Netzpolitik-Affäre Verdacht auf Landesverrat macht berühmt und beliebt

Beckedahl und sein Meister (r.): Stars auf dem Camp des Chaos Computer Clubs
Foto: SPIEGEL ONLINEEin merkwürdiges Gefühl sei das, wenn man über den Zeltplatz laufe und plötzlich das eigene Gesicht auf einem Plakat entdecke, sagt Andre Meister. Zwar war er schon vorher in der Szene sehr bekannt, also bevor der Generalbundesanwalt gegen ihn und seinen Chef Markus Beckedahl ermittelt hat wegen eines seiner Texte. Aber jetzt werden die beiden hier fast begrüßt wie Stars.
Unterstützer und Freunde haben für das Sommercamp des Chaos Computer Clubs T-Shirts herstellen lassen, "Ein Abgrund von Landesverrat" steht darauf oder "Landesverrat.org". Wo die beiden sich blicken lassen, werden sie freudig begrüßt und beglückwünscht. Sie haben spontan einen der raren Vortragsplätze zur Primetime bekommen, um die Geschichte der Landesverratsaffäre noch einmal zu erzählen. Denn die Szene freut sich mit, nach unzähligen netzpolitischen Protesten in den letzten Jahren war dieser endlich einmal wieder ein durchschlagender Erfolg.
"Wir bezeichnen das hier als Betriebsausflug", sagt Meister über das Chaos Communication Camp, und diesmal fällt der Ausflug besonders fröhlich aus. Pünktlich vor der Abreise sind die Ermittlungen gegen das Blog eingestellt worden, und die Affäre war ein Gewinn für die Redaktion: Knapp 180.000 Euro an Spenden sind nach Angaben Beckedahls allein in den vergangenen beiden Wochen auf dem Netzpolitik-Konto eingegangen, und die ganze Republik dürfte die Journalisten nun kennen.
"Man hat schon geschluckt"
Zehn Tage lang ging es in den Medien immer wieder um die beiden, zehn Tage, in denen das Telefon in der Redaktion nicht mehr stillstand. "Wer hätte damit gerechnet, dass im Sommerloch eine Staatsaffäre nach uns benannt wird?", scherzt Beckedahl, und man ahnt, dass er sich wegen der Ermittlungen nie ernsthaft gefürchtet hat. Und auch Meister sagt nur, "man hat schon geschluckt", doch die Redaktion habe von Anfang an gute juristische Beratung gehabt. Mit den Spendengeldern könne man die nun auch bequem bezahlen - auch für weitere Dienste.
Für die Redaktion von Netzpolitik.org ist die Affäre nämlich noch längst nicht ausgestanden: Nachdem der Staat gegen sie ermittelt hat, ermitteln sie nun sozusagen zurück. Sie gehen auf Spurensuche: Wer hat wann von was gewusst? "Momentan wird uns noch die Akteneinsicht verwehrt, weil dazu auch Sachen gehören, die als geheim eingestuft werden - etwa dieses Gutachten, ob es überhaupt um Staatsgeheimnisse ging", sagt Beckedahl. Es habe den Anschein, als würde das alles hinausgezögert.
Dabei erwarte die Redaktion die Akteneinsicht mit Spannung, denn die Journalisten möchten wissen, ob und inwieweit sie im Zuge der Ermittlungen überwacht wurden. Einschüchtern lassen wolle man sich aber auch davon auf keinen Fall. Man habe schon immer mit sensiblen Informationen gearbeitet, und die Redaktion sei bestens geschützt - Werkzeuge wie E-Mail-Verschlüsselung oder Kryptotelefonie seien für die Redakteure selbstverständlich.
Informanten sollten im Zweifel auf das Internet verzichten
Jetzt hoffen Beckedahl und Meister nur, dass sich auch potenzielle Informanten nicht einschüchtern lassen und sich mit ihren Informationen weiter an die Medien wenden. Schließlich sind die Ermittlungen gegen die beiden zwar eingestellt worden, doch es wird weiter gegen die Quelle ermittelt, also gegen unbekannt. "Es ist ein Unding, wie in Deutschland mit Whistleblowern umgegangen wird", findet Meister, "Informanten werden eingeschüchtert." Beckedahl sagt: "Bei uns ist durch die Affäre eine 'Jetzt erst recht'-Stimmung entstanden. Wir hoffen, dass die auch auf die Quellen übergreift." Dieser Geist passt gut zum Sommercamp des Chaos Computer Clubs: Die Ermunterung und der Schutz von Whistleblowern sind hier schon seit Jahren ein großes Thema.

CC-Camp 2015: Hacker auf dem Acker
Ob sich Whistleblower nun an alteingesessene Medien oder an Portale wie Netzpolitik wenden, spiele dabei eine untergeordnete Rolle. "Diese ganze Blogger-Journalisten-Diskussion ist sowas von 2007", sagt Meister, "niemand zweifelt daran, dass wir Journalisten sind, außer vielleicht drei Leute bei der 'FAZ'." Grundsätzlich sei es nämlich keineswegs so, dass die Netzpolitik-Redakteure leichtfertiger mit vertraulichen Dokumenten umgingen als alle anderen Redaktionen. "Den Großteil der Dokumente, die uns zugespielt werden, veröffentlichen wir nicht", sagt Beckedahl. Und in jedem Fall werde mit Bedacht abgewogen, ob und weshalb eine Veröffentlichung angebracht und sinnvoll ist.
Informanten mit brisanten Dokumenten oder Informationen legen die beiden aber ans Herz, vorsichtig zu sein - egal an welches Medium sie sich wenden: "Wenn man keine Ahnung vom Internet hat, sollte man auch digitales Whistleblowing unterlassen", sagt Beckedahl. Und Andre Meister empfiehlt ganz konkret, den "analogen Weg zu wählen und einen anonymen braunen Briefumschlag an eine Redaktion seiner Wahl zu schicken".