dass Kalbitz das Drehbuch für einen Film geschrieben hat, der als "geschickte Hitler-Verherrlichung"  bezeichnet wird. Dass er zwei Jahrzehnte in rechtsextremen Zirkeln unterwegs war, etwa bei der inzwischen verbotenen HDJ . Dass er - übrigens anders als die meisten anderen AfD-Kandidaten - auf seine rechtsextreme Vergangenheit angesprochen, keine Silbe auf echte Distanzierung  verschwendet. Wen kann man Nazi nennen, wenn nicht eine solche Person?

In Brandenburg wird eine große Zahl von Menschen also einen Nazi wählen, und das ist schlimm. Es wird aber in Prozentzahlen weniger schlimm als befürchtet, als man hätte vor einigen Monaten annehmen müssen (außer es geschieht noch etwas Gravierendes). Das glaube ich jedenfalls, und zu dieser zugegeben nicht hundertprozentig wasserdichten Einschätzung komme ich mithilfe sozialer Medien und der Verknüpfung von zwei Thesen.

Die grausige Floskel von einer "Spaltung der Gesellschaft"

Die erste These nenne ich "Kleistsches Prinzip". Heinrich von Kleist hat um 1805 den Aufsatz "Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden" geschrieben. Überträgt man das auf die heutige, chathafte Kommunikation in sozialen Medien, ergibt sich: Beim Kommentieren in sozialen Medien kann man Leute dabei beobachten, wie sie allmählich ihre Gedanken verfertigen - und zugleich ihre Gefühle verfestigen. Denn soziale Medien sind Gefühlsmaschinen.

Die zweite These beschreibt eine (nicht mehr ganz) neue Dimension der politischen Polarisierung. Die meisten gesellschaftlichen Akteure scheinen zu glauben, dass Polarisierung schlecht ist, gut erkennbar an der so inflationären wie grausigen Floskel "spalten die Gesellschaft":

Was soll da noch kommen? Gartenzwerge? Nein, auch die spalten selbstredend längst die Gesellschaft . Dahinter steht eine bizarr unterkomplexe Vorstellung von Gesellschaft, die beruht auf der bizarr unterkomplexen Annahme, das Ziel sei ein ständiger Dauerkonsens in ungefähr allen Fragen. Das ist natürlich Unfug, in einer liberalen Demokratie muss es exakt einen Konsens geben, und der heißt: Liberale Demokratie, mit den Werten, die unveräußerlich dazugehören und im Grundgesetz nachlesbar sind, unter anderem Minderheitenschutz, Presse- und Meinungsfreiheit, Rechtsstaat, die Ungeilheit von Angriffskriegen. Über alles andere kann und muss man streiten.

Leuten, die sich über eine "gespaltene Gesellschaft" beklagen, fehlt entweder die Sprache, um ihre Sorge richtig zu beschreiben. Oder sie beschweren sich in sensationeller Verkennung der Welt darüber, dass nicht alle Menschen ihrer Meinung sind. Gesellschaftliche "Spaltung" ist meist nur ein anderes Wort für "Pluralität an einer Stelle, die mir persönlich nicht passt".

Wählen, was Linke ärgert

Die Wahrheit ist, dass es gute Polarisierung gibt und schlechte Polarisierung. Sie sind gar nicht so einfach auseinanderzuhalten, das ist Teil des Problems. Aber Großphilosoph Jürgen Habermas hat uns schon 2016 einen geeigneten Maßstab an die Hand gegeben und als Mittel gegen rechts folgende brillante Kürzestanleitung formuliert: "Die politische Polarisierung  müsste sich wieder zwischen den etablierten Parteien um sachliche Gegensätze kristallisieren." Bei der guten Polarisierung befinden sich beide entgegengesetzte Haltungen in den Grenzen der liberalen Demokratie. Bei der schlechten ist eine außerhalb. Oder beide.

Protestwählen ist natürlich nicht neu. Aber politische Polarisierung im 21. Jahrhundert bedeutet etwas vereinfacht, dass viele Menschen gar nicht unbedingt jemanden wählen, der für etwas steht. Sondern jemanden, der die Gegenseite aufregt. So war es schon bei Trump, der interessanterweise sowohl als Gegner der Demokraten wie auch als Gegner der klassischen Republikaner wahrgenommen wurde. Eine Reihe von Menschen, die rechts wählen, suchen sich Personen, Medien, Institutionen und verwenden sie gewissermaßen als Kompass, der nach Süden zeigt. Sie wählen, was Linke ärgert. Oder das vermeintlich linke Establishment. Dazu passt, dass viele Rechte die Politik mit wenigen, thematischen Ausnahmen wie Zuwanderung ohnehin als Pose betrachten.

Jetzt kommen die beiden beschriebenen Thesen zusammen. In den letzten Wochen habe ich insbesondere diejenigen Zirkel in sozialen Medien beobachtet, die für die AfD essenziell sind: Leute, die sich zwar für konservativ oder gar "Mitte" halten, die aber vergleichsweise wenig Probleme damit haben, mit Nazis und Rassisten Seite an Seite zu stehen. Nennen wir sie mal sehr freundlich "Rechtsoffene".

Es handelt sich oft um Leute, die sich bei der Wahl faktisch zwischen der AfD, der CDU und der Nichtwahl entscheiden. Natürlich muss ich dazusagen, dass es sich zwar um zahlreiche, aber doch letztlich ausschnitthafte Beobachtungen handelt - aber ich konnte einen interessanten Trend erkennen: Die Identifikation mit der CDU immer dann, wenn sie von Linken attackiert wurde. Je heftiger linke oder besser: als links wahrgenommene Kreise, etwa den sächsischen CDU-Chef Kretschmer attackierten, desto größer war die Sympathie für ihn. Es geht dabei insbesondere auch um das Aufmerksamkeitsvolumen, das Getöse, das Geschrei.

Ich glaube, dass sich diese Mechanik in Wählerstimmen übersetzt. Die Umfragewerte der AfD sinken, was ein weiterer Hinweis sein könnte, aber leider gibt es da nicht nur eine vergleichsweise große Fehlertoleranz von drei und mehr Prozent. Die Werte geben über das "Warum" auch keine Auskunft. Ein guter Teil rechter Wähler, auch das lässt sich gut in sozialen Medien erkennen, verwendet ihre Stimme als maximalen Tritt in den Hintern des angeblich linken Mainstreams, der in Wahrheit ja nur die Akzeptanz der liberalen Demokratie mit den beschriebenen Werten darstellt. Man muss dafür zwar eine gewisse Verschiebung im Koordinatensystem mitbringen. Aber wenn man ständig mit Leuten kommuniziert, die in Angela Merkel die Päpstin des linkslinken Mainstreams sehen, dann wäre ein ausgewogenes, konsistentes, politisches Koordinatensystem eher verwunderlich.

Wenn nicht nur die beiden Thesen, sondern auch ihre Kombination zutreffen, dann ergibt sich eine einfache Handlungsanleitung für Linke, die die Chancen der AfD reduzieren wollen: Maximale Lautstärke gegen die CDU. So heftig, so kreischend, so ungerecht, dass man es im rechten Lager mitbekommt und empört ist. Aber das sollte für Linke ja die leichteste Übung sein.

Die Podcast-Frage:

Ist Andreas Kalbitz ein Nazi?

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.

Abonnieren bei

Es ist ein Fehler aufgetreten. Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.

Playlist
Speichern Sie Audioinhalte in Ihrer Playlist, um sie später zu hören oder offline abzuspielen. Zusätzlich können Sie Ihre Playlist über alle Geräte mit der SPIEGEL-App synchronisieren, auf denen Sie mit Ihrem Konto angemeldet sind.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren