Vorschlag der EU-Kommission Justizminister Buschmann ist bei Messenger-Überwachung »sehr skeptisch«

Die EU-Kommission will WhatsApp zwingen können, Chats nach Missbrauchsbildern zu durchsuchen. Im Bundesjustizministerium und auch in der SPD regt sich nach SPIEGEL-Informationen Widerstand.
Bundesjustizminister Marco Buschmann: »Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse«

Bundesjustizminister Marco Buschmann: »Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse«

Foto: Sebastian Gabsch / Future Image / IMAGO

Die EU-Kommission will verstärkt gegen die Verbreitung von Bildern und Videos vorgehen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern dokumentieren. Doch der Plan von Innenkommissarin Ylva Johansson stößt nicht nur bei Bürgerrechtsorganisationen wie dem Chaos Computer Club auf Widerstand. Selbst der Deutsche Kinderschutzbund hält die Pläne für »unverhältnismäßig und nicht zielführend« . Politisch noch wichtiger aber ist, ob die EU-Mitgliedstaaten das Vorhaben mittragen. Aus Deutschland kommen dazu unterschiedliche Signale.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte sich in einer ersten Reaktion zustimmend zu den Brüsseler Plänen geäußert. Doch selbst im Kabinett sehen das nicht alle so. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) sagte dem SPIEGEL am Freitag: »Digitale Bürgerrechte sind keine Bürgerrechte zweiter Klasse. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder die strenge Verhältnismäßigkeit heimlicher Ermittlungsmaßnahmen vor dem Hintergrund des besonders geschützten Brief- und Fernmeldegeheimnisses angemahnt. Ich bin sehr skeptisch, was diesen neuen Entwurf angeht – sowohl rechtlich, aber gerade auch politisch.«

Eine »generelle flächendeckende Überwachungsmaßnahmen privater Korrespondenz gerade auch im digitalen Raum« lehne sein Haus ab. Im Justizministerin hat sich offenbar sogar schon der Begriff »Chatkontrolle« zur Beschreibung des Kommissionsvorschlags durchgesetzt – geprägt hatte den der EU-Parlamentarier Patrick Breyer (Piratenpartei), einer der schärfsten Kritiker des Vorhabens.

»Nicht mit dem Koalitionsvertrag vereinbar«

Aus dem Ministerium jedenfalls heißt es, man halte »die Chatkontrolle auch nicht für mit dem Koalitionsvertrag vereinbar«. SPD, Grüne und FDP hätten vereinbart, die digitalen Bürgerrechte und die IT-Sicherheit zu stärken. Das geplante Recht auf Verschlüsselung aber »müsste wohl für die Chatkontrolle umgangen werden«. Man setze im Kampf gegen Kindesmisshandlung lieber auf »gut ausgestattete Strafverfolgungsbehörden, zeitgemäße und präzise Instrumente und auf Prävention«.

Entgegen der ersten Äußerung von SPD-Ministerin Faeser stellen sich auch Teile der SPD-Bundestagsfraktion gegen die EU-Pläne. Aus Fraktionskreisen heißt es, die breite Kritik an den EU-Plänen, vom Kinderschutzbund bis zu Ermittlungsbehörden, sei nicht übertrieben. Man sei überrascht, wie weit die nun vorgestellten Kommissionsvorschläge gehen. Solange die Behörden ihre schon vorhandenen Ermittlungsinstrumente, wie das Verfolgen aller Spuren aus vorherigen Verfahren oder gezielte Hacking-Maßnahmen, nicht vollständig ausschöpfen würden, sei man gegen jegliche anlasslose Überwachungsmaßnahmen, heißt es.

Der politische Streit in Deutschland dürfte wichtige Auswirkungen auf die Umsetzung der Kommissionspläne haben. Sowohl das EU-Parlament als auch die Mitgliedstaaten müssen noch zustimmen. Hinter den Kulissen dürfte in den kommenden Monaten heftig politisch um die Abwägung zwischen Kinderschutz und Schutz der Privatsphäre gerungen werden.

Betroffenenorganisation fordert ausgewogene Debatte

Julia von Weiler von der Betroffenenorganisation Innocence in Danger zeigt sich enttäuscht darüber, wie stark in der öffentlichen Debatte der letzten Wochen das Thema Überwachung im Fokus stand. »Es ist wichtig, sich immer mit der Frage des Datenschutzes und des Schutzes der Privatsphäre zu beschäftigen«, so von Weiler. Es sei jedoch auch wichtig, an die Privatsphäre der vielen Betroffenen zu denken, deren Bilder oft tausendfach und über Jahre im Netz verbreitet werden, sagt Weiler dem SPIEGEL.

Sie begrüßt die EU-Pläne grundsätzlich. »Die Tatsache, dass viele Politiker:innen der Regierungsparteien diesem Versuch mit Schlachtbegriffen wie ›Massenüberwachung‹ oder ›Generalverdacht‹ begegnen, ist zutiefst verstörend.« Das werde weder den Betroffenen noch ihrem Amt gerecht und verhindere den »wichtigen, lösungsorientierten Diskurs, den wir brauchen.«

»Das Problem der Kindesmissbrauchsdarstellungen im Netz wird immer größer und wir tun als Gesellschaft noch immer nicht genug dagegen.« Von Weiler verweist aber darauf, dass auch offline mehr getan werden müsse. Dazu nannte sie etwa die Prävention, aber auch Jugendämter. Etwa beim Missbrauchsfall in Münster oder in Lügde wurden im Nachhinein eklatante Behördenfehler öffentlich, die dazu führten, dass Kinder trotz entsprechender Hinweise und Warnungen in gefährdeten Familien verblieben.

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