Bundesverfassungsgericht Staatlicher Zugriff auf Bestandsdaten muss begrenzt werden

Im Kampf gegen Straftäter und Terroristen dürfen Behörden Daten von Handy- und Internetnutzern abfragen. Karlsruher Richter erklärten nach einer Klage von Datenschützern nun einige der Regelungen für verfassungswidrig.
Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Regelungen zur Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt

Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Regelungen zur Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt

Foto: Sebastian Gollnow/ dpa

Die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zur Strafverfolgung und Terrorabwehr gehen zu weit. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrere Regelungen zur sogenannten Bestandsdatenauskunft für verfassungswidrig erklärt, teilte das Gericht in Karlsruhe am Freitag mit . Dies betrifft neben dem Paragrafen 113 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) auch Vorschriften des BKA-Gesetzes und des Bundespolizeigesetzes. Dem zeitgleich veröffentlichten Senatsbeschluss  zufolge dürfen diese Vorschriften aber unter bestimmten Voraussetzungen bis zu einer Neuregelung weiter angewendet werden.

Polizei, Bundeskriminalamt und Nachrichtendienste dürfen für ihre Arbeit die "festen" Bestandsdaten abfragen. Dazu gehören zum Beispiel auch der Name und das Geburtsdatum, nicht aber einzelne Verbindungen - solche Daten heißen in der Fachsprache Verkehrsdaten.

Die Behörden nutzen die Auskünfte, um Verbrechen aufzuklären oder Terroranschläge zu verhindern. Zum Teil läuft die Abfrage zentral und automatisiert über die Bundesnetzagentur. Andere Daten fragen die Ermittler einzeln bei Telefongesellschaften und Providern ab, aber zum Beispiel auch bei Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Hotels. Diese manuelle Bestandsdatenauskunft verletze das informationelle Selbstbestimmungsrecht und das Telekommunikationsgeheimnis der Inhaber von Telefon- und Internetanschlüssen, heißt es in der Begründung des Karlsruher Beschlusses. Die Eingriffsschwelle sei nicht verhältnismäßig geregelt.

Die Erteilung der Auskunft über Benutzerdaten sei zwar grundsätzlich zulässig, heißt es weiter. Der Gesetzgeber müsse aber sowohl für die Übermittlung der Bestandsdaten durch die Telekommunikationsunternehmen als auch beim Abruf durch die Bundesbehörden jeweils verhältnismäßige Rechtsgrundlagen schaffen.

Neuregelung spätestens 31. Dezember 2021 erforderlich

Paragraf 113 Abs. 1 Satz 1 TKG öffne "das manuelle Auskunftsverfahren sehr weit", indem er "Auskünfte allgemein zum Zweck der Gefahrenabwehr, zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten sowie zur Erfüllung nachrichtendienstlicher Aufgaben erlaubt und dabei keine ihre Reichweite näher begrenzenden Eingriffsschwellen enthält", heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts.

Übermittlungs- und Abrufregelungen müssen die Verwendungszwecke der Daten begrenzen, indem sie an bestimmte Tatbestände gebundene "Eingriffsschwellen und einen hinreichend gewichtigen Rechtsgüterschutz vorsehen". Die Zuordnung dynamischer IP-Adressen statt müsse darüber hinaus dem Schutz "von Rechtsgütern von zumindest hervorgehobenem Gewicht dienen".

Diese Voraussetzungen erfülle die Regelung TKG überwiegend nicht.

Bis zu einer Neuregelung, längstens zum 31. Dezember 2021, können die mit dem Grundgesetz unvereinbaren Vorschriften aber weiter angewendet werden. Dafür machten die Verfassungsrichterinnen und -richter des Ersten Karlsruher Senates den Behörden und Telekommunikationsdienstleistern aber strenge Auflagen.

So dürften etwa Paragraf 113 TKG und die Regelungen zum allgemeinen Abruf von Bestandsdaten nur weiter angewendet werden, wenn eine Auskunft "zur Abwehr einer konkreten Gefahr" erforderlich oder bezüglich der Nachrichtendienste zur Aufklärung "im Einzelfall geboten" ist; für die Verfolgung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten müsse "zumindest ein Anfangsverdacht" vorliegen.

Verfassungsbeschwerde des Europapolitikers Patrick Breyer

Das Verfassungsgericht hatte die Praxis der Bestandsdatenauskunft 2012 an sich weitgehend bestätigt. Angesichts der zunehmenden Bedeutung elektronischer Kommunikationsmittel seien die Behörden "auf eine möglichst unkomplizierte Möglichkeit angewiesen, Telekommunikationsnummern individuell zuordnen zu können", entschieden die Richter damals. Die Regelungen im Telekommunikationsgesetz gingen ihnen aber in einigen Punkten auch zu weit, es musste nachgebessert werden.

Nun hat das Gericht über zwei Verfassungsbeschwerden gegen diese überarbeiteten Vorschriften entschieden. Eine davon war 2013 von dem heutigen Piraten-Europapolitiker Patrick Breyer und seiner früheren Parteikollegin Katharina Nocun eingereicht worden. Breyer hatte zusammen mit seinem Bruder auch schon die erste Karlsruher Entscheidung erstritten.

Die Kläger kritisierten, Polizei und Geheimdienste könnten nun sogar leichter und in noch größerem Umfang Daten einsehen. Die Abfrage von Passwörtern zu E-Mail-Postfächern - sofern diese unverschlüsselt gespeichert werden - oder von Handy-Pins müsste zwar jetzt ein Richter genehmigen, das könne aber oft umgangen werden. Über die genutzte IP-Adresse sei jeder Internetnutzer jederzeit namentlich identifizierbar. Mit der Klage wollten sie erreichen, dass der Staat Kommunikationsdaten nur bei schweren Straftaten und nicht schon bei Bagatelldelikten nutzen darf.

Breyer bezeichnet den Beschluss als Erfolg, er teilte am Freitag mit: "Wer Polizei und Geheimdiensten blauäugig vertraut, kennt nicht die zahlreichen Fälle, in denen Beamte ihre Möglichkeiten zum Ausspionieren ihres privaten Umfelds oder sogar zum Datenverkauf an Kriminelle missbraucht haben. Und wehe uns, wenn diese Spionagemöglichkeiten eines Tages sogar in die Hände einer nicht-demokratischen Regierung gelangen sollten. In einem Zeitalter der Sicherheitsideologie und Verunsicherung muss Innenpolitikern der Respekt vor unserer digitalen Privatsphäre täglich neu gelehrt werden."

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, Breyer und Nocun hätten jeweils eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, es war jedoch eine gemeinsame. Wir haben das korrigiert.

pbe/hip/dpa/Reuters
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren