
Wahlprognose mit Social-Media-Faktor Könnte Armin Laschet entgegen den Umfragen noch gewinnen?


Armin Laschet auf dem Parteitag der CSU: Ja, genau der
Foto: Peter Kneffel / dpaDiese Kolumne zur Bundestagswahl 2021 ist insofern eine besondere Kolumne, als dass sie sich bereits am 26. September um 18 Uhr als unglaublicher Quatsch erweisen könnte (sonst dauert das deutlich länger). Oder als interessantes Spiel mit einer Vorausahnung.
Ich halte es inzwischen nämlich für wahrscheinlich, dass Armin Laschet – ja, genau der – die Bundestagswahl 2021 gewinnen oder fast gewinnen könnte, Kopf an Kopf gewissermaßen. Entgegen den Umfragen. Persönlich fände ich das bitter, weil ich der Union eine Regierungspause über alle Maßen gönne.
Eine besonders grandiose Regierung sehe ich nicht am Horizont der Möglichkeiten, aber die aus meiner Sicht am wenigsten schlechte und realistische Option wäre eine Ampel. Nicht, dass ich glühender Fan der FDP wäre, aber für Rot-Rot-Grün sind mir in der Linkspartei zu viele ernsthaft Durchgeknallte. Und von denen würde sich eine entsprechende Bundesregierung bei knappem Vorsprung abhängig machen.
Viele Umfragen funktionieren noch via Festnetztelefon
Mein Ausgangspunkt ist simpel: Ich glaube, dass die derzeitigen Umfrageergebnisse die Wahlstimmung nicht besonders gut abbilden. Das sagt sich leicht dahin, aber anders als in vielen anderen Ländern haben die Wahlumfragen in Deutschland eine ziemlich hohe Qualität. Gut, 2013 lag die FDP in Niedersachsen in den Umfragen bei 4,5 Prozent und holte schließlich triumphale 9,9 Prozent. Aber dass ich acht Jahre zurück und in ein einzelnes Bundesland gehen muss, um einen spektakulären Irrtum vorzuführen, das zeigt ja auch schon etwas.
Bei den letzten Bundestagswahlen gab es trotzdem immer Bewegungen, die man als Überraschung betrachten konnte, und das liegt zum einen an der Fehlergrenze. Bei vielen repräsentativen Umfragen beträgt sie 3 Prozentpunkte, ein Wert von 22 Prozent in der Umfrage kann also eigentlich 19 Prozent oder 25 Prozent bedeuten, die Demoskopie zuckt da kaum mit der Wimper. Zum anderen ist eben diese Demoskopie unter anderem durch die digitale Vernetzung vor massive Herausforderungen gestellt. Viele Wahlumfragen funktionieren nämlich immer noch via Festnetztelefon , ein Gerät also, das viele junge Wahlberechtigte erst einmal googeln müssen.
Der Vorteil von Festnetztelefonen ist, dass man sie recht einfach per Zufall auswählen und in der Regel durch die Vorwahl regional verorten kann, was bei Mobiltelefonen nicht geht. Da sich aber zum Beispiel das Wahlverhalten zwischen Stadt und Dorf oder zwischen Bremen und Thüringen massiv unterscheidet, was für seriöse Zahlen einberechnet werden muss, greift man eben immer noch überraschend oft auf das Festnetz zurück. Außer bei denjenigen Instituten, die eher oder nur Onlineumfragen machen. Aber die sind bisher nicht besonders oft durch überragende Vorhersagequalität aufgefallen, weil Onlineumfragen andere, aber eben ähnlich schwerwiegende Probleme mit sich bringen.
Immer weniger Leute haben Bock auf die Umfragen
Inzwischen gibt es eine Reihe von ausgleichenden Korrektiven, sogenannte Gewichtungen, die die Institute berücksichtigen, um solche Verwerfungen irgendwie auszugleichen. Leichter macht das den Job nicht, schon deshalb, weil immer weniger Leute Bock auf die Umfragen haben. Für die USA ist das recht gut erforscht, eines der bekanntesten Umfrageinstitute, Gallup, konnte 1997 noch 28 Prozent der zufällig ausgewählten Leute befragen , 2017 nur noch 7 Prozent. Alle anderen waren nicht zu erreichen oder hatten keine Lust.
Auch in Deutschland sinkt der Wert, vermutlich durch die steigende Keinbocknis, mit Unbekannten zu telefonieren. Das alles, verbunden mit anderen statistischen, politischen und sozialen Komplexitäten, führt leicht zu Situationen wie 2017 : Die Union lag im Schnitt der Umfragen bei 35,9 Prozent und bekam am Wahlabend 32,9 Prozent. Im Jahr 2005 hatte der Unterschied zwischen Umfrage und Ergebnis für die Union sogar bei 6,4 Prozentpunkten gelegen, aber damals wurden auch noch andere Berechnungsmethoden angewendet, die viele heute üblichen Gewichtungen nicht berücksichtigten.
Mögliche Erklärungen, warum die Umfragen diesmal nicht besonders präzise sind, sind schnell aufgezählt: Merkels Verabschiedung, Laschets Veronkelung, Scholzens Vermerkelung, Lindners Verpeilung, Baerbocks Versenkung und die weitgehende Unbekanntheit des Linkspartei-Personals machen es schwieriger. Unter anderem. Wie stark das Klimathema, die Pandemie, Afghanistan oder die Unionsskandale die Wählenden beeinflussen, ist ebenfalls unklar.
Social-Media-Faktor soll die Abweichung von Vorhersagen abbilden
Meine Einschätzung ist aber, dass Bundestagswahlen viel personengetriebener sind als gemeinhin angenommen, dass also das Spitzenpersonal sehr großen Einfluss auf die Mobilisierung der Wählenden und deren Wahlentscheidung hat. Das ist auch die Grundlage für meinen Social-Media-Faktor, den ich hiermit einführen möchte. Es handelt sich um einen Faktor, den ich für jede Partei einzeln berechne und der die Abweichung von den Vorhersagen abbilden soll.
Denn natürlich will ich für diese Kolumne nicht nur sagen, dass die Umfragen irgendwie nicht ganz treffen – sondern selbst bessere Vorhersagen anbieten oder, na ja, zumindest den Versuch unternehmen. Dafür greife ich auf eine Heuristik zurück, ein fabelhaftes Wort aus der Wissenssphäre der griechischen Antike. Heuristik bedeutet, dass man behauptet, ein kluges System zu haben, mit dem man aus sehr begrenztem Wissen trotzdem großartige Vorhersagen machen kann. Meistens stimmt das natürlich nicht oder nur so ein bisschen, und auch in meinem Fall balanciere ich eine Reihe von Annahmen aus, von der jede einzelne eben auch nicht zutreffen könnte.
Mein Social-Media-Faktor ist einigermaßen willkürlich gesetzt: Er bezieht sich in erster Linie auf die Veränderung der durchschnittlichen Zahl der Erwähnungen der wichtigsten Kandidaten-Seiten der Parteien auf Facebook innerhalb der letzten zwei Wochen (mithilfe des Tools »Socialblade «). Mit hinein habe ich die Veränderung der Zahl der Abonnenten der jeweiligen Seite gerechnet. Das ist leider nur wenig mehr als gar nichts, aber mein Kalkül ist: Weil Facebook das soziale Netzwerk der wahlentscheidenden Boomer ist, lässt sich aus den Erwähnungen dort womöglich ablesen, dass die Gespräche eine politische Intensität entwickeln. Ich unterstelle weiter, dass diese Veränderung etwas über die abschließenden Überlegungen vieler Leute zur Wahl aussagt. Zwar ist durch die extrem hohe Zahl der Briefwählenden schwer zu bestimmen, wer sich wann entscheidet oder entschieden hat. Aber ich spreche hier ohnehin nur von Anhaltspunkten.
Als Grundlage für meinen Überschlag habe ich die durchschnittlichen Umfragewerte aller Institute verwendet. Für die Parteien im Bundestag sind das am 21. September 2021:
SPD | 26% |
---|---|
CDU/CSU | 22% |
Grüne | 16% |
FDP | 11% |
AfD | 11% |
Linkspartei | 6% |
Für meinen ausgedachten Social-Media-Faktor habe ich aus der Abo-gewichteten Entwicklung der durchschnittlichen Erwähnungshäufigkeit der Kandidaten eine mögliche prozentuale Veränderung für jede einzelne Partei berechnet. Auch die ist abgeschätzt, aber wir bewegen uns ohnehin längst tief im Raum der prognostischen Vermutung. Meine Konfidenz, für keine Partei mehr als 6,4 Prozentpunkte danebenzuliegen, ist allerdings sehr hoch. Nach der Einarbeitung meiner jeweiligen Social-Media-Faktoren ergibt sich folgende Vorhersage:
SPD | 23% |
---|---|
CDU/CSU | 26,5% |
Grüne | 17,5% |
FDP | 11% |
AfD | 10,5% |
Linkspartei | 6% |
Wenn dieses oder ein ähnliches Szenario tatsächlich wahr werden sollte, wird Armin Laschet – ja, genau der Armin Laschet – als Bundeskanzler eine Schwampel anführen, eine Schwarze Ampel mit Union, FDP und Grünen. Und weil das für viele Grüne als allzu große Zumutung erschiene, bekommt die Partei den Posten der Bundespräsidentin zugeschanzt. Die wird im Frühjahr 2022 gewählt, und mit einer soliden Mehrheit der Bundesregierung ließe sich die Wahl entsprechend deichseln. Es mag manchen unwürdig erscheinen, das höchste Amt im Staate so zu verschachern. Auf der anderen Seite hört sich Bundespräsidentin Claudia Roth natürlich auch interessant an.