
Coronapolitik der Union Konservativ ist zu langsam


Maskengate: Unionspolitiker und ihre sicherlich lieb gemeinten Maskengeschäfte
Foto: Christian Ohde / imago images/Christian OhdeDie Union möchte nicht mehr, dass man wegen ihrer Regierungsleistung während der Pandemie von Versagen spricht und wütend ist, und ich kann sie gut verstehen, so im Superwahljahr. Nicht, dass die SPD glorreiche Coronapolitik machte oder einen Lauf hätte, aber die Union hat schon das Gegenteil eines Laufs, beinahe möchte ich von Einlauf sprechen.
Es ist leider auch so, dass Wutenergie nur bis zu einem bestimmten Grad politisch konstruktiv gewendet werden kann. Wut verpufft, wenn die Adressaten sie kalt abtropfen lassen, und es gibt wenig, was die Merkel'sche Union besser kann als genau das (außer von rechts, aber das ist ein anderes Thema). Deshalb braucht der politische Diskurs in diesem Land eine nächste Stufe nach der Wut. Ich hätte da eine Idee.
Es häufen sich die konservativen Schmierlappigkeiten von Nüßlein (Maskengate 1) und Löbel (Maskengate 2) bis zu Spahn (überteuerte Masken) und Laschet (Maskenkauf bei Auftraggebern seines Sohns). Noch relevanter aber sind die verschiedenen, noch nicht vollkommen aufgeklärten Dimensionen der Fehlplanung, des möglichen Versagens und der Hybris, was die Coronapolitik und die dazugehörige Kommunikation angeht. Deshalb gibt es neben den Wahltagen einen Weg aus dem berechtigten Groll der Bevölkerung: einen Corona-Untersuchungsausschuss des Parlaments.
Auch harsch Kritisierende müssen natürlich beachten, dass Pauschalisierungen des Versagens oder Unterstellungen nicht weiterhelfen. Und es ist wahr, dass nicht alles schlecht gelaufen ist, sich vielleicht durch bisher stille Vorarbeiten sogar deutlich verbessern wird. Aber genau darin sehe ich durch einen solchen Untersuchungsausschuss die Möglichkeit einer sachlichen Klärung. Gerade auch um herauszufinden: Was ist schlecht gelaufen und was geschah einfach im konservativen Geist des Regierens? Das ist für Nichtkonservative ja manchmal kaum zu unterscheiden.
Laschet möchte jetzt bitte reinen Tisch machen
Parlamentarische Untersuchungsausschüsse sind kein Gerichtsverfahren und sollten auch keinen Tribunal-Charakter haben. Sie dienen, wenn sie richtig geführt werden, vor allem der Klärung, der Erklärung und damit dem öffentlichen Verständnis des Geschehens.
Mehrere Bundestagsabgeordnete der Union haben die Wirren und Nöte der Pandemie für sich genutzt, Georg Nüßlein (CSU) und Nikolas Löbel (CDU) haben offenbar umfangreiche Provisionen für Maskenverkäufe erhalten. Nach Recherchen des SPIEGEL haben sich fast zwei Dutzend weitere Abgeordnete an unterschiedlichen, bestimmt auch lieb gemeinten Maskengeschäften beteiligt, ob und wie dabei Provisionen in welcher Höhe geflossen sind, ist bisher nicht öffentlich bekannt. Deshalb ist es mindestens interessant, dass Parteichef Laschet in den Tagesthemen die Unionsabgeordneten explizit auffordert, jetzt »reinen Tisch zu machen« , falls da noch mehr solcher Geschäfte im Raum stehen sollten.
Dass jetzt konservative Führungskräfte empört tun, ist aber scheinheilig. Die Union verhindert seit vielen Jahren größere Transparenz der Abgeordneten, hat zum Beispiel das Lobbyregister zu einem Gesetz mit der Bedrohlichkeit eines unterzuckerten Goldhamsters gemacht. Dieser Zusammenhang zwischen dem politischen Handeln der Union und dem Missbrauch durch eine Reihe von Unionspolitikern beweist: Es geht um ein systemisches Problem der deutschen Konservativen.
Wenn mit der Unionsfraktionsvizevorsitzenden Gitta Connemann (CDU) eine maßgebliche Politikerin die Union in der »schwersten Krise seit der Spendenaffäre« sieht, dann ist das ein starkes Zeichen für parlamentarischen Aufklärungsbedarf. Auch in der von Connemann erwähnten Spendenaffäre gab es einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss .
Und der sollte nicht nur den verschiedenen Aspekten der Maskenaffäre auf den Grund gehen, sondern sich den Unzulänglichkeiten der Coronapolitik insgesamt widmen. Denn die vom Bundesverfassungsgericht inspirierte Definition auf Wikipedia bringt hier die Möglichkeiten dieses parlamentarischen Instruments präzise auf den Punkt: »Aufgabe des Untersuchungsausschusses ist es, Sachverhalte, deren Aufklärung im öffentlichen Interesse liegt, zu untersuchen und dem Bundestag darüber Bericht zu erstatten.«
Was wäre derzeit von größerem öffentlichen Interesse, als die verschiedenen missglückten Sachverhalte der Coronapolitik der Bundesregierung fachlich untersucht zu sehen? Es geht schließlich, Stand März 2021, auch um rund 70.000 Tote. Und um so viele Fragen und Irritationen mehr, die zwar mit parlamentarischem Nachdruck, aber fair und öffentlich geklärt werden sollten:
Warum haben sich speziell die Ministerpräsidentenkonferenz und der Föderalismus allgemein als derart hinderlich für ein strukturiertes und funktionierendes Maßnahmenpaket erwiesen?
Warum wurden die Impfdosen so spät und in unzureichender Menge bestellt, warum hat man in den dazugehörigen Verhandlungen sparen wollen und nicht die Kosten eines Lockdowns berücksichtigt, wieso war in den ersten Monaten die Impflogistik so schlecht durchgeplant?
Warum sind so viele Existenzen durch die Verzögerungen der verschiedenen Hilfen gefährdet oder gar zerstört worden, und warum haben darunter insbesondere Selbstständige und kleine und mittelständische Unternehmungen gelitten?
Warum scheint es im Gegenzug, als würden insbesondere großen, Gewinn ausschüttenden Konzernen allzu rasch Milliardensummen ausgehändigt, während viele Soloselbstständige ihre Minihilfen zurückzahlen müssen?
Warum ist in der digitalen Bildungspolitik speziell durch die Kultusministerkonferenz über den pandemischen Sommer 2020 so verstörend wenig geschehen?
Welche Rolle hat die mangelhafte Digitalisierung von Verwaltung und Gesundheitssystem bei den Schwierigkeiten der Corona-Bewältigung gespielt?
Welche Rolle spielte der über Jahre durch die Bundesregierung faktisch hingenommene Pflegenotstand bei der Zahl der Toten in Alten- und Pflegeheimen?
Warum hat die Bundesregierung in ihrer Kommunikation und auch in ihrer Planung der Maßnahmen die Erfolgsstrategien in vielen asiatischen und ozeanischen Ländern so wenig berücksichtigt?
Es gäbe sicherlich noch eine Reihe weiterer Fragen, die ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss klären könnte und müsste, und es werden weitere entstehen. Eine Erkenntnis aber lässt sich jetzt schon absehen, sie ist eng verbunden mit der Notwendigkeit der Weiterentwicklung der deutschen Konservativen. Auftritt des heutigen Gesundheitsministers.
Als Jens Spahn noch präcoronaler Hoffnungsträger der Konservativen war, sagte er einen sehr wahren, sehr bezeichnenden, sehr lustigen Satz über sein politisches Lager: »Wir [Konservativen] verlangsamen die Veränderungen so, dass sie erträglich sind.« Zwar hat Spahn einen kleinen Zusatz vergessen: »für uns«. Denn das konservative Urgefühl ist Maß und Mitte, also Maß und Mitte der Welt zu sein. Das ist in ruhigen Zeiten keine ausschließlich schlechte Herangehensweise, sie erzeugt Berechenbarkeit, eine gewisse Ruhe und strahlt die Selbstgewissheit aus, die so viele Menschen mit Souveränität verwechseln. Konservative sind erst mal leistungsunabhängig mit sich zufrieden. Spahn hat jedoch unwillentlich den Kern des konservativen Problems beschrieben. Wir wussten schon, dass Konservative in Zeiten des vernetzten Wandels und der Beschleunigung mit ihrem Verlangsamungsfetisch keine gute Figur machen, siehe die verbockte Digitalisierung. Und jetzt wissen wir auch, dass in Zeiten globaler Krisen wie einer rasenden Pandemie ebendiese konservative Verlangsamung fatal sein kann. Wie fatal genau, das soll ein Untersuchungsausschuss klären.