Hype um Chelsea Manning auf re:publica Popstar auf Probe

Chelsea Manning auf der re:publica in Berlin
Foto: TOBIAS SCHWARZ/ AFP"Nun ja, hier bin ich", antwortet Chelsea Manning freundlich auf die fast ungläubige Feststellung der Interviewerin, dass die bekannte US-Whistleblowerin es tatsächlich auf die Berliner Konferenz re:publica geschafft hat. Neuer Applaus bricht aus, wie zu Beginn ihres Bühneninterviews, als Manning einige Male ins Publikum winkte.
"Fireside Chat" heißt die Veranstaltung im Sprech der Programmorganisatoren. Ein solches "Kamingespräch" bietet sich immer dann an, wenn ein Gast so prominent und das Publikum ihm so wohlgesonnen ist, dass der inhaltliche Fokus fast schon egal ist. Die 30-jährige Chelsea Manning ist so ein Gast, jedenfalls auf der re:publica, wo man sich anders als in den USA wohl darauf einigen kann, dass Manning eher eine Heldin als eine Verbrecherin ist.

Manning auf der Bühne
Foto: AXEL SCHMIDT/ REUTERSAls sie noch bei den US-Streitkräften war, hatte Manning Tausende Armeedokumente an die Enthüllungsplattform WikiLeaks weitergegeben. Das bekannteste davon, ein Video, wurde 2010 unter dem Titel "Collateral Murder" berühmt. Der Clip löste eine Debatte über die Kriege in Afghanistan und im Irak aus.
Zu 35 Jahren Haft verurteilt
Mannings Datenweitergabe flog auf, sie wurde zu 35 Jahren Haft verurteilt. Doch Ex-Präsident Barack Obama erließ ihr kurz vor Ende seiner Amtszeit den Rest ihrer Haftstrafe: Vor einem Jahr kam sie frei, nach sieben Jahren im Gefängnis. WikiLeaks-Gründer Julian Assange sprach damals von einem "epischen Sieg", Donald Trump bezeichnete Chelsea Manning als "Verräterin".
In Berlin überschütten die beiden Moderatorinnen Manning nun mit Komplimenten, sie sprechen mit ihr aber auch beispielsweise über einen verantwortungsvollen Umgang mit Software. Dabei warnt Manning davor, Algorithmen in unserem Alltag zu mächtig werden zu lassen. Sie fordert sowohl Entwickler als auch Internetnutzer auf, mehr Verantwortung zu übernehmen. "Wir müssen ändern, wie wir Dinge entwickeln", sagt sie. "Tech-Leute können nicht einfach ihre Werkzeuge bei uns abladen und sagen 'Jetzt macht mal'."
Manning fordert einen Kulturwandel und - ein Zeichen für ihren grundsätzlichen Optimismus - glaubt trotz allem, dass er machbar ist: "Wir können Dinge erreichen und wir sollten versuchen, das zu tun", sagt sie.

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Erstmals in Berlin
Die Reise zur re:publica sei ihre erste Auslandsreise seit der Freilassung, erzählt sie. Seit sie frei ist, ist sie auch in sozialen Netzwerken sehr aktiv. Man kann über ihren Twitter- oder Instagram-Account nachvollziehen, wie Manning ihre Rolle in der digitalen Öffentlichkeit auszuloten versucht. Aus der Gefangenen, teils in Isolationshaft, ist in wenigen Monaten eine Figur der Netzwelt geworden, die sich scheinbar gern inszeniert und keine Kontroverse scheut. Vor Kurzem wurde sogar bekannt, dass sie für den US-Senat kandidieren will.
In der Rolle des Idols, die ihr auf der Konferenz zugedacht wird, fühlt sich Manning aber nicht wohl, wie sie mehrfach betont: So wolle sie nicht gesehen werden. "Ich habe den Großteil meines Erwachsenenlebens im Gefängnis verbracht", sagt Manning. "Ich erhole mich immer noch". Die Vergangenheit will sie derweil mit einem "sehr persönlichen" Buch aufarbeiten, an dem sie aktuell schreibt.
Dass das Gefängnis oder ihre weltweite Bekanntheit aus ihr einen anderen Menschen gemacht hat, bestreitet Manning, die sich auf der Bühne als "nicht perfekt" beschreibt. "Ich bin stärker, älter und erfahrener geworden", sagt sie. "Aber ich bin dieselbe Person wie vor zehn Jahren."
Es wirkt, als wolle die Whistleblowerin keinen Personenkult um sich. Sie will lieber, dass man sich mit den Themen beschäftigt, die ihr wichtig sind, etwa mit der Macht von Polizei, Militär und Geheimdiensten.
Nach Vorbildern gefragt, rät der Star der re:publica davon ab, auf sie zu schauen. "Achtet auch genauer auf euch selbst", sagt Manning: "Vielleicht können wir alle unser eigenes Vorbild sein."

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Ingo Petrtramer